The Werner Report and the Delors Report

Werner-Bericht und Delors-Bericht1


Der Werner-Bericht, der offiziell am 8. Oktober 1970 vorgelegt wurde2, sieht die Errichtung der Wirtschafts- und Währungsunion in drei Stufen über einen Zeitraum von zehn Jahren vor (1971-1980).3 Das Endziel besteht in der irreversiblen Konvertibilität der Währungen der Mitgliedstaaten, der völligen Liberalisierung des Kapitalverkehrs, der unwiderruflichen Festlegung der Wechselkurse und sogar der Ersetzung der Landeswährungen durch eine einheitliche Währung. Der vom Werner-Ausschuss entwickelte Stufenplan sieht die Schaffung eines „wirtschaftspolitischen Entscheidungsgremiums“4 vor, das der demokratischen Kontrolle des (aus allgemeinen Wahlen hervorgegangenen) Europäischen Parlaments unterstellt wird, sowie eines "gemeinschaftlichen Zentralbanksystems" angeregt, wobei diese institutionelle Ausgestaltung eine Änderung der Verträge bedingt. Der Beginn der Realisierung dieses Plans fällt allerdings mit einer Kette aufeinanderfolgender und sich überlagernder Krisen5 zusammen, in deren Folge die Umsetzung de facto ausgesetzt wird.


Trotz seiner gescheiterten praktischen Anwendung in den 1970er Jahren stellt dieser Bericht einen entscheidenden Schritt im europäischen Aufbauprozess dar. Die währungspolitische Geschichte Europas lässt sich untergliedern in die Zeit vor dem Werner-Bericht und die Zeit danach. „Bis zu diesem Bericht, der untrennbar mit der Konferenz von Den Haag verknüpft ist, hielten die Mitgliedstaaten an der Perspektive einer Wirtschaftsunion, zumindest eines gemeinsamen Marktes, fest, die sie für realisierbar hielten, wenn sie im Währungsbereich lediglich ihre Politik koordinierten. Nach der Konferenz von Den Haag und dem Werner-Bericht haben sie akzeptiert, dass die Wirtschaftsunion ohne die schrittweise Verwirklichung der Währungsunion nicht erreicht werden kann.“6


Auch nach seiner Zurückstellung aufgrund der Verschlechterung der internationalen Konjunkturlage bleibt der Werner-Plan eine Inspirationsquelle für Überlegungen zur europäischen Währungsintegration sowie für zahlreiche spätere politische und wissenschaftliche Initiativen7, insbesondere den Delors-Bericht.8 Um diesen Bericht wird es in einem zukünftigen Forschungskomplex des CVCE zum Thema „Wirtschafts- und Währungsunion“ gehen. Daher beschränkt sich dieser, dem Werner-Bericht gewidmete Forschungskomplex auf eine umfassende Sammlung der mit diesem Bericht im Zusammenhang stehenden Quellen.


Eine vergleichende Analyse zwischen dem Werner-Plan und dem Delors-Bericht wäre ein eigenes Forschungsthema und ginge über den Rahmen dieses Themenkomplexes hinaus. Raum gegeben sei hier lediglich einem virtuellen Dialog zwischen diesen beiden Persönlichkeiten. In einer Abhandlung aus dem Jahr 19899 wirft Pierre Werner einen vergleichenden Blick auf beide Stufenpläne. Jacques Delors10 wiederum analysiert die Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen beiden Berichten auf einer Konferenz im Jahr 1992.









Virtueller Dialog zwischen Pierre Werner und Jacques Delors

Pierre Werner

Zwischen dem Delors- und dem Werner-Bericht gibt es keinen grundsätzlichen Unterschied hinsichtlich der Doktrin und der Methode… Der Delors-Bericht zitiert öfters den Werner-Bericht hinsichtlich der Voraussetzungen einer vollwertigen Union, nämlich die vollständige und unwiderrufliche Konvertibilität der Währungen, die Beseitigung der Bandbreiten der Wechselkurse, die unwiderrufliche Festsetzung der Paritätsverhältnisse und die völlige Liberalisierung des Kapitalverkehrs.“11


Jacques Delors

Man kann sagen, dass das von uns vorgeschlagene Gesamtkonzept und sogar der Aufbau der Delors-Berichts maßgeblich auf den Werner-Bericht zurückgeht […] Der Bericht des Delors-Ausschusses beruht auf demselben Ansatz wie der Bericht des Werner-Ausschusses.“12


[Im Bericht des Delors-Ausschusses] … haben wir uns auf die drei aus dem Werner-Bericht übernommenen Stufen verständigt: Erste Stufe Verstärkung der Koordinierung ab 1. Juli 1990; zweite Stufe Übergangsstufe zur Endstufe und endgültige institutionelle Ausgestaltung der Wirtschafts- und Währungsunion; letzte Stufe unwiderrufliche Festlegung der Wechselkurse zwischen den Währungen untereinander und gegenüber der einheitlichen Währung.“13






1 Vorbehaltlich anders lautender Angaben ist die Quelle aller in dieser Studie zitierten Dokumente: www.cvce.eu.

2 Siehe Kapitel 3 „Werner-Bericht“.

3 Die erste Stufe soll am 1. Januar 1971 beginnen, drei Jahre dauern und dafür sorgen, dass die ökonomische Infrastruktur angepasst und der Boden für institutionelle Fortschritte bereitet wird. Die zweite Stufe baut auf den wirtschaftlichen und institutionellen Entwicklungen der ersten Stufe auf und führt zur dritten Stufe und damit zur Festlegung der Wechselkurse und, im Idealfall, zu einer einheitlichen Währung. (Der Einführung einer einheitlichen Währung wurde gegenüber der Beibehaltung der Landeswährungen eindeutig der Vorzug gegeben, auch wenn sie nicht als entscheidendes Kriterium betrachtet wurde).

4 Im wirtschaftspolitischen Bereich entwickelt der Werner-Bericht eine sehr weitreichende Zielvorstellung, indem er die Einrichtung eines Entscheidungsgremiums für die Konjunkturpolitik (Zinssätze, Verwaltung der Währungsreserven, Wechselkursparität usw.) und für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik, insbesondere im Hinblick auf die Haushaltspläne und die Modalitäten für die Finanzierung der Defizite anregt. Zudem wird in dem Bericht die Notwendigkeit herausgestellt, die nationalen Steuervorschriften zu harmonisieren und sich auf die Struktur- und Regionalpolitik der Gemeinschaft zu konzentrieren.

5 Es überlagern sich die Währungskrise 1971 (Nichtkonvertierbarkeit des US-Dollar), die erste Erdölkrise 1973, die Eisen- und Stahlkrise 1974, die Wirtschaftskrise 1975 und die zweite Erdölkrise 1979. Siehe Kapitel 5 „Die Umsetzung des Werner-Berichts“.

6 Siehe ANSIAUX (Baron), Hubert; DESSAERT, Michel. Dossier pour l'histoire de l'Europe monétaire 1958-1973. Löwen: Vander (Hrsg.), 1975, S. 1.

7 Siehe Unterabschnitt 6.1 „Pläne und Studien nach dem Werner-Bericht“.

8 Report on economic and monetary union in the European Community (the Delors Report). Committee for the Study of Economic and Monetary Union. Jacques Delors, Vorsitzender. Vorgestellt am 17. April 1989. Siehe auch: Bericht über die Wirtschafts- und Währungsunion in der Europäischen Gemeinschaft (Delors-Bericht). 12. April 1989. In: Europe Documents. Brüssel: 20. April 1989, Nr.°1550/1551. (Dokument eingesehen am 10. Oktober 2012.)

Auf dem Gipfeltreffen von Hannover (27. und 28. Juni 1988) beschließt der Europäische Rat, einen Sachverständigenausschuss unter dem Vorsitz von Jacques Delors einzusetzen und mit der Aufgabe zu betrauen, die konkreten Stufen auf dem Weg zur Wirtschaft- und Währungsunion (WWU) zu prüfen und Vorschläge hierzu zu unterbreiten. Jacques Delors selbst schlägt vor, dass diesem speziellen Ausschuss, der Überlegungen zur Währungsunion anstellen soll, die Zentralbankpräsidenten angehören sollten, die von den Regierungen unabhängiger seien als die bereits den Rat für Wirtschaft und Finanzen der Gemeinschaft (Ecofin) bildenden Finanzminister, von denen einige dem Vorhaben ablehnend gegenüberstünden. Nach lebhaften Diskussionen sagt der Präsident der Deutschen Bundesbank seine Mitarbeit bei dem Vorhaben unter der Bedingung zu, dass die künftige Europäische Zentralbank (EZB) unabhängig sein müsse. Der Delors-Bericht wird nach Zustimmung der Kommission am 12. April 1989 vorgelegt und übernimmt die bereits im Werner-Bericht von 1970 enthaltene Definition der Wirtschafts- und Währungsunion. Drei weitere Klauseln werden eingefügt: die vollständige und irreversible Konvertibilität der Währungen, die vollständige Liberalisierung des Kapitalverkehrs und die Festlegung von festen Wechselkursen zwischen den europäischen Währungen. Für die Harmonisierung der Steuer- und Haushaltspolitik im Zuge der Verwirklichung der WWU wird im Delors-Bericht ein dreistufiger Prozess vorgeschlagen. In der ersten Stufe erfolgen die Vollendung des Binnenmarktes durch die verstärkte Koordinierung der Wirtschaftspolitik und die währungspolitische Zusammenarbeit sowie die Einbeziehung aller Währungen in den Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems (EWS). In dieser Phase ist ein WWU-Vertrag auszuhandeln und zu ratifizieren. In einem zweiten Schritt erfolgt die Einführung eines Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB). In der abschließenden Phase werden bestimmte wirtschafts- und währungspolitische Zuständigkeiten auf die Organe der Union übertragen und es erfolgt der unwiderrufliche Übergang zu festen Wechselkursen und, soweit möglich, zu einer gemeinsamen Währung, die die Landeswährungen ersetzt. Der Delors-Plan legt damit die Maßnahmen für die Errichtung der WWU und die Übertragung der hierfür notwendigen Hoheitsrechte fest. Er enthält allerdings weder einen Zeitplan noch Fristen und überlässt dies der politischen Entscheidung der Mitgliedstaaten. Der Bericht des Delors-Ausschusses wird dem Europäischen Rat auf seiner Tagung am 26. und 27. Juni 1989 in Madrid vorgelegt. Die Arbeit des Ausschusses wird einstimmig von den zwölf Mitgliedstaaten gebilligt. Quelle: „Le rapport du comité Delors: Trois étapes pour faire l'union économique et monétaire européenne“ [Bericht des Delors-Ausschusses: Drei Stufen für die Errichtung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion]. In: Le Monde (18. April 1989). (Dokument eingesehen am 10. Oktober 2012.)

9 WERNER, Pierre. L’Union économique et monétaire d’un rapport à l’autre. [Die Wirtschafts- und Währungsunion: Von einem Bericht zum anderen.] September 1989. Familienarchiv Pierre Werner.

10 DELORS, Jacques. Monetary Cooperation in the Building of Europe. The 1992 Jean Monnet Lecture. London: The European Institute LSE, London School of Economics, 1992. Siehe auch: CLAVERT, Frédéric. Plan Werner et plan Delors: les non-dits d’une comparaison. Quelle: www.clavert.net. (Dokument eingesehen am 8 März 2013.)

11 WERNER, Pierre. Der Werner-Bericht und der Delors-Bericht zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion im Vergleich. In: Die Europäische Zentralbank. Bonn: Otmar Franz (Hrsg.), Europa Union Verlag, 1990, S. 175-178.

12 DELORS, Jacques. In: Pierre Werner – testimonies at the threshold of the 21st century. Dokumentarfilm, Europäische Kommission, 1999.

13 DELORS, Jacques. Mémoires. Paris: Editions Plon, 2004, S. 338.

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