Reactions in the Commission

Reaktionen der Kommission1


Zustimmende und kritische Stimmen zum Werner-Bericht


Das Verhältnis zwischen der Kommission und der Werner-Gruppe war komplex, aber es war wesentlicher Bestandteil der Arbeitsweise der Werner-Gruppe.“2 Es handelt sich um ein klares und strukturiertes Verhältnis zwischen ziemlich eigenständigen Einrichtungen und gleichzeitig um den offiziellen Rahmen sprengende Beziehungen zwischen Menschen, die durch Gemeinsamkeiten und Wohlwollen, aber auch durch Stolz und Animositäten gekennzeichnet sind. Der Ad-hoc-Gruppe gehören nach der Ernennung des luxemburgischen Ministerpräsidenten zum Vorsitzenden Vertreter aus sechs Ländern der Gemeinschaft an, und zwar die Vorsitzenden der verschiedenen Fachausschüsse der Kommission und ein Vertreter der Kommission selbst.3 Dieser stellt gleichzeitig die technische Koordinierung der Arbeiten sicher.4 Unter den Ausschüssen ist der Ausschuss der Zentralbankpräsidenten aufgrund der Unabhängigkeit der Zentralbanken von den jeweiligen Regierungen in seinen Überlegungen und Handlungsoptionen am eigenständigsten. Die anderen Ausschüsse, die aus keinem supranationalen Beschluss hervorgegangen sind5, sondern das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Verwaltungsstellen der Mitgliedstaaten sind, unterliegen hingegen weiterhin dem Einfluss innerstaatlicher politischer Positionen und Interessen. Die Kommission setzt eine direktionsübergreifende Arbeitsgruppe zur Wirtschafts- und Währungsunion ein6, der auch die Vorsitzenden und der Sekretär des Währungsausschusses angehören und die den Vertreter der Kommission im Werner-Ausschuss mit Stellungnahmen und Dokumentationsmaterial unterstützen soll. Aus Gefälligkeit und im Interesse der Effizienz wird die Expertengruppe auch durch das Kabinett von Vizepräsident Raymond Barre tatkräftig unterstützt, u. a. bei Logistik-, Finanz- und Protokollfragen.7 So hat die Kommission offiziell und inoffiziell Kenntnis von dem, was im Werner-Ausschuss vor sich geht.


Aufgrund seiner guten persönlichen Beziehungen zu seinem Landsmann Bernard Clappier und dem belgischen Baron Hubert Ansiaux nimmt Raymond Barre in seiner Funktion als Vizepräsident der Kommission regelmäßig an den Arbeiten der zwei Ausschüsse teil, denen die beiden vorstehen. Auch mit Pierre Werner ist er sehr gut bekannt, dem er seit 1967 regelmäßig bei den Zusammenkünften der Finanzminister der Gemeinschaft begegnet. Beide sind unerschütterliche Verfechter der europäischen Integration, und durch ihren Austausch über währungspolitische Fragen zu Beginn der 1970er Jahre wird ihr Einvernehmen noch verstärkt.8 Einigen Quellen zufolge9 hat Raymond Barre den luxemburgischen Ministerpräsidenten für den Vorsitz der Expertengruppe ins Spiel gebracht und den anderen das Handeln überlassen. Aufgrund der Dauer und des Umfangs der politischen Verantwortung, die er auf Landesebene ausgeübt hat, unterhält Pierre Werner wiederum langjährige gute Beziehungen zu seinen künftigen Partnern im Ad-hoc-Ausschuss – insbesondere den Belgiern (Minister Snoy, Baron Ansiaux) und Franzosen (Minister Giscard d’Estaing, Bernard Clappier), aber auch zu den Deutschen (Minister Schiller, Johann Baptist Schöllhorn). So wird er schließlich einstimmig zum Vorsitzenden ernannt.10


Die Zusammenarbeit zwischen der Werner-Gruppe und der Kommission ist effektiv und verläuft im Großen und Ganzen harmonisch, wird jedoch von gelegentlichen Meinungsverschiedenheiten und Spannungen überschattet. Die Mitglieder der Werner-Gruppe können sieben Monate lang ganz frei und unabhängig ihre persönlichen Überlegungen zu den Hauptschwerpunkten auf dem Weg zur Wirtschafts- und Währungsunion anstellen, während der Kommission die schwierige Aufgabe zukommt, Handlungsoptionen vorzuschlagen und durchzusetzen, die auf die Befindlichkeit der Sechs Rücksicht nehmen und den Verfahren der Gemeinschaft gerecht werden und dabei den Werner-Plan berücksichtigen oder nicht. Dies macht Raymond Barre mehrfach vor dem Europäischen Parlament deutlich. So entgegnet der Vizepräsident der Kommission zum Beispiel den Abgeordneten, die dem Werner-Bericht beipflichten und sich für die dort genannten Ziele und Prioritäten der Wirtschafts- und Währungsunion einsetzen11 mit Nachdruck: „Ich möchte gegenüber dem Europäischen Parlament noch einmal wiederholen, was ich ihm seit vielen Monaten – ja sogar schon seit vielen Jahren sage […] – dass es nicht die Berichte, nicht die Pläne und auch nicht die Absichtserklärungen sind, die zählen, sondern es sind die Beschlüsse. […]. Unwiderrufliche Entscheidungen.“12 „Es ist Sache der Kommission und des Rates zu prüfen, welche Methoden am besten geeignet sind, um zu den Entscheidungen zu gelangen, die am Ende des Jahres [bezüglich des Stufenplans] zu treffen sind. Zu diesem Zeitpunkt wird die Kommission die Vorschläge unterbreiten, so wie es ihre Pflicht ist.“13


In diesen Worten offenbart sich der gesamte Widerstreit zwischen den langfristigen (nämlich zehn Jahre betreffenden) Überlegungen des Werner-Berichts, in dem aufgrund der vielen Unwägbarkeiten konkrete Maßnahmen nur für die erste Stufe vorgesehen werden konnten, und der „Unmittelbarkeit“ des Daseins und der Erwägungen der Gemeinschaftsexekutive, die Langfristigkeit häufig mit der Dauer ihrer Amtszeit gleichsetzt. Zudem enthält der Werner-Plan die Mindestgrundsätze einer vollständigen Wirtschafts- und Währungsunion. Die weniger ambitionierten Vorschläge der Kommission hingegen, die hinter den Vorschlägen der Ad-hoc-Gruppe zurückfallen, stellen im Grunde genommen die rechtliche Formalisierung (in Form einer Entschließung und zweier Entscheidungen zur Annahme durch den Rat) einiger Anregungen des Werner-Plans dar. Die Unnachgiebigkeit, die aus den Worten von Raymond Barre spricht, hat aber noch einen weiteren Grund. Die Europäische Kommission möchte nämlich ihren Handlungen neuen Schwung geben und ihre Position sowohl bei der Umsetzung der großen, auf dem Gipfeltreffen von Den Haag angestoßenen Projekte als auch bei der Neuordnung der institutionellen Beziehungen festigen. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass dieser Gipfel von seinem Initiator, dem französischen Staatspräsidenten Georges Pompidou, als ausschließlich zwischenstaatliches Treffen geplant war, an dem die Gemeinschaftsorgane gar nicht teilnehmen sollten. Der zunächst eher ablehnend erscheinenden Kommission treten die wichtigen Impulse, die von einer solchen Konferenz für das europäische Aufbauwerk ausgehen können, immer deutlicher vor Augen. Sie beginnt zu handeln, sichert sich die Unterstützung der anderen Mitgliedstaaten und bewirkt ihre aktive Einbeziehung.14 Die Beschlüsse von Den Haag eröffnen der Kommission die Möglichkeit, Einfluss auf die vielen eingeleiteten Vorhaben zu nehmen. Dies trifft insbesondere auf die wirtschafts- und währungspolitische Zusammenarbeit zu, bei der die Kommission selbst ein Laboratorium darstellt. Sie will sich daher weder mit der Abwicklung des laufenden Tagesgeschäfts abspeisen noch auf eine Art Generalsekretariat reduzieren lassen.15 Gleiches gilt für die institutionellen Angelegenheiten, bei denen sich die Kommission als Hüterin der Verträge nicht an den Rand drängen lassen will, sondern vielmehr ihrem Gewicht im Entscheidungsdreieck, das sie mit dem Rat und dem Parlament bildet, mit all ihren Gemeinschaftsbefugnissen Geltung verschaffen möchte.16


Aber noch ein weiterer Aspekt lässt sich als Erklärung für diese scharfe Reaktion des Vizepräsidenten der Kommission anführen, nämlich die komplexen persönlichen Beziehungen zwischen Raymond Barre und Pierre Werner. Sie kennen sich seit langem, treffen sich häufig in europäischen Kreisen (so hatte Raymond Barre Pierre Werner als Vorsitzenden des Expertenausschusses vorgeschlagen) und respektieren einander. Doch trotz ihrer persönlichen Kontakte, die sie unerschütterlich bis zu ihrem Lebensende (und auch an der Euro-Front) pflegen, tauschen sie sich seinerzeit nicht über den Werner-Bericht und die damit zusammenhängenden grundsätzlichen Probleme aus. Aus den Archiven der Familie Pierre Werner geht jedenfalls nichts dergleichen hervor. Außerdem zeigt sich Barre stets verärgert, wenn die Verdienste des Expertenausschusses und von Pierre Werner herausgestellt werden. Es ist ein Widerspruch, ein Paradox. Erklären lässt sich dies nur mit einer Vermutung: Raymond Barre schätzt Pierre Werner sehr wegen seiner menschlichen Qualitäten, seiner Intelligenz, seines Charakters und seiner zurückhaltenden Art, denn diese Eigenschaften sind auch ihm zu eigen. Er bewundert auch dessen politische Karriere. Doch die Wirtschafts- und Währungsunion betrachten beide von unterschiedlichen Seiten. Aufgrund seiner Persönlichkeit und seiner langen, fast dreißigjährigen politischen Tätigkeit an der Spitze eines äußerst stabilen Landes betrachtet Pierre Werner die Dinge ganz selbstverständlich langfristig. Dieser Weitblick lässt ihn zukunftsweisende Überlegungen anstellen und Pläne entwickeln, die Jahre später unumstößliche Realität werden. Für ihn kommt Langfristigkeit vor Pragmatismus. Raymond Barre hingegen gehört zu jenen, denen die kurz- bis mittelfristige Perspektive wichtiger ist und die ihr Hauptaugenmerk auf möglichst rasche Fortschritte legen. Für sie sind kleine, aber konkrete Schritte angezeigt. Daraus resultieren eine stärkere Zurückhaltung und eine besondere Sorgfalt in Verfahrensfragen sowie bescheidenere Ansprüche bei den Zielen und Vorgehensweisen.


Nach der offiziellen Kenntnisnahme des Werner-Berichts17 unterbreitet die EG-Kommission dem Rat am 29. Oktober 1970 eigene Vorschläge sowie Entwürfe für eine Entschließung und zwei Entscheidungen zur stufenweisen Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion.18


Nachstehend wird der Inhalt dieser Dokumente kurz zusammengefasst.


Die Kommission ist der Auffassung, dass im Werner-Plan die grundlegenden Optionen einer Wirtschafts- und Währungsunion dargelegt werden, und spricht ihm das Verdienst zu, die Gemeinschaftsangelegenheiten vorangebracht zu haben. Auf der anderen Seite stellt sie jedoch fest, dass die Überlegungen der Sachverständigen nicht verbindlich seien.19 Gleichwohl bejaht die Kommission die Kernpunkte des Stufenplans, darunter die Notwendigkeit von Fortschritten auf dem Gebiet der politischen Einigung.20 Nach ihrer Meinung müssen die Vollendung der Wirtschaftsunion und die Verwirklichung der Währungsunion mit der Übertragung gewisser, bisher von den nationalen Behörden ausgeübter Befugnisse auf die Gemeinschaft einhergehen. Diese Übertragung müsse sich allerdings auf das beschränken, was für den Zusammenhalt der Union und die Wirksamkeit der gemeinschaftlichen Aktion notwendig sei. Die auf Gemeinschaftsebene festgelegte Politik müsse Gegenstand einer demokratischen Kontrolle durch das Europäische Parlament sein und die Sozialpartner müssten regelmäßig dazu konsultiert werden. Für die Führung der Wirtschafts- und Währungspolitik innerhalb der Union werden zwei supranationale Organe als unerlässlich angesehen: ein wirtschaftspolitisches Entscheidungsgremium und ein gemeinschaftliches Zentralbanksystem.


Kritik am Werner-Bericht übt die Kommission dahingehend, dass er es bei allgemeinen Hinweisen bewenden lasse, woraus sich die Notwendigkeit weiterer eingehender Untersuchungen ableite.21 Im Mittelpunkt einer solchen eingehenderen Untersuchung sollte einerseits das für die Gestaltung der Währungspolitik der Union zuständige gemeinschaftliche Zentralbanksystem stehen, dessen Natur und Zuständigkeiten präzisiert werden müssten. Zum anderen müsse klar festgelegt werden, was unter Gestaltung der Wirtschafts- und Währungspolitik der Union zu verstehen sei. Ebenso erforderlich seien Konkretisierungen in Bezug auf die neue institutionelle Architektur. „Die endgültige Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Gemeinschaftsinstitutionen einerseits, diesen Institutionen und den Behörden der Mitgliedstaaten andererseits kann jetzt noch nicht präjudiziert werden. Sie muss aber der Notwendigkeit Rechnung tragen, den Institutionen der Gemeinschaft eine echte Wirksamkeit und eine wirkliche demokratische Grundlage zu verleihen.“22


Für die Umsetzung dieser Maßnahmen sieht der Werner-Bericht eine gewisse Flexibilität vor und legt keinen genauen Zeitplan für die vorgesehenen Stufen fest. Lediglich die erste Stufe wird konkreter und ausführlicher beschrieben, wohingegen nur allgemeine Hinweise für den Übergang zum Endpunkt gegeben werden. Dieser Anschauung liegt jedoch weder Oberflächlichkeit noch ein Mangel an Vorstellungsvermögen oder Pragmatismus zugrunde. Sie ist das Ergebnis einer Arbeitsmethode, die Ministerpräsident Werner in Anlehnung an die Vorgehensweise bei der Errichtung des Gemeinsamen Marktes der Expertengruppe bereits auf ihrer vorbereitenden Sitzung am 11. März 1970 in Luxemburg nahegelegt hatte. Die Methode besteht darin, prioritäre Belange in den Mittelpunkt zu stellen sowie Ideen und praktische Lösungen für die Erreichung kurzfristiger Ziele zu entwickeln und dabei gleichzeitig Überlegungen und Erfahrungen zu berücksichtigen, die mittel- und langfristig von Nutzen sein könnten, auch wenn diese nicht unmittelbar auf der Hand liegen. So ermuntert er seine Ausschusskollegen, sich von Beginn an und während des gesamten Arbeitsprozesses Notizen zur Beschreibung der Stufen und der ihrer Ansicht nach zur Erreichung des Endziels erforderlichen Maßnahmen zu machen.23 Auf diese Weise konnten Übereinstimmungen und Divergenzen zwischen den einzelnen Positionen ermittelt und letztlich ein politischer Konsens hervorgebracht werden. Im Lichte dieses Grundsatzes bringt die Gruppe im Bericht ihren Wunsch zum Ausdruck, dass „eine gewisse Flexibilität für Anpassungen vorgesehen werden [muss], welche die Erfahrungen der ersten Stufe nahelegen könnten.“24


Die Kommission teilt diese Ansicht nicht und vertritt vielmehr den Standpunkt, dass das, was nach der ersten Stufe folgt, genauer hätte festgelegt werden müssen. Allerdings zeigt sie auch Verständnis dafür, dass die Werner-Gruppe während der begrenzten ihr zur Verfügung stehenden Zeit (von März bis Oktober 1970) keine eingehende Prüfung aller grundlegenden Fragen vornehmen konnte. Weniger nachsichtig zeigt sie sich hingegen in Bezug auf die Tatsache, dass „einige Anregungen, die in den von den Regierungen vorgelegten Dokumenten oder in der Mitteilung der Kommission vom 5. März 1970 für spätere Stufen enthalten sind“, von dem Expertenausschuss nicht untersucht wurden.


Was die erste dreijährige Stufe anbelangt, stimmt die Kommission den Vorstellungen des Werner-Plans im Großen und Ganzen zu. Dies betrifft insbesondere die Methode für die Koordinierung der kurzfristigen Wirtschaftspolitik und die schrittweise Verringerung der Bandbreiten zwischen den Währungen der Gemeinschaftsländer. Kritisch äußert sie sich wiederum zur Kürze, in der der Übergang zum Endpunkt beschrieben wird. Daher „hält es [die Kommission] nicht für möglich, detaillierte Bemerkungen über diese knappen Ausführungen des Werner-Berichtes […] zu machen.“25 Das Thema des vom Werner-Ausschuss für so wichtig erachteten (und schon für die erste Stufe vorgeschlagenen) Europäischen Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit umschifft die Kommission mit der unschlagbar diplomatischen Formulierung, dass „diese sehr wichtige Frage eine eingehendere Prüfung [verdient], die unverzüglich auf der Grundlage des Berichtes des Ausschusses der Zentralbankpräsidenten fortgesetzt werden sollte.“26 Die Vorbehalte der Kommission entspringen nicht allein dem schematischen Charakter der Ausführungen des Werner-Ausschusses, sondern vielmehr ihrer von der des Expertenausschusses abweichenden Herangehensweise. Der Linie von Raymond Barre folgend, ist die Kommission der Ansicht, dass die Verringerung der Bandbreiten im Mittelpunkt der Diskussionen und vor allem auch der Strategie des Stufenplans hätte stehen müssen, während ein Devisenausgleichsfonds erst nach der Schaffung geeigneter Mechanismen wirksam werden sollte. So betont der Vizepräsident der Kommission, dass „[…] der Fehler des ersten Werner-Berichts darin lag, dass das Beiwerk, nämlich der Devisenausgleichsfonds, in den Vordergrund und das Hauptelement, die Verringerung der Bandbreiten, in den Hintergrund gestellt wurde. Es war klar, dass einige Mitgliedstaaten es nicht hinnehmen würden, einen Devisenausgleichsfonds um seiner selbst willen zu schaffen. Ich persönlich bedauere dies, weil ich glaube, dass ein Ausgleichsfonds einen eindeutigeren Schritt im währungspolitischen Bereich darstellen könnte. Aber die Mitgliedstaaten sind wie sie sind. Wir müssen den Ansichten der verschiedenen Seiten Rechnung tragen.“27 Diese Worte sind nicht neu. Er hat sich bereits mehrfach in diesem Sinne geäußert, insbesondere auf der Tagung der Finanzminister am 29. Mai 1970 in Venedig sowie bei den (oben erwähnten) Aussprachen im Wirtschaftsausschuss des Europäischen Parlaments – doch nie zuvor in dieser Schärfe.


Die Kommission teilt die im Werner-Bericht geäußerte Auffassung, dass der Vertrag von Rom an die Erfordernisse der Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion angepasst werden muss. Die vorzunehmenden Anpassungen müssten nach Maßgabe der zu erzielenden Fortschritte definiert werden, und die Kommission verpflichte sich daher, vor dem Ende der ersten Stufe die Entwürfe der erforderlichen Vertragsänderungen vorzulegen.


Mit dem Hinweis darauf, dass „der [Werner]-Bericht einen wesentlichen Beitrag für die Arbeiten [liefert], welche die Organe der Gemeinschaft zur Festlegung des von den Staats- und Regierungschefs in Den Haag vorgesehenen Stufenplans durchführen“, betont die Kommission, dass „[…] das Terrain hinreichend vorbereitet [wurde], damit die Gemeinschaft schon Anfang 1971 den Prozess für die schrittweise Verwirklichung einer Wirtschafts- und Währungsunion in Angriff nehmen kann.“28 Sie empfiehlt dem Rat daher, vor Ende des Jahres 1970 eine Entschließung über die stufenweise Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion in der Dekade 1970-1980 anzunehmen. Darin sollte ein Aktionsprogramm für die erste Stufe im Zeitraum 1971-1973 festgelegt werden, die unlösbar mit dem vollständigen Prozess der Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion verbunden ist. Die Kommission hält zudem im Sinne einer politischen Willensbekundung zwei Entscheidungen für unerlässlich, und zwar einerseits über die Verstärkung der Koordinierung der kurzfristigen Wirtschaftspolitik und andererseits über die Verstärkung der Zusammenarbeit der Zentralbanken der Gemeinschaft, wodurch der Rat unverzüglich einen Anfang für die Durchführung des vorgenannten Aktionsprogramms machen würde.


In Anlehnung an die Schwerpunkte des Werner-Berichts steht im Mittelpunkt des ersten Vorschlags einer Entscheidung der Kommission die Koordinierung der mittelfristigen Wirtschaftspolitik. Es werden jährlich drei Tagungen vorgesehen, auf denen der Rat die Wirtschaftslage der Gemeinschaft prüft und gemeinsame Leitlinien für die kurzfristige Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten festlegt.29 Im Ergebnis dieser regelmäßigen Prüfungen sollte ein Jahresbericht über die Wirtschaftslage der Gemeinschaft verabschiedet werden, dessen Schlussfolgerungen dazu dienen, die Orientierungen festzulegen, die jeder Mitgliedstaat bei seiner Wirtschaftspolitik im folgenden Jahr zu beachten hat. Die Regierungen übermitteln diesen Bericht ihren nationalen Parlamenten zur Erörterung und als Grundlage für die Verabschiedung des Haushaltsplans für das darauffolgende Jahr. Auf diese Weise ließe sich eine echte Koordinierung der Haushaltspolitik in den Mitgliedstaaten auf den Weg bringen.


In der zweiten Entscheidung geht es um die Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen den Zentralbanken als Kernelement der ersten Stufe. Um die Abstimmung voranzutreiben30 sollten die Zentralbanken bei ihrer Geld- und Kreditpolitik konvergierenden Orientierungen folgen, die unter Federführung der Zentralbankpräsidenten festgelegt werden.31 In Bezug auf die Schaffung und die Aufgaben des Europäischen Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit überträgt die Kommission dem Währungsausschuss die Aufgabe, in enger Zusammenarbeit mit dem Ausschuss der Zentralbankpräsidenten bis spätestens 30. Juni 1972 einen Bericht zu erstellen, der dem Rat und der Kommission zugeleitet wird. In der Entschließung wiederum wird noch eine weitere Empfehlung des Werner-Plans aufgegriffen, und zwar in Bezug auf die europäische Währungssolidarität. Die Gemeinschaft soll in ihren Währungsbeziehungen zu Drittländern und internationalen Organisationen schrittweise gemeinsame Standpunkte einnehmen.


Das Maßnahmenbündel der ersten dreijährigen Stufe soll am 1. Januar 1971 in Angriff genommen werden. Die mit der Umsetzung der vereinbarten Strategie betraute Kommission wird dem Rat vor dem 1. Mai 1973 eine Mitteilung über die Fortschritte und über die Maßnahmen unterbreiten, die nach der ersten Stufe zu treffen sind, einschließlich eines Entwurfs zur Änderung des Vertrags gemäß dessen Artikel 236.32


Die Zentralbankpräsidenten äußern als erste ihre Unzufriedenheit darüber, wie sehr die Kommission den Werner-Bericht abgemildert hat. Bei den Diskussionen auf der ersten Sitzung des Ausschusses der Zentralbankpräsidenten nach der Veröffentlichung der Vorschläge der Kommission werden die Misshelligkeiten offenbar. Der Präsident der Bundesbank Karl Klasen stellt klar, dass er zwar voll und ganz dem Bericht der Werner-Gruppe zustimme, er aber gleiches für die Vorschläge der Kommission nicht behaupten könne. Sie gebe zwar gleiche Ziele vor, unterbreite aber nicht dieselben Ansichten. Die italienischen Mitglieder des Ausschusses sind der Auffassung, dass es den Vorschlägen der Kommission an Klarheit mangele und sie nur einen symbolischen Wert hätten. Sie vertreten die Auffassung, dass es für konkrete Fortschritte auf dem Weg zu einer Wirtschafts- und Währungsunion einer tatsächlichen Konvergenz der wirtschaftlichen Entwicklung und der währungspolitischen Zusammenarbeit zwischen den Partnern bedürfe.33


Ugo Mosca, Generaldirektor für Wirtschaft und Finanzen und Mitglied der Ad-hoc-Gruppe erwidert auf diese Bedenken, dass sich die beiden Dokumente tatsächlich nur in der Form unterscheiden würden. „Der Unterschied zwischen den Dokumenten liegt im Wesentlichen in der Präsentation, da der Werner-Gruppe hochqualifizierte Persönlichkeiten angehörten, die stets funktional dachten, während die Kommission den rechtlichen und politischen Erfordernissen entsprechende Worte wählte.“34


Ein zusammenfassender Vergleich zwischen dem Werner-Bericht und den Vorschlägen der Kommission zeigt, dass sich die Ansichten in vielen Schwerpunktbereichen ähneln, jedoch unterschiedliche Akzente gesetzt wurden. Übereinstimmung herrscht vor allem in Bezug auf das Endziel und die Bekräftigung des irreversiblen Charakters der Wirtschafts- und Währungsunion, deren Errichtung die politische Verpflichtung der Mitgliedstaaten zugrunde liegt. In diesem Prozess spielt die erste Stufe eine entscheidende Rolle, um zu einer „Gemeinschaft der Stabilität und des Wachstums“ zu gelangen. Beim Grundsatz der Parallelität von verstärkter Koordinierung der Wirtschaftspolitik und verstärkter Koordinierung der Währungspolitik wird im Werner-Bericht Nachdruck auf die Währungspolitik einschließlich ihrer sozialen Auswirkungen35 gelegt, während die Kommission diesem Bereich weniger Aufmerksamkeit schenkt und bescheidenere Fortschritte in der ersten Stufe für ausreichend hält. Über die Notwendigkeit der Anpassung des Römischen Vertrags insbesondere in Vorbereitung der zweiten Stufe herrscht ebenso Einigkeit wie darüber, dass die Übertragung von Zuständigkeiten von nationaler auf Gemeinschaftsebene unerlässlich ist. Im Gegensatz zum Werner-Bericht, in dem die institutionelle Ausgestaltung durch neue Gemeinschaftsorgane betont wird36, vertritt die Kommission allerdings den Standpunkt, dass diese Übertragungen vollständig im Rahmen der bestehenden Organe vollzogen werden können. Gleichwohl bedürfe es einer Neuordnung der Zuständigkeiten und der Verbindungen zwischen diesen Organen einerseits sowie zwischen diesen und den nationalen Behörden andererseits.


In all diesen Bereichen werden wir weiter an den Beziehungen zwischen der Kommission und dem Rat arbeiten, d. h. auf den Rat einwirken, damit Entscheidungen in den verschiedenen Bereichen getroffen werden, denn […] es sind nicht die Berichte, nicht die Pläne und auch nicht die Absichtserklärungen sind, die zählen, sondern es sind die Beschlüsse. […]. Ziel der Kommission in den nächsten Monaten und insbesondere bis zur Ratstagung Ende Dezember wird es sein, den Rat dazu zu bewegen, eine Reihe von konkreten Entscheidungen zu verabschieden, die klar belegen, dass wir uns endgültig auf den Weg zu einer besseren wirtschafts- währungs- und finanzpolitischen Organisationsform der Gemeinschaft begeben haben.“37


In dem von den Staats- und Regierungschefs vorgegebenen Zeitplan war als Frist für diese Entscheidungen der 31. Dezember 1970 festgelegt worden.





1 Vorbehaltlich anders lautender Angaben ist die Quelle aller in dieser Studie zitierten Dokumente: www.cvce.eu.

2 Siehe PAYE, Jean-Claude. Le rôle de la Commission des Communautés, 1967-1973. In: Le rôle des ministères des Finances et de l’Économie dans la construction européenne (1957-1978). Veröffentlichung der Vorbereitungstage in Bercy am 14. November 1997 und 29. Januar 1998. Paris: Comité pour l’Histoire économique et financière de la France, 2002, Bd. 2, S. 120.

3 Der Werner-Gruppe gehören die Vorsitzenden des Währungsausschusses (der Franzose Bernard Clappier), des Ausschusses der Präsidenten der Zentralbanken (der Belgier Hubert Ansiaux), des Ausschusses für mittelfristige Wirtschaftspolitik (der Deutsche Johann Baptist Schöllhorn), des Ausschusses für Konjunkturpolitik (der Niederländer Gerard Brouwers) und des Haushaltsausschusses (der Italiener Gaetano Stammati) an. Die Kommission wird vom Generaldirektor für Wirtschaft, Ugo Mosca, vertreten. Siehe Kapitel 2 „Einsetzung des Werner-Ausschusses und Verlauf seiner Arbeiten (März-Oktober 1970)“.

4 Das Sekretariat des Werner-Ausschusses steht unter der Leitung des Franzosen Georges Morelli, Beamter in der DG II der EG-Kommission.

5 Siehe Le contenu des propositions de la Commission européenne au Conseil des ministres en matière de coopération monétaire et financière au sein de la CEE: M. Marjolin souligne la signification et la portée, Agence Europe, Nr. 1590, Brüssel 1.7.1963.

6 Vermerk der Kommission Nr. 700225 vom 26.1.1970.

7 Aus dem Familienarchiv Pierre Werner geht hervor, dass die Festlegung sowohl der protokollarischen Behandlung als auch der Vergütung aller dem Ad-hoc-Ausschuss angehörigen Experten (Vollmitglieder, Stellvertreter, hinzugezogene Spezialisten) dem Vizepräsidenten Raymond Barre zu verdanken war, der die notwendigen Bedingungen vorgeschlagen und bei der Kommission durchgesetzt hatte. Siehe Vermerk Ref. II-DG/AM.1f/13.III.1970, S. 29, Historische Archive der Europäischen Kommission, Brüssel.

8 Siehe Familienarchiv Pierre Werner, Ref. PW 047 mit der Überschrift „Groupe Werner: Antécédents, préparatifs et réunions 1968-1970“ [Werner-Gruppe: Vorgeschichte, Vorbereitungen und Sitzungen 1968-1970] und Ref. PW 048 mit der Überschrift „Intégration monétaire de l’Europe. Le Plan Werner: 1970“ [Währungsintegration Europas. Der Werner-Plan: 1970].

9 Siehe Abschnitt 2.2 „Einsetzung des Werner-Ausschusses und Verlauf seiner Arbeiten“.

10 Ebenda.

11 Stellungnahmen der Abgeordneten Lange, Bousch (Berichterstatter des Wirtschaftsausschusses zum Stufenplan) und Springorum. Wirtschaftsausschuss des Europäischen Parlaments, Sitzung vom 28.-29.9.1970 in Brüssel. Protokoll der Sitzung, siehe PE/II/PV/70-14, S. 9.

12 Redebeitrag von Raymond Barre. Tonband 218. Abschrift. Wirtschaftsausschuss des Europäischen Parlaments, Sitzung vom 28.-29.9.1970 in Brüssel, S. 11. Familienarchiv Pierre Werner, Ref. PW 048.

13 Ebenda, S. 8.

14 Die aufgrund der Vorbehalte Frankreichs in den Hintergrund und auf die rein fachliche Ebene gedrängte Kommission wird aktiv und erreicht, dass die anderen Mitgliedstaaten ihre Teilnahme am Gipfeltreffen unterstützen. Dort erläutert sie ihre Vorstellungen von der Dreierstrategie „Vollendung – Vertiefung – Erweiterung“ und stellt Überlegungen zur Vollendung der Zollunion durch die Einführung einer Wirtschafts- und Währungsunion an, die Raymond Barre nachdrücklich befürwortet. Siehe: Die Europäische Kommission (1958-1972) – Geschichte und Erinnerungen einer Institution (unter der Leitung von Michel Dumoulin), Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, 2007. Am 22. Juni 1970, am Vorabend des Amtsantritts von Präsident Malfatti, übermittelt ihm der Generalsekretär Emile Noël ein Schreiben, in dem er auf die Gefahr der Schwächung der Kommission sowie die Notwendigkeit hinweist, ihre Beziehungen zum Rat und zum AStV neu zu bestimmen. „Die Kritik am Handeln der Kommission und die Anfechtungen ihrer Rolle […] haben zugenommen und treten seit 1967 immer deutlicher im Rat, im Parlament wie auch in der europäischen und internationalen Presse zutage“. Dokument zitiert von Thérèse Bitsch in: Le développement de la Commission unique (1967-1972), S. 148.

15 Raymond Barre stimmt darin völlig mit dem neuen Präsidenten der Europäischen Kommission, Franco Maria Malfatti, überein, der dieses Ziel in seiner programmatischen Rede am 15. September 1970 vor dem Europäischen Parlament deutlich zum Ausdruck gebracht hatte. Erklärung von Franco Maria Malfatti, Präsident der Europäischen Kommission, vor dem Europäischen Parlament. Straßburg, 15. September 1970. Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, 1970.

16 Ebenda, S. 142-148. Am 22. Juni 1970, am Vorabend des Amtsantritts von Präsident Malfatti, übermittelt ihm der Generalsekretär ein Schreiben, in dem er auf die Gefahr der Schwächung der Kommission sowie die Notwendigkeit hinweist, ihre Beziehungen zuallererst zum Rat (aber auch zum AStV) neu zu bestimmen. „Die Kritik am Handeln der Kommission und die Anfechtungen ihrer Rolle […] haben zugenommen und treten seit 1967 im Rat, im Parlament wie auch in der europäischen und internationalen Presse immer deutlicher zutage“. Dokument zitiert von Thérèse Bitsch in: Le développement de la Commission unique (1967-1972).

17 Der Werner-Bericht sieht für die Errichtung der Wirtschafts- und Währungsunion zwei wesentliche Stufen vor, die sich über einen Zeitraum von zehn Jahren (1971-1980) erstrecken und an deren Ende die irreversible Konvertibilität der Währungen der Mitgliedstaaten, die völlige Liberalisierung des Kapitalverkehrs und die unwiderrufliche Festlegung der Wechselkurse, um nicht zu sagen die Ersetzung der Landeswährungen durch eine einheitliche Währung stehen. Die erste Stufe ist genau definiert. Sie soll am 1. Januar 1971 beginnen, drei Jahre dauern und dafür sorgen, dass die ökonomische Infrastruktur angepasst und der Boden für institutionelle Fortschritte bereitet wird. So sollen die wirtschafts- und währungspolitischen Leitlinien schrittweise gemeinsam festgelegt werden. Die Wechselkursbeziehungen zwischen den Währungen der Mitgliedsstaaten werden allmählich gefestigt und die Bandbreite ihrer Schwankungen im Allgemeinen relativ stabil gehalten. Nach der Bewertung dieser ersten Stufe und im Einklang mit konkreten Handlungsoptionen sowie gegebenenfalls nach einer Übergangsphase beginnt die zweite Stufe. Diese zweite große Stufe beinhaltet die Fortsetzung der eingeleiteten Maßnahmen in zunehmend verbindlicheren Formen mit dem Ergebnis, dass unwiderrufliche Wechselkurse zwischen den verschiedenen Währungen festgelegt und im Idealfall eine einheitliche Währung eingeführt werden. Zur Vorbereitung der Endstufe ist die Einrichtung eines währungspolitischen Solidaritätsmechanismus zwischen den Mitgliedstaaten vorgesehen, d. h. die Schaffung eines „Europäischen Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit“ unter der Verantwortung der Zentralbanken. Zudem wird ein Rat eingerichtet, der die makroökonomische Politik der Sechs festlegen soll. Auf institutioneller Ebene sieht der Werner-Bericht ein „wirtschaftspolitisches Entscheidungsgremium“ vor, das „einem Europäischen Parlament gegenüber politisch verantwortlich sein [muss]“ sowie ein „gemeinschaftliches Zentralbanksystem“. Diese institutionelle Gestaltung, die eine weitreichende Übertragung von bisher nationalen Zuständigkeiten auf die Gemeinschaftsebene notwendig macht, schließt eine Überarbeitung der Verträge ein. Vorgesehen ist zudem die Konsultation der Sozialpartner vor allen wichtigen währungspolitischen Entscheidungen.

18 Mitteilung und Vorschläge der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat über die stufenweise Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion, Dokument KOM(70) 1250, 29.10.1970. In: Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, C 140 vom 26. November 1970, Sonderbeilage zum Bulletin 11/1970, Luxemburg, 11. November 1970, S. 1. (Dokument eingesehen am 10. Oktober 2012.)

19 In der Sitzung des Wirtschaftsausschusses des Europäischen Parlaments am 28. und 29. September erläutert Raymond Barre gegenüber den Mitgliedern, dass aus seiner Sicht weder die Überlegungen des Werner-Ausschusses noch die Ergebnisse seiner Arbeit verbindlich seien. So bezeichnet er den Stufenplan als „[…] eine Reihe von Betrachtungen, die von Experten formuliert wurden, die im Übrigen als unabhängige Sachverständige gelten. Der Rat und die Kommission haben sich auf die Ausschussvorsitzenden verständigt, da diese mit den Gemeinschaftsangelegenheiten vertraut sind, aber sie nehmen ihre Aufgabe in persönlicher Eigenschaft wahr, genauso wie Ministerpräsident Werner den Vorsitz in dem Ausschuss in persönlicher Eigenschaft und nicht als Mitglied des Rates innehat, da sowohl der Rat als auch die Kommission sehr bedacht darauf waren, dass die Aufteilung der Befugnisse der Gemeinschaftsorgane durch diese Angelegenheit in keiner Weise berührt wird“.

20 Auf diesen Aspekt wird in Ziffer 15 des Schlusskommuniqués der Konferenz der Staats- und Regierungschefs vom 1. und 2. Dezember 1969 in Den Haag hingewiesen, in dem es heißt, die Staats- und Regierungschefs […] beauftragten die Außenminister mit der Prüfung der Frage, wie, in der Perspektive der Erweiterung, am besten Fortschritte auf dem Gebiet der politischen Einigung erzielt werden können. Die Minister werden dazu vor Ende Juli 1970 Vorschläge machen.“ In: Bulletin der Europäischen Gemeinschaften. Januar 1970, Nr. 1, S. 12, S. 15-17. (Dokument eingesehen am 10. Oktober 2012.)

21 Zu den Elementen, die im Werner-Bericht als nicht gründlich genug erörtert betrachtet werden, gehören der europäische Kapitalmarkt und bestimmte Steueraspekte, denen die Kommission und vor allem Raymond Barre besondere Bedeutung beimessen. Die Kommission erklärt sich jedoch zufrieden mit der im Werner-Bericht vorgesehenen Verringerung der Bandbreiten (das Wechselkurssystem in der ersten Stufe).

22 Ebenda, S. 17.

23 Siehe insbesondere die Handschriftlichen Notizen von Pierre Werner in Vorbereitung des Beginns der Arbeiten der Werner-Gruppe. Diese Notizen enthalten verschiedene Anmerkungen zum Snoy-Plan, Schiller-Plan und ersten Barre-Plan (die von Belgien, Deutschland bzw. der Kommission auf der Sitzung der Finanzminister am 24. Februar 1970 vorgelegt wurden), die die Position von Pierre Werner verdeutlichen (die er wiederum im Luxemburger Plan darlegte, der ebenfalls auf dieser Sitzung unterbreitet wurde). Diese Aufzeichnungen, die vermutlich zwischen dem 25. Februar und dem 10. März 1970 verfasst worden sind, bildeten auch die Grundlage für seine Rede, mit der er den Auftakt zu den Arbeiten des Werner-Ausschusses gab. Familienarchiv Pierre Werner, Ref. 047. (Dokument eingesehen am 10. Oktober 2012.)

24 Bericht an Rat und Kommission über die stufenweise Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion in der Gemeinschaft („Werner-Bericht“). Luxemburg, 8. Oktober 1970, Sonderbeilage zum Bulletin 11/1970, S. 1. (Dokument eingesehen am 10. Oktober 2012.)

25 Ebenda, S. 4.

26 Ebenda.

27 Redebeitrag von Raymond Barre. Tonband 218. Abschrift, Sitzung vom 28.-29.9.1970 in Brüssel, S. 10. Wirtschaftsausschuss des Europäischen Parlaments. Familienarchiv Pierre Werner, Ref. PW 048.

28 Ebenda, S. 5.

29 Dem speziellen Zeitplan zufolge findet die erste Prüfung im Laufe des Monats Februar statt. Auf ihr soll eine Bilanz über die Wirtschaftspolitik des vergangenen Jahres erstellt und die Wirtschaftspolitik des laufenden Jahres an die Erfordernisse der wirtschaftlichen Entwicklung angepasst werden. Eine zweite Prüfung ist für Juni geplant. Ihr Ziel ist es, die Politik des laufenden Jahres zu beurteilen und im Rahmen kompatibler Vorwirtschaftsbudgets quantitative Orientierungsdaten für die öffentlichen Haushalte des folgenden Jahres festzulegen, bevor die Regierungen der Mitgliedstaaten endgültig die Entwürfe der Haushaltspläne beschließen. Diese Orientierungsdaten betreffen die Veränderung des Haushaltsvolumens, den Umfang der Salden und die Art ihrer Finanzierung oder Verwendung. Die dritte Prüfung findet schließlich im Oktober statt. Bei dieser Gelegenheit billigt der Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments einen Jahresbericht über die Wirtschaftslage der Gemeinschaft, der es gestattet, die Orientierungen festzulegen, die jeder Mitgliedstaat bei seiner Wirtschaftspolitik im folgenden Jahr zu beachten hat.

30 Die Europäische Kommission betont, dass um nach Maßgabe dieser konvergierenden Orientierungen eine ständige Kohärenz der Politiken der Zentralbanken sicherzustellen, Beschlüsse oder Maßnahmen, die von diesen Orientierungen abweichen, von einer Zentralbank erst in Kraft gesetzt werden dürfen, wenn eine obligatorische Vorkonsultation mit den anderen Zentralbanken stattgefunden hat.

31 Auf diesen regelmäßig abzuhaltenden Sitzungen sollen die Zentralbankpräsidenten – unter Beachtung der vom Rat festgelegten wirtschaftspolitischen Leitlinien – übereinkommen, welche Maßnahmen die Zentralbanken im Bereich der Geld- und Kreditpolitik treffen werden. Dies gilt in der Hauptsache für das Zinsniveau, die Entwicklung der Bankenliquidität und die Kreditgewährung an den öffentlichen und privaten Sektor.

32 In Artikel 236 des Vertrags über die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Sechster Teil, Allgemeine und Schlussbestimmungen) heißt es: „Die Regierung jedes Mitgliedstaates oder die Kommission kann dem Rat Entwürfe zur Änderung dieses Vertrages vorlegen. Gibt der Rat nach Anhörung der Versammlung und gegebenenfalls der Kommission eine Stellungnahme zugunsten des Zusammentritts einer Konferenz von Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten ab, so wird diese vom Präsidenten des Rates einberufen, um die an diesem Vertrag vorzunehmenden Änderung zu vereinbaren. Diese Änderungen treten in Kraft, nachdem sie von allen Mitgliedstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften ratifiziert worden sind“.

33 Siehe Protokoll der 44. Sitzung des Ausschusses der Zentralbankpräsidenten. Basel: 8. November 1970, EZB. In dieser Angelegenheit ergreifen als Vertreter Italiens im Ausschuss der Zentralbankpräsidenten Paolo Baffi, stellvertretend für den Präsidenten der Banca d’Italia, Guido Carli, und Rinaldo Ossola das Wort. (Dokument eingesehen am 10. Oktober 2012.)

34 Ebenda, S. 4.

35 „[…] sollte insbesondere die Einkommensentwicklung in den verschiedenen Mitgliedstaaten auf Gemeinschaftsebene unter Beteiligung der Sozialpartner beobachtet und diskutiert werden.“ Bericht an Rat und Kommission über die stufenweise Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion in der Gemeinschaft (Werner-Bericht), Luxemburg, 8. Oktober 1970, Sonderbeilage zum Bulletin 11-1970, S. 3.

36 „Diese Übertragung von Befugnissen ist ein Vorgang von grundlegender politischer Bedeutung, der eine progressive Entwicklung der politischen Zusammenarbeit voraussetzt“. Ebenda, S. 1.

37 Ebenda, S. 11.

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