Power of the purse
Die Haushaltsbefugnis des Europäischen Parlaments
Das Verfahren zur Verabschiedung des Haushaltsplans der Europäischen Gemeinschaften hat eine lange Entwicklung hinter sich, in der das Europäische Parlament neben dem Rat zu einem der beiden Teile der Haushaltsbehörde wurde. Das derzeitige Verfahren ist das Ergebnis langjähriger Bemühungen des Organs um die Anerkennung der wesentlichen Befugnisse eines Parlaments in Haushaltsangelegenheiten.
Im Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) von 1951, der am 23. Juli 2002 auslief, erhält die Gemeinsame Versammlung nur sehr begrenzte Haushaltsbefugnisse (Artikel 78). Sie prüft den Haushaltsvoranschlag der Verwaltungskosten der Gemeinschaft, der von jedem Organ aufgestellt wird und Bestandteil des Gesamtberichts der Hohen Behörde ist, kann ihn jedoch nur erörtern. Sie kann ihn weder ablehnen noch abändern.
Nach dem Inkrafttreten der Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG oder Euratom) von 1957 erhält das Parlament im Jahr 1958 weiter reichende Befugnisse und wird an der Ausarbeitung des Haushaltsplans beteiligt. Der Haushaltsentwurf wird an die Versammlung weitergeleitet, und sie hat das Recht, dem Rat Änderungsvorschläge zu unterbreiten (Artikel 203 des EWG-Vertrags und 177 des EAG-Vertrags). Genau wie im Fall der EGKS prüft die Versammlung die Konten (Artikel 206 des EWG-Vertrags und 180 des EAG-Vertrags), die neuen Verträge sehen jedoch außerdem vor, dass die Versammlung über die Entscheidung des Rates informiert wird, dass er der Kommission Entlastung erteilt.
Mit Entscheidung des Rates vom 21. April 1970 werden die Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch Eigenmittel der Gemeinschaften ersetzt, womit die Regierungen der Mitgliedstaaten dem Europäischen Parlament echte Befugnisse in diesem Bereich zubilligen. Mit dem Vertrag vom 22. April 1970 erhält die Versammlung das Recht, den Haushaltsplan der Gemeinschaften förmlich festzustellen, auch wenn ihre Entscheidungsbefugnis sich nur auf den Bereich der nichtobligatorischen Ausgaben erstreckt.
Am 22. Juli 1975 unterzeichnen die Regierungsvertreter der Mitgliedstaaten einen neuen Vertrag zur Stärkung der Haushaltsbefugnisse des Parlaments. Die Reform betrifft drei Punkte des Verfahrens:
- der Änderungsvorschlag des Haushaltsentwurfs, den das Parlament dem Rat übermittelt (Änderung, die die Ausgaben eines Organs nicht erhöht) gilt als angenommen, wenn der Rat ihn nicht abgelehnt hat;
- das Parlament hat das Recht, den gesamten Haushaltsplan abzulehnen;
- Parlaments allein hat das Recht, der Kommission Entlastung zu erteilen.
Seit der Reform von 1970 ist außerdem eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Parlament und dem Rat im Rahmen des Haushaltsverfahrens notwendig. Da das Parlament für die Umsetzung des Systems der Eigenmittel über erweiterte Befugnisse verfügt, wird am 4. März 1975 durch eine gemeinsame Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission ein Konzertierungsverfahren eingerichtet. Diese Abstimmung zwischen dem Parlament und dem Rat wird unter aktiver Mitwirkung der Kommission auf gemeinschaftliche Rechtsakte von allgemeiner Tragweite angewandt, die ins Gewicht fallende finanzielle Auswirkungen haben und deren Erlass nicht schon auf Grund früherer Rechtsakte geboten ist.
Das Verfahren bleibt nach der Vertragsreform vom 22. Juli 1975 bis zur gemeinsamen Erklärung des Parlaments, des Rates und der Kommission vom 30. Juni 1982 unverändert, die eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen den Organen vorsieht. Weitere Verträge werden am 29. Juni 1988, am 29. Oktober 1993 und am 6. Mai 1999 abgeschlossen. Gegenstand ist die Anwendung der Haushaltsdisziplin, die Verbesserung des Ablaufs des jährlichen Haushaltsverfahrens sowie die interinstitutionelle Zusammenarbeit im Haushaltsbereich.
Das Haushaltsverfahren ist in den Artikeln 272 des EG-Vertrags, Artikel 177 des EAG-Vertrags (und Artikel 78 des EGKS-Vertrags, der am 23. Juli 2002 auslief) geregelt. Das Europäische Parlament wird spätestens am 5. Oktober des Jahres, das dem entsprechenden Haushaltsjahr vorausgeht, mit dem vom Rat (auf Grundlage des von der Kommission vorgeschlagenen Vorentwurfs) erstellten Entwurf des Haushaltsplans – dem so genannten „Verwaltungshaushalt” für die EGKS – befasst. Das Parlament kann den Entwurf hinsichtlich der nichtobligatorischen Ausgaben abändern und hinsichtlich der obligatorischen Ausgaben Änderungen vorschlagen. Wenn das Parlament innerhalb von 45 Tagen nach Vorlage des Entwurfs seine Zustimmung erteilt hat, wird der Entwurf endgültig festgestellt. Wenn das Parlament Abänderungen angenommen hat oder Änderungsvorschläge unterbreitet hat, wird der Entwurf an den Rat weitergeleitet.
Wenn der Rat innerhalb von zwei Wochen keine der Abänderungen modifiziert und wenn die Änderungsvorschläge angenommen werden, gilt der Haushaltsplan als endgültig festgestellt, und dem Parlament wird eine Mitteilung gemacht. Modifiziert der Rat die Abänderungen oder werden die Änderungsvorschläge abgelehnt oder modifiziert, wird der modifizierte Haushaltsentwurf an das Parlament zugeleitet. Innerhalb einer Frist von zwei Wochen kann das Parlament die vom Rat unterbreiteten Änderungen abändern oder ablehnen und stellt demzufolge den Haushalt fest. Der Präsident des Parlaments stellt fest, dass der Haushalt endgültig festgestellt wurde. Dennoch kann das Parlament aus wichtigen Gründen den Haushaltsentwurf ablehnen und die Vorlage eines neuen Entwurfs verlangen.
Außerdem erteilt das Europäische Parlament der Kommission Entlastung zur Ausführung des Haushaltsplans. Zu diesem Zweck prüft es nach dem Rat die von der Kommission vorgelegten Rechnungen und die Übersicht über das Vermögen sowie den Jahresbericht des Rechnungshofes zusammen mit der Zuverlässigkeitserklärung und den Sonderberichten des Rechnungshofs. Das Parlament kann verlangen, die Kommission anzuhören (Artikel 276 – ehemaliger Artikel 206 – EG-Vertrag, Artikel 180 c EAG-Vertrag und Artikel 78 h EGKS-Vertrag).