Themendossier

Die Transparenz im Rat der Europäischen Union


Hintergrund und Grundsatz der Vertraulichkeit

Für die Bürger ist die Arbeitsweise der Organe der Europäischen Union nicht immer leicht nachzuvollziehen. Dies gilt insbesondere für den Rat der Europäischen Union. Dieses Entscheidungsorgan vertritt die Mitgliedstaaten, die innerhalb der Europäischen Union ihre nationalen Interessen geltend machen müssen, wobei es ihr Ziel ist, einen Kompromiss zu finden. Von Anfang an war die Arbeitsweise des Rates stark an die der diplomatischen Konferenzen zwischen den Regierungen angelehnt. Dies äußerte sich durch eine gewisse Undurchsichtigkeit in Bezug auf die Beschlussfassung und einen erschwerten Zugang zu den Ratsdokumenten.


So sehen die vorläufigen Geschäftsordnungen des Rates der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) von September 1952 und des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) von März 1958 vor, dass die Sitzungen des Rates unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, es sei denn, dass er anders entscheidet (Artikel 5 bzw. 3). In der Geschäftsordnung der Rates der EWG wird hinzugefügt, dass dessen Beratungen der Geheimhaltungspflicht obliegen, es sei denn, er entscheidet anders (Artikel 18).


Im Jahre 1958 wird das Generalsekretariat des Rates dennoch mit einem Pressedienst ausgestattet, mit dem Ziel, die Journalisten über die Arbeit der Institution zu informieren. Ab 1973 wird dieser Pressedienst in die Generaldirektion F eingegliedert, in der unter anderem auch die Dienststellen Kommunikation und Protokoll angesiedelt sind.


Was das Archiv der EWG und von Euratom anbetrifft, so verabschiedet der Rat am 1. Februar 1983 eine Verordnung, die vorsieht, dass die Organe historische Archive erstellen und sie der Öffentlichkeit nach Ablauf einer Frist von dreißig Jahren, von dem Zeitpunkt der Anfertigung der Schriftstücke oder des sonstigen Archivguts an gerechnet, zugänglich machen (Verordnung EWG, EURATOM Nr. 354/83). Am 8. Februar 1983 verabschiedet die Kommission der Europäischen Gemeinschaften eine identische Entscheidung über die Freigabe der historischen Archive der EGKS (Entscheidung Nr. 359/83/EGKS).


Schaffung und Förderung der Transparenz


Seit Beginn der 90er Jahre werden im Zuge der Bestrebung, die Europäische Union zu öffnen und ihren Bürgern näher zu bringen, Maßnahmen ergriffen, die zum Ziel haben, mehr Transparenz innerhalb des Rates zu schaffen.


In Erklärung Nr. 17 im Anhang der Schlussakte des Vertrags über die Europäische Union (EU), unterzeichnet am 7. Februar 1992 in Maastricht und in Kraft getreten am 1. November 1993, wünscht die Regierungskonferenz, dass die den Organen vorliegenden Informationen der Öffentlichkeit besser zugänglich gemacht werden sollen. Darüber hinaus begünstigt die Einführung des Mitentscheidungsverfahrens, im Zuge dessen sich das Europäische Parlament und der Rat auf einen Text einigen müssen, eine größere Transparenz innerhalb der Führung des Rates.


In den verschiedenen Mitgliedstaaten kommt während des Ratifizierungsverfahrens des Vertrags von Maastricht in den Debatten das Bedürfnis nach einer demokratischeren und somit transparenteren Union zum Ausdruck. Die Antwort auf diese Forderung erfolgt während des Europäischen Rates am 16. Oktober 1992. In der „Erklärung von Birmingham“ ersuchen die Staats- und Regierungschefs die Außenminister, Mittel und Wege vorzuschlagen, die es ermöglichen, Beratungen des Rates transparenter zu gestalten. Die Umsetzung dieser Erklärung fällt zusammen mit dem Beginn des Europäischen Rates von Edinburgh am 11. und 12. Dezember 1992, wo ein Maßnahmenkatalog zum Thema Transparenz verabschiedet wird. Diese Maßnahmen gliedern sich in drei Themenbereiche: Zugang zu den Arbeiten des Rates mittels öffentlicher Aussprachen und der Veröffentlichung von Abstimmungsprotokollen; Information über die Rolle des Rates und seine Beschlüsse; Vereinfachung des Gemeinschaftsrechts und Erleichterung des Zugangs zum Gemeinschaftsrecht. Jede Institution ist verpflichtet, sofern es ihre Angelegenheiten betrifft, die zur Umsetzung dieser Maßnahmen notwendigen rechtlichen Schritte zu unternehmen.


Durch einen Beschluss vom 6. Dezember 1993 ändert der Rat seine Geschäftsordnung, damit die Abstimmungsergebnisse und, unter gewissen Bedingungen, die Erklärungen zur Stimmabgabe veröffentlicht werden können, wenn er als Gesetzgeber tätig wird. Die Aussprachen des Rates können von den audiovisuellen Medien öffentlich übertragen werden. Durch einen Beschluss vom 20. Dezember 1993 gestattet der Rat den Zugang der Öffentlichkeit zu seinen Dokumenten. In der Folge werden diese Prinzipien der Öffnung erweitert und systematisiert, insbesondere durch die verschiedenen aufeinander folgenden Änderungen der Geschäftsordnung des Rates.


Der Vertrag von Amsterdam, unterzeichnet am 2. Oktober 1997 und in Kraft getreten am 1. Mai 1999, ändert den ersten Artikel des EU-Vertrages ab, indem er vorsieht, dass die Entscheidungen möglichst offen getroffen werden. Ferner bekräftigt der Vertrag von Amsterdam in einer Norm des Primärrechts das Recht jedes Unionsbürgers sowie jeder natürlichen oder juristischen Person mit Wohnsitz oder Sitz in einem Mitgliedstaat auf Zugang zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission [Artikel 255 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG)]. Der Rat kann jedoch aufgrund öffentlicher oder privater Interessen die Ausübung dieses Rechts einschränken. Dieses Zugangsrecht gilt auch für die Dokumente aus den Bereichen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (Artikel 28 und 41 des EU-Vertrages). Was den Rat anbetrifft, so werden, wenn er als Gesetzgeber tätig wird, die Abstimmungsergebnisse sowie die Erklärungen zur Stimmabgabe und die Protokollerklärungen veröffentlicht (Artikel 207 des EG-Vertrages).


Die Schaffung eines öffentlichen Registers der Dokumente des Rates im Jahre 1999, in das ein jeder auf der Webseite der Institution (http://www.consilium.europa.eu) Einsicht nehmen kann, verbessert den Zugang der Öffentlichkeit zu diesen Dokumenten beträchtlich. Seit 2006 kann man sich auf dieser Webseite auch den überwiegenden Teil der Sitzungen des Rates ansehen, direkt oder auf Anfrage.


Die Transparenzregeln


Die Geschäftsordnung des Rates vom 15. September 2006 sieht vor, dass die Tagungen des Rates nicht öffentlich sind und seine Beratungen der Geheimhaltungspflicht unterliegen, es sei denn, dass er anders entscheidet (Artikel 5 und 6).


Jedoch legt Artikel 8 fest, dass folgende Beratungen und Aussprachen des Rates öffentlich sind:


— Die Beratungen des Rates über gemäß dem Mitentscheidungsverfahren zu erlassende Rechtsetzungsakte;


— Die ersten Beratungen des Rates über wichtige neue Rechtsetzungsvorschläge, die nicht unter das Mitentscheidungsverfahren fallen, sowie auf Beschluss des Vorsitzes die anschließenden Beratungen über einen bestimmten Rechtsetzungsakt, sofern der Rat oder der Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) nicht etwas anderes beschließt;


— Die öffentliche Orientierungsaussprache des Rates „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“ über das Achtzehnmonatsprogramm sowie die Orientierungsaussprachen in anderen Zusammensetzungen des Rates über ihre Prioritäten;


— Die Vorstellung des Fünfjahresprogramms der Kommission, ihres Jahresarbeitsprogramms und ihrer jährlichen Strategieplanung sowie die daran anschließende Aussprache im Rat;


— Öffentliche Aussprachen über wichtige Fragen, welche die Interessen der Europäischen Union und ihrer Bürger berühren, auf einen mit qualifizierter Mehrheit gefassten Beschluss des Rates oder des AStV.



In Artikel 9 sind die Fälle aufgeführt, in denen die Abstimmungsergebnisse und die Erklärungen zur Stimmabgabe sowie die Erklärungen zum Ratsprotokoll und die im Ratsprotokoll enthaltenen Punkte öffentlich zugänglich gemacht werden:


— Wenn der Rat als Gesetzgeber tätig wird;


— wenn der Rat einen gemeinsamen Standpunkt gemäß dem Mitentscheidungsverfahren oder dem Zusammenarbeitsverfahren (Artikel 251 und 252 des EG-Vertrags) festlegt, so gilt dieselbe Regel für die Stimmabgabe und die Stimmabgabeerklärungen der Ratsmitglieder oder ihrer Vertreter im Vermittlungsausschuss;


— wenn der Rat ein Übereinkommen auf der Grundlage von Titel VI des EU-Vertrags annimmt.




Ferner werden auf Grundlage von Artikel 9 die Abstimmungsergebnisse öffentlich zugänglich gemacht,


— wenn der Rat im Rahmen des Titels V des EU-Vertrags handelt, nach einstimmigem Beschluss des Rates oder des AStV auf Antrag eines ihrer Mitglieder;


— wenn der Rat einen gemeinsamen Standpunkt im Sinne des Titels VI des EU-Vertrags festlegt, nach einstimmigem Beschluss des Rates oder des AStV auf Antrag eines ihrer Mitglieder;


— in den anderen Fällen nach Beschluss des Rates oder des AStV auf Antrag eines ihrer Mitglieder.




In diesen drei Fällen können auf Antrag der betroffenen Ratsmitglieder auch die Erklärungen zur Stimmabgabe im Einklang mit dieser Geschäftsordnung und unter Wahrung der Rechtssicherheit und der Interessen des Rates veröffentlicht werden. Die in das Ratsprotokoll aufgenommenen Erklärungen und diejenigen Punkte dieses Protokolls, die die Annahme der Rechtsakte betreffen, werden durch Beschluss des Rates oder des AStV auf Antrag eines ihrer Mitglieder veröffentlicht.


Die Dokumente des Rates sind zugänglich für jede natürliche oder juristische Person, vorbehaltlich der Grundsätze, Bedingungen und Einschränkungen, die in Anhang II dieser Geschäftsordnung und in der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu den Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission festgelegt sind. Die Dokumente, die als sensibel bezeichnet werden, und insbesondere die öffentliche Sicherheit, die Verteidigung und militärische Belange betreffen, müssen einer besonderen Behandlung unterzogen werden, je nachdem, ob sie als „très secret/top secret“, „secret“ oder „confidentiel“ eingestuft sind.


Die vom Rat verfolgte Politik der Transparenz betrifft nicht allein die Öffentlichkeit des Beschlussfassungsprozesses und den Zugang der Öffentlichkeit zu den Ratsdokumenten. Die beiden anderen Aspekte der Transparenz sind die Verfolgung einer Informationspolitik über Rolle, Ziele und Arbeitsweise des Rates sowie die Gewährleistung der Eindeutigkeit und der redaktionellen Qualität der Rechtsakte (Artikel 19 und 22 der Geschäftsordnung).

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