Reactions to the Werner Report

Reaktionen auf den Werner-Bericht1


Die Arbeiten des Werner-Ausschusses entfachen eine gewisse schöpferische Leidenschaft und einen Mitgestaltungswillen in den verschiedensten Kreisen, was sich nach der Veröffentlichung des endgültigen Berichts noch verstärkt.


Die Gemeinschaftsorgane (Parlament, Kommission, Rat) und die politischen Organe der Mitgliedstaaten nehmen jeweils Stellung, zunächst zum Zwischenbericht und später zum endgültigen Bericht. Wirtschaftsverbände, Gewerkschaftsorganisationen und einfache Bürger tun es den Europapolitikern gleich und verschaffen sich Gehör.2 Selber als Akteure oder als Zeitzeugen an der Errichtung der Wirtschafts- und Währungsunion beteiligt, nähren diese Einrichtungen und Einzelpersonen die Debatte mit ihren öffentlichen Stellungnahmen und Kommentaren und gehen in vielfältiger Form auf die verschiedenen Aspekte des Werner-Berichts und der Vorschläge der Kommission ein. Die Medien verbreiten diese Stellungnahmen und bemühen sich, ihre Leser zu informieren und ihnen die Grundlagen und die Bedeutung des Stufenplans nahezubringen. Auch Wissenschafts- und Hochschulkreise in Europa und den USA zeigen Interesse für die Arbeiten der Werner-Gruppe.3


An dieser Stelle ist eine Klarstellung des Begriffs „Werner-Bericht“ angezeigt, bei dessen Verwendung es immer wieder zu terminologischen Verwechslungen kommt. Mit genau diesem Titel werden nämlich nicht nur zwei aus unterschiedlichen Quellen stammende Dokumente (der Bericht des Ad-hoc-Ausschusses und das Dokument der Kommission) bezeichnet, sondern auch zwei verschiedene Fassungen des Stufenplans (der Zwischenbericht und der endgültige Bericht).


Der am 8. Oktober 1970 veröffentlichte echte Werner-Bericht wurde von der nach dem Gipfeltreffen von Den Haag eingerichteten Ad-hoc-Gruppe unter der Leitung des luxemburgischen Ministerpräsidenten – und Namensgeber des Berichts – Pierre Werner erarbeitet, die Überlegungen zur Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion angestellt hat. Fälschlicherweise ebenfalls als Werner-Bericht bezeichnet wird ein Dokument, das die EG-Kommission dem Rat am 29. Oktober 1970 vorlegte, das aber deutlich abgeschwächt ist und den Überlegungen, die ihm als Inspirationsquelle dienten, teilweise zuwiderläuft. Der echte Werner-Bericht wurde von den verschiedenen Kreisen positiv aufgenommen und der Titel zu einem erfolgversprechenden und gern benutzten Schlagwort bei Journalisten. Dieses positive Image übertrug sich nahezu von selbst auf das Dokument der Kommission, das von diesem Missverständnis profitierte, was die Debatten im Europäischen Parlament sowie auch die Beratungen im Rat deutlich belegen.4 Die Begriffsverwirrung wird noch durch zwei weitere Umstände verkompliziert und verstärkt. Erstens: Mit den Begriffen Werner-Bericht bzw. Werner-Plan wurden bei den Debatten im Europäischen Parlament sowohl der Zwischenbericht als auch der endgültige Bericht bezeichnet. Zweitens: Das Kommissionsdokument bezieht sich auf den Zwischenbericht, der den gesamten gemeinschaftlichen Genehmigungsprozess durchlaufen hatte und dessen weniger tiefgreifende, ja sogar weniger differenzierte Schlussfolgerungen – da sie ja das Ergebnis eines noch nicht abgeschlossenen Prozesses waren – zweifellos konsensträchtiger und politisch weniger unbequem waren als die Schlussfolgerungen des endgültigen Berichts.


Die Wissenschafts- und Hochschulkreise Europas und der USA zeigen Interesse für die Arbeiten der Werner-Gruppe, zumal die aufgezeigten praktischen Lösungen mit theoretischen Definitionen hinsichtlich der Wirtschafts- und Währungsunion einhergehen. So wird der Vertreter der Kommission, der an einem Anfang Februar 1970 in Madrid abgehaltenen Seminar zum Thema optimale Währungszone teilnimmt, beispielsweise ersucht, die anwesenden, vornehmlich amerikanischen Professoren über die verschiedenen Pläne zur stufenweisen Errichtung der Wirtschafts- und Währungsunion sowie über die diesbezüglichen Dokumente zu informieren. Es werden mehr als zwölf Anfragen gestellt, aber letztendlich wird nur den Bitten der Professoren Triffin und Machlup5 entsprochen. Zu den übrigen Anfragen nimmt die Kommission später Stellung.6

1 Die Liste der Quellen und die Analyse der in diesem Kapital behandelten Fragen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Als vorrangige Quellen dienten die Archive der Familie Pierre Werner sowie andere einschlägige Quellen aus den Beständen der Institutionen.

2 Siehe Abschnitt 2.2 „Einsetzung des Werner-Ausschusses und Verlauf seiner Arbeiten“.

3 Ebenda.

4 Siehe Abschnitte 4.1 „Reaktionen des Europäischen Parlaments“ und 4.3 „Reaktionen des Rates“.

5 Fritz Machlup (1902-1983), österreichischer Ökonom, spielte eine große Rolle bei der Entwicklung der Wirtschaftswissenschaften (methodologische, theoretische und politische Aspekte). Er studierte bei Friedrich von Wieser und Ludwig von Mises und promovierte 1925 zum Thema Die Goldkernwährung (The Gold Exchange Standard). Machlup war in Österreich als Hochschullehrer tätig und veröffentlichte 1927 ein Werk über die Einführung der Goldkernwährung in Europa. 1931 veröffentlichte er zwei wichtige Artikel zu den Folgen der Reparationszahlungen des Deutschen Reiches nach dem Ersten Weltkrieg bzw. zu Börsenkrediten und Kapitalbildung. Mit einem Rockefeller-Stipendium reiste er in die USA, wo er an den Universitäten von Harvard, Columbia und Stanford lehrte. Er widmete sich zunächst dem Thema Industriewirtschaft und beschäftigte sich später mit der internationalen Geldwirtschaft. Auf seine Initiative entstand 1963 das universitäre Expertengremium „Bellagio Group“, das sich mit diesem Thema beschäftigen, einen akademischen Konsens herbeiführen und praktische Lösungen vorschlagen sollte. Durch seinen Erfolg in diesem Gremium und seine Veröffentlichungen (Werke und Artikel zur internationalen Devisenkrise und deren Lösung) wurden Regierungen und Zentralbankdirektoren auf ihn aufmerksam. Robert Triffin bezeichnete ihn als „unumstrittenen Intellektuellen und Anführer und Ratgeber bei unseren vergeblichen Bemühungen, ein angeschlagenes internationales Währungssystem zu reformieren“. Er wurde mehrfach für den Nobelpreis nominiert, den er aber nie erhielt.

6 Dies zeigen die eingehenden Studien in den Historischen Archiven der EWG-Kommission (Brüssel) und im Familienarchiv Pierre Werner, Ref. PW 048 „Intégration monétaire de l'Europe. Le Plan Werner 1970“.

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