Plans and studies drawn up after the Werner Report

Pläne und Studien nach dem Werner-Bericht1


Durch den Rückschlag, den der Stufenplan erleidet, werden die Verfechter dieses großen Projekts zunächst entmutigt. Doch ungeachtet des politischen Stillstands2 werden die Überlegungen zur Wirtschafts- und Währungsunion sowohl auf Betreiben der Kommission und einiger Regierungen als auch in Wissenschafts- und Hochschulkreisen sowie von privaten Einrichtungen und Wirtschaftswissenschaftlern fortgesetzt. So entsteht eine Reihe von Berichten, Studien und Forschungsarbeiten, die zur Verbesserung der währungspolitischen Zusammenarbeit beitragen3 und durch die Wahl des Themas oder des Ansatzes individuelle Anstöße für die 1977 in Gang gesetzte Neubelebung der Wirtschafts- und Währungsunion4 geben.


In diesem Abschnitt soll gezeigt werden, dass die Aussetzung des Werner-Berichts nicht das Ende der Überlegungen zu den Möglichkeiten der Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion bedeutete. Das belegen zahlreiche Dokumente, von denen die wichtigsten nachfolgend aufgeführt sind.


Bereits am 19. April 1973 legt die Kommission gemäß dem ihr vom Rat am 22. März 1971 erteilten Auftrag eine Bilanz der Ergebnisse der ersten Stufe und Vorschläge für die Fortsetzung des Prozesses, der zur Wirtschafts- und Währungsunion führen soll, vor. Ihr Bericht über die auf dem Weg zur Wirtschafts- und Währungsunion erzielten Fortschritte wird am 30. April 1973 veröffentlicht.5


Auf ihrer ersten Sitzung im August 1973 verfasst die WWU-Gruppe unter dem Vorsitz von L. Airey, Mitarbeiter im Büro des ständigen Vertreters des Vereinigten Königreichs bei den Europäischen Gemeinschaften, unter dem Titel Konkrete Vorschläge für die zweite Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion einen vertraulichen Vermerk6 für die Europäische Kommission.


Im Oktober 1973 übergibt die Studiengruppe zur Wirtschafts- und Währungsunion7 der Kommission einen von drei Hauptverfassern (Professor Dosser, Professor Magnifico und Professor Peeters) und einem weiteren hinzugezogenen Sachverständigen (Professor Neubauer) erarbeiteten Bericht mit dem Titel Europäische Wirtschaftsintegration und währungspolitische Einigung (besser bekannt unter der Bezeichnung Magnifico-Bericht). In diesem unter Leitung der Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen der Kommission erarbeiteten Bericht werden sämtliche Bereiche untersucht, auf die sich die Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion auswirken könnte, darunter die Preisstabilität, die Regionalpolitik und die Beschäftigungspolitik.


Am 16. September 1974 übermittelt der französische Finanzminister Jean-Pierre Fourcade den Mitgliedstaaten in der Absicht, den institutionellen Rahmen des Wechselkursmechanismus zu stärken, eine Mitteilung über neue Initiativen im Währungsbereich (Fourcade-Memorandum).8


Im Rahmen der Überlegungen zur Neubelegung der europäischen Währungspolitik erteilt der Ausschuss der Präsidenten der Zentralbanken einer Expertengruppe9 (Heyvaert-Gruppe) den Auftrag, ausgehend von den französischen Vorschlägen (Fourcade-Memorandum) die verschiedenen währungsspezifischen Aspekte der Rechnungseinheit zu analysieren und Vorschläge für eine eventuelle Überarbeitung der europäischen Rechnungseinheit zu entwickeln. Am 3. und 4. Dezember 1974 legen die Sachverständigen ihre Überlegungen zu den französischen Vorschlägen für ein koordiniertes Vorgehen auf den Euromärkten10 und zu den französischen Vorschlägen für die europäische Rechnungseinheit11 vor.


Am selben Tag unterbreitet der Währungsausschuss der Europäischen Gemeinschaften seinen Bericht zur Frage der europäischen Rechnungseinheit.12

Gegenstand des Marjolin-Berichts13 vom 8. März 1975, der von einer von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften beauftragten Expertengruppe unter dem Vorsitz des ehemaligen Vizepräsidenten der Kommission erarbeitet wurde, ist eine Analyse der Probleme bei der Errichtung der Wirtschafts- und Währungsunion vor dem Hintergrund der bis 1980 zu erwartenden tiefgreifenden Veränderungen. Die Bestandsaufnahme der Gesamtentwicklung im Zeitraum 1969-1975 führt mehr oder minder klar zutage, dass der Werner-Bericht keine Ergebnisse gebracht hat. „Wenn es Bewegung gab, dann eine rückwärts gerichtete. […] Die Idee eines vereinigten Europas, der die Mehrheit der Bevölkerung in den meisten Ländern der Gemeinschaft mit zurückhaltender Sympathie begegnet, hat keine Kraft mehr. Das Wohlwollen, das ihr im Allgemeinen entgegengebracht wird, geht mangels eines klaren politischen Bekenntnisses der politischen Entscheidungsträger meist mit Skepsis einher. […] Die gemeinschaftlichen Errungenschaften haben unter der Fliehkraftwirkung der nationalen politischen Maßnahmen sehr gelitten. […] Die Währungsturbulenzen, die 1969 eingesetzt haben, und die wiederholte Weigerung der Regierungen, Preisanpassungen der Landeswährungen vorzunehmen, die daraus eigentlich hätten folgen müssen, haben zu einem komplexen und für Nichteingeweihte völlig unverständlichen System von Ausgleichsbeträgen geführt. Die einheitlichen Agrarpreise in der Gemeinschaft haben Schaden genommen und der Binnenmarkt ist so zerstückelt, dass es schwer vorstellbar ist, wie er angesichts der unterschiedlichen Ansichten in absehbarer Zukunft wieder ‚zusammengefügt‘ werden könnte“.14 Neben den internationalen Rahmenbedingungen und dem Vorrang, der der nationalen Politik eingeräumt wird, lähmt auch der Widerstand (Frankreichs) gegen supranationale Institutionen die Wirtschafts- und Währungsunion, womit sich die (nie befolgten) Empfehlungen des Werner-Berichts bestätigen. „In einer Wirtschafts- und Währungsunion übertragen die nationalen Regierungen den Gemeinschaftsorganen den Einsatz aller wirtschafts- und währungspolitischen Instrumente, deren Wirkung sich in der gesamten Gemeinschaft entfalten muss. Diese Organe müssen darüber hinaus über einen eben solchen Ermessensspielraum verfügen wie ihn die nationalen Regierungen derzeit haben, damit sie unvorhergesehene Ereignisse meistern können“.15 Angesichts eines ständig wachsenden Zahlungsbilanzdefizits, einer zunehmenden Inflation und einer hohen Arbeitslosigkeit in der Gemeinschaft wird im Marjolin-Bericht ein unverzügliches und solidarisches Handeln für notwendig erachtet und zur Mobilisierung der Sozialpartner aufgefordert. Im Finanz- und Währungsbereich wird empfohlen, über den innereuropäischen Wechselkursmechanismus („Währungsschlange“) hinauszugehen und ein gemeinschaftliches System interner und externer Währungspolitik einzuführen (was 1979 in Form des europäischen Währungssystems geschieht). Parallel werden die Schaffung eines europäischen Devisenausgleichsfonds sowie die Einführung einer neuen europäischen Rechnungseinheit16 (basierend auf einem Währungskorb aus den Währungen der Mitgliedstaaten) empfohlen.


Neben dem Marjolin-Bericht entstehen im Zeitraum 1974-1978 im Zuge der intensiven Überlegungen zur Wiederbelegung der Wirtschafts- und Währungsunion noch weitere Pläne und praktische Vorschläge, die jedoch wirkungslos bleiben.17


1 Vorbehaltlich anders lautender Angaben ist die Quelle aller in dieser Studie zitierten Dokumente: www.cvce.eu.

2 Obgleich zu keiner Einigung hinsichtlich der zweiten Stufe der WWU gelangt, nimmt der Rat am 18. Februar 1974 mehrere wichtige Dokumente an, mit denen die wirtschaftliche Komponente der künftigen Union weiterentwickelt werden soll. Es handelt sich um die Entscheidung zur Erreichung eines hohen Grades an Konvergenz der Wirtschaftspolitik („Konvergenz-Entscheidung“), die Richtlinie über die Stabilität, das Wachstum und die Vollbeschäftigung in der Gemeinschaft und den Beschluss zur Einsetzung eines Ausschusses für Wirtschaftspolitik zur Verbesserung der Koordinierung der Wirtschafts- und Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten. Siehe Beschluss des Rates vom 18. Februar 1974, Rat der Europäischen Gemeinschaften, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, Nr. L 63 vom 5.3.1974, S. 21 22.

3 Siehe MOURLON-DRUOL, Emmanuel. Les banquiers centraux de l’échec du plan Werner à la création du SME, 1974-1979. In: Histoire, économie & société. 2011, Bd. 30, Nr. 4, S. 39-46.

4 Am 27. Oktober 1977 hält Roy Jenkins, Präsident der Europäischen Kommission, eine Rede am Europäischen Hochschulinstitut (EHI) in Florenz, in der er sich für die Errichtung einer europäischen Währungsunion ausspricht, und damit den Startschuss für den Neubeginn gibt. Anfang 1978 wird der Vorschlag für ein europäisches Währungssystem vorgelegt und nach erfolgreichem Abschluss der Verhandlungen tritt das System – in Form des ECU, des Vorläufers der künftigen europäischen Währung – 1979 in Kraft. Siehe: DINAN, Desmond. Europe Recast. A History of European Union. London: Boulder, 2004, S. 173-174.

5 Mitteilung der Kommission an den Rat über die Fortschritte, die während der ersten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion erzielt worden sind, und über die Maßnahmen, die während der zweiten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion zu treffen sind, KOM(73) 570 endg. vom 19. April 1973, vorgelegt am 30. April 1973. Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 5/73. (Dokument eingesehen am 10. Oktober 2012.)

7 Ende des Jahres 1972 beauftragt die Kommission mehrere Wirtschaftssachverständige, geeignete Mittel und Wege zur Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion zu prüfen. Der Gruppe gehören Prof. Dosser, Prof. Peeters, Prof. Neubauer und Prof. Magnifico an, der gleichzeitig Berichterstatter ist und die Überlegungen der Gruppe im Oktober 1973 veröffentlicht. Siehe: Magnifico-Bericht (Brüssel, Oktober 1973). (Dokument eingesehen am 10. Oktober 2012.)

8 Zu den interessanten Themen dieses Dokuments gehört die Analyse der Stellung der Rechnungseinheit im Wechselkurssystem. Amaury de Saint-Périer. La France et la sauvegarde du système communautaire de change de 1974 à 1977. In: DUMOULIN, Michel; SCHIRMANN, Sylvain und BUSSIÈRE, Éric (Hrsg.). Milieux économiques et intégration européenne au XXe siècle. La crise des années 1970. De la conférence de La Haye à la veille de la relance des années 1980. Brüssel: PIE – Peter Lang, 2006, S. 51-58.

9 Die Gruppe bestehend aus 25 Sachverständigen – von National-/Zentralbanken aus Belgien, Dänemark, Irland, Deutschland, Frankreich, Italien, den Niederlanden, dem Vereinigten Königreich sowie des EFWZ, der EG-Kommission und des Ausschusses der Zentralbankpräsidenten –, steht unter dem Vorsitz von Francois Heyvaert und übergibt ihren Bericht nach vier Arbeitssitzungen, die am 26. und 27. November sowie am 2. und 3. Dezember 1974 stattfinden.

13 Bericht der Studiengruppe „Wirtschafts-und Währungsunion 1980“ (Marjolin-Bericht). Kommission der EG. Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen. (Dokument eingesehen am 10. Oktober 2012.)

14 Ebenda, Bericht. S. 1-2.

15 Ebenda.

16 Im Gleichklang mit den Vorstellungen von Robert Triffin wird in dem Bericht auch eine parallele europäische Währung ins Auge gefasst. Siehe WERNER, Pierre. L’Europe monétaire reconsidérée. Lausanne: Zentrum für europäische Studien, 1977, S. 40-41.

17 Im Zuge dieser Überlegungen entstehen insbesondere folgende Dokumente:


  • Das Manifest zu Allerheiligen (1. November 1975). An der Entstehung dieses Berichts sind neun Wirtschaftswissenschaftler aus acht europäischen Ländern beteiligt, die sich mit der Idee einer Parallelwährung befassen. Die Zentralbanken sollen eine „Europa“ genannte Parallelwährung mit einer konstanten Kaufkraft herausgeben, um eine einheitliche europäische Währung einzuführen und die Inflation zu beseitigen.



  • Der Tindemans-Bericht über die Europäische Union (29. Dezember 1975). Auf dem Gipfeltreffen von Paris am 9. und 10. Dezember 1974 wird der belgische Ministerpräsident Leo Tindemans beauftragt, einen Bericht darüber zu erstellen, was unter dem Begriff „Europäische Union“ zu verstehen ist. Damit erklären die Neun ihre Entschlossenheit zur Neubelebung des europäischen Einigungswerks, das durch die Wirtschaftskrise und die Gefahr des Zerfalls der Gemeinschaft ins Stocken geraten war. Als Föderalist der ersten Stunde konsultiert Tindemans die europäischen Organe, die ihm Berichte zukommen lassen, ebenso wie hunderte Repräsentanten aus Politik und Wirtschaft, von Gewerkschaften, Verbänden und aus Intellektuellenkreisen der neun Länder der Gemeinschaft. Der Bericht über die Europäische Union wird am 29. Dezember 1975 veröffentlicht und am 2. April 1976 dem Europäischen Rat von Luxemburg vorgelegt, der dazu einen ersten Meinungsaustausch führt. (Dokument eingesehen am 10. Oktober 2012.)


  • Der Optica-Bericht (Optimum Currency Areas) (16. Januar 1976). Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften setzt eine Expertengruppe ein, die über ein Konzept für eine optimale Währungszone in Europa beraten soll. (Dokument eingesehen am 10. Oktober 2012.)







  • Rede von Roy Jenkins, Präsident der Europäischen Kommission am Europäischen Hochschulinstitut (EHI) in Florenz (27. Oktober 1977). In dieser Rede spricht er sich für die Errichtung einer europäischen Währungsunion aus. (Dokument eingesehen am 10. Oktober 2012.)


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