The plan by stages is put on hold

Die Umsetzung des Stufenplans wird auf Eis gelegt1


Laut Entschließung vom 22. März 1971 muss sich der Ministerrat bis Ende 1973 zum Übergang zur zweiten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion äußern. Sie ist auf drei Jahre angelegt und soll am 1. Januar 1974 beginnen.2


In einer Mitteilung vom 19. April zieht die Kommission der EG eine Bilanz der ersten Stufe3, die recht bescheiden ausfällt. Fortschritte sind auf dem Gebiet der Gesamtkoordinierung der Wirtschaftspolitik durch die Einführung von Verfahren der regelmäßigen Abstimmung zu verzeichnen, wenngleich die sich daraus ergebende wirtschafts- und haushaltspolitische Konvergenz noch nicht ausreicht. Auf währungspolitischem Gebiet musste die Gemeinschaft einige Rückschläge hinnehmen.4 Im Kommissionsdokument wird insbesondere auf das isolierte Floaten bestimmter Währungen, die Erweiterung der Bandbreiten für die Kursschwankungen der anderen Währungen (die zwischen März 1971 und April 1973 von 1,20 % auf 2,25 % angehoben wurden) und die mehrmalige Aufwertung einzelner Währungen (der D-Mark und des niederländischen Guldens) hingewiesen. Dennoch stellen das konzertierte Floaten von sechs europäischen Währungen in einer kritischen Phase und die Einführung von Interventionen in Währungen der Gemeinschaft einen ersten Erfolg dar. Die Kommission erwähnt auch die Schwierigkeiten, die sich aus den internationalen Währungsturbulenzen ergeben, und die mangelnde Verbindlichkeit der Gemeinschaftsverfahren. „Bei der Liberalisierung der Kapitalmärkte […] legten einige Länder sogar den Rückwärtsgang ein. […] Der Fonds für Regionalentwicklung war noch nicht mit Finanzmitteln ausgestattet.“5


Unter Berücksichtigung der gezogenen Lehren, die in der zweiten Stufe noch präzisiert werden können, schlägt die Kommission ein weitreichendes Aktionsprogramm vor. Es sind Maßnahmen in nahezu allen für die WWU relevanten Bereichen vorgesehen. Dabei handelt sich vor allem um die Koordinierung der Konjunkturpolitik der Mitgliedstaaten, die Harmonisierung ihrer Haushalts- und Währungspolitik, die Herbeiführung eines echten europäischen Güter- und Kapitalmarktes sowie die Schaffung von umfassenden und wirksamen Mechanismen für die währungspolitische Zusammenarbeit (EFWZ). Dieses Programm erweist sich aber als zu wenig anspruchsvoll, da die Annäherung der Positionen in Währungsfragen relativ langsam erfolgt und in den wichtigsten Bereichen keine Schwerpunkte gesetzt werden.


Die Sitzungen des Ministerrats der EG am 28. Juni und 9. November 1973 stehen im Zeichen einer lebhaften und kontroversen Erörterung der Kommissionsvorschläge. Auf der Sitzung im Juni fordert der Rat die Vorlage eines Berichts, in dem eine Bilanz der ersten Stufe gezogen wird und die Punkte aufgeführt werden, die beim Übergang zur zweiten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion zu berücksichtigen sind.


Frankreich vertritt die Auffassung, dass eine Stufe (in diesem Falle die erste) beim Ablauf der gesetzten Frist nicht als abgeschlossen gelten kann, wenn ihre Ziele nicht erreicht worden sind. Gemessen an den Zielen der ersten Stufe weise die monetäre Situation der Gemeinschaft deutliche Mängel auf. Diese Tatsache zu ignorieren würde ein großes Risiko bedeuten. Deshalb sei es sinnvoller, die Bilanz der ersten Stufe zu verbessern, als die zweite Stufe in Angriff zu nehmen.6 Einige Delegationen, insbesondere die Briten, halten nichts davon, die Bilanz der ersten Etappe zu analysieren, aber in Wirklichkeit wollen sie vermeiden, sich allzu deutlich zu den währungspolitischen Aspekten der Bilanz zu äußern. Offiziell bekennen sie sich zum Wechselkurssystem der Gemeinschaft, dessen Umsetzung nach ihrer Ansicht nur zeitweilig auf unüberwindliche praktische Hindernisse stößt.


In diesem Punkt teilen die Deutschen die französische Sicht der Dinge. Unter Verweis auf die Rolle, die sie im Rahmen der „Währungsschlange“ bei der Einführung der Interventionen in Gemeinschaftswährungen spielten, erinnern sie daran, dass ohne greifbare Fortschritte in der Koordinierung der Wirtschaftspolitik keine weiteren Opfer zugemutet werden können. Da die Bilanz der ersten Stufe in dieser Hinsicht sehr mager ausfällt, sind größere Anstrengungen vonnöten. Die bescheidenen Ergebnisse gestatten nicht, die „Vorbehaltsklausel“ als hinfällig zu erachten.7


Die Deutschen sind wie die Niederländer der Ansicht, dass ein automatischer Übergang zur zweiten Stufe am 1. Januar 1974 nicht wünschenswert ist, auch wenn deren Inhalt und praktische Maßnahmen klar definiert werden müssen. Sie sind für eine Phase der Konsolidierung, in deren Verlauf die Mängel der ersten Stufe beseitigt werden. Die Tatsache, dass sich einzelne Mitgliedstaaten spezifischen Problemen gegenübersehen, dürfe nicht zur Verwässerung der gemeinsamen Ziele führen, sondern nur zur Änderung der Modalitäten ihrer Verwirklichung. Es sollten auch breiter angelegte Projekte ins Auge gefasst werden, um 1976 über eine solide Grundlage für Entscheidungen zur Europäischen Union zu verfügen. Die Niederlande erachten die institutionelle Frage als Voraussetzung für jegliche Fortschritte auf dem Weg zur Wirtschafts- und Währungsunion.


Aber auch die Mitgliedstaaten, die den formellen Übergang zur zweiten Stufe befürworten, vertreten keine einheitliche Linie. Die Belgier, Luxemburger und Dänen betonen die Notwendigkeit, die auf dem Pariser Gipfel (19.-21. Oktober 1972) eingegangenen Verpflichtungen einzuhalten.8 Was in der ersten Stufe versäumt wurde, müsse nachgeholt werden. Der vom Pariser Gipfel hergestellte Zusammenhang zwischen der Schaffung und Ausstattung des Europäischen Fonds für Regionalentwicklung und dem Übergang zur zweiten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion veranlasst die Iren, Italiener und Briten, sich für den Übergang zur neuen Stufe zum vorgesehenen Zeitpunkt auszusprechen.


Die sehr unterschiedlichen Auffassungen der Partner zum Übergang zur zweiten Stufe veranlassen die Kommission, daraus die Schlussfolgerungen zu ziehen und dem Rat eine Reihe von Vorschlägen (für den Zeitraum 1974-1976) zu unterbreiten, die den Inhalt der zweiten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion zum Gegenstand haben. Der Rat prüft diese Vorschläge auf seiner Sitzung am 17. Dezember 1973. Die Verabschiedung einer Richtlinie über Stabilität, Wachstum und Vollbeschäftigung in der Gemeinschaft könnte dazu beitragen, die Konvergenz der Wirtschaftspolitik zu fördern. Vorgesehen sind auch die Verstärkung der haushaltspolitischen Koordinierung und die regelmäßige Überprüfung des Vollzugs der öffentlichen Haushalte. Die Ausschüsse für Konjunkturpolitik, Haushaltspolitik und mittelfristige Wirtschaftspolitik sollen zu einem Ausschuss zusammengelegt werden. Die Rolle des EFWZ als Träger und Nutzer der Europäischen Rechnungseinheit soll durch die schrittweise Erweiterung seiner Aufgaben und Mittel ausgebaut werden. Überdies wird der Rat ersucht, Regelungen zum kurzfristigen Währungsbeistand und zur schrittweisen Vergemeinschaftung der Devisenreserven zu treffen. Zu diesem Punkt liegt auch ein belgisch-luxemburgischer Vorschlag vor, den Verwaltungsrat des EFWZ mit der Erarbeitung einer gemeinschaftlichen Geld- und Kreditpolitik zu beauftragen. Doch es wird nichts daraus. Der kurzfristige Beistand wird zum Gegenstand eines fruchtlosen Geschachers. Die Briten verlangen, dass die Interventionen nicht begrenzt werden, während andere Partner Plafonds vorschlagen, deren Höhe als unzureichend betrachtet wird.9


Kaum ist das Jahr 1974 eingeläutet, kommt es im Währungsgeschehen zu neuen Spannungen. Der Dollarkurs und der Goldpreis klettern unaufhaltsam in die Höhe, und am 19. Januar unterbricht die französische Regierung zeitweilig ihre Interventionen, mit denen der Franc innerhalb der „Schlange“ gehalten werden soll. Diese Situation droht, das bereits Erreichte zunichte zu machen und die europäische Krise noch zu verschärfen. Es handelt sich vor allem um „eine Krise des Vertrauens, eine Krise des Willens, eine Krise des klaren Verstandes“.10 Durch die neuen Schwierigkeiten vertiefen sich die Widersprüche, ja Gräben zwischen den Mitgliedstaaten in der Frage des Übergangs zur zweiten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion, und die europäische Solidarität nimmt weiter ab. Es gibt keine Übereinstimmung, die Anlass zur Hoffnung auf eine gemeinsame Position geben könnte, aber „Europa entwickelt sich nicht zwangsläufig und wird nicht entstehen, wenn man seine Entstehung nicht will. […] Der Augenblick ist gekommen, um klar zu sagen, ob unsere Völker ihre Solidarität stärken wollen oder nicht, ob sie geeint oder jedes für sich auf die großen internen und externen Herausforderungen antworten wollen, vor die jedes von ihnen gestellt ist. Hierbei handelt es sich nicht um Fragen, auf die bereits eine Antwort erteilt wurde.“11


Unter diesen Vorzeichen kommt der Ministerrat der EG am 18. Februar 1974 zusammen, um sich „für den Übergang von einer nicht verwirklichten Stufe zu einer nicht definierten Stufe auszusprechen“.12 Zum Abschluss verabschiedet er mehrere Maßnahmen von großer Bedeutung für die wirtschaftliche Komponente der künftigen Wirtschafts- und Währungsunion. Die Mitgliedstaaten einigen sich auf eine Entscheidung zur Erreichung eines hohen Grads an Konvergenz in der Wirtschaftspolitik (auch als „Konvergenzentscheidung“ bezeichnet), auf eine Richtlinie über die Stabilität, das Wachstum und die Vollbeschäftigung in der Gemeinschaft und einen Beschluss zur Einsetzung eines Ausschusses für Wirtschaftspolitik (dem die zuvor vom Ausschuss für Konjunkturpolitik, Ausschuss für Haushaltspolitik und Ausschuss für mittelfristige Wirtschaftspolitik wahrgenommenen Aufgaben obliegen).13 In diesem Beschluss wird aber dennoch nicht der förmliche Übergang zur zweiten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion erklärt.14 Die Umsetzung des Stufenplans wird de facto ebenso auf Eis gelegt wie das Voranschreiten Europas auf dem im Werner-Bericht vorgezeichneten Weg zur Wirtschafts- und Währungsunion.

1 Vorbehaltlich anderslautender Angaben ist die Quelle aller in dieser Studie zitierten Dokumente www.cvce.eu.

3 Mitteilung der Kommission an den Rat über die Fortschritte, die während der ersten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion erzielt worden sind, über die Aufteilung der Befugnisse und der Verantwortlichkeiten zwischen den Organen der Gemeinschaften und den Mitgliedstaaten, die für das reibungslose Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion notwendig ist, und über die Maßnahmen, die während der zweiten Stufe dieser Union zu treffen sind (dem Rat am 20. April 1973 von der Kommission unterbreitet). Dok. KOM(73)570 endg. 19.4.1973. In Bulletin der EWG, Beilage 5/73. (Dokument eingesehen am 10. Oktober 2012.)

4 Siehe Abschnitt 5.2 Die Schwierigkeiten der Währungsschlange und der EFWZ.

5 WERNER, Pierre. Itinéraires luxembourgeois et européens. Évolutions et souvenirs: 1945-1985. Luxemburg: Éditions Saint-Paul, 1992, 2 Bände, Band II, S. 149.

6 Entretiens franco-allemands sur l’Union économique et monétaire. Aktennotiz (vertraulich). Paris: 16. September 1973, Ministerium für auswärtige und europäische Angelegenheiten der Französischen Republik. Sammlung EG, Direktion Wirtschaft und Finanzen, Abteilung Wirtschaftliche Zusammenarbeit, Reihe PM, Bd. 972, UEM-Relations bilatérales, Dossier PM 19.6.1. La Courneuve: Archives diplomatiques.

7 Im Einklang mit der Entschließung vom 22. März 1971 machte diese Klausel die Verlängerung der Geltungsdauer währungspolitischer Bestimmungen über fünf Jahre hinaus von einer ausreichenden Entwicklung der wirtschaftspolitischen Koordinierung abhängig. Es heißt dort: „Um die harmonische Durchführung des Plans für die Wirtschafts- und Währungsunion zu fördern und insbesondere die erforderliche Parallelität zwischen den wirtschaftspolitischen und den währungspolitischen Maßnahmen zu gewährleisten, werden die Geltungsdauer der währungspolitischen Bestimmungen, nämlich des Abschnitts III Nummern 7 und 8, und die Dauer der Anwendung des Mechanismus für den mittelfristigen finanziellen Beistand fünf Jahre, vom Beginn der ersten Stufe an gerechnet, betragen. Nach einer Einigung über den Übergang zur zweiten Stufe bleiben die obenerwähnten Bestimmungen in Kraft.“ Entschließung des Rates und der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten betreffend die stufenweise Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion in der Gemeinschaft (22. März 1971). In Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, Nr. C 28, 27.03.1971, S. 5-7. Siehe auch die Abschnitte 2.2 „Verlauf der Arbeiten des Werner-Ausschusses“ und 4.3 „Reaktionen des Rates“.

8 Siehe Abschnitt 5.2 „Die Schwierigkeiten der Währungsschlange und der EFWZ“.

9 Vgl. WERNER. Pierre. Itinéraires. Bd. II, S. 152.

10 Erklärung zur Lage der Gemeinschaft. In Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Nr. 1, Januar 1974, S. 5-8.

11 Ebenda.

12 So formulierte es Finanzminister Valéry Giscard d’Estaing, als er am 4. Dezember 1973 im Rat in der Zusammensetzung der Wirtschafts- und Finanzminister das Wort ergriff. Siehe Notes préliminaires, 6. Dezember 1974, Ministerium für auswärtige und europäische Angelegenheiten der Französischen Republik, Sammlung EG, Direktion Wirtschaft und Finanzen, Abteilung Wirtschaftliche Zusammenarbeit, Reihe PM, Bd. 971, UEM, Dossier PM 19.2.2 La Courneuve: Archives diplomatiques.

13 Siehe Amtsblatt Nr. L 63, 5. März 1974, S. 16-22.

14 Vgl. Kommuniqué des Rates. In Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Nr. 2, Februar 1973, S. 2.

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