Themendossier

Die Finanzielle Vorausschau


In den 1970er Jahren werden mit Vertrag von Luxemburg von 1970 und dem 1975 unterzeichneten Brüsseler Vertrag Haushaltsänderungen eingeführt, dank derer die gemeinschaftliche Finanzordnung ein gewisses rechtliches, politisches und institutionelles Gleichgewicht erlangen kann. Dieses Gleichgewicht verschlechtert sich in den Jahren 1980 bis 1988 schrittweise. In dieser Zeit gibt es zahlreiche Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Teilen der Haushaltsbehörde (Parlament und Rat), und das jährliche Haushaltsverfahren wird zunehmend schwieriger (Verzug bei der Verabschiedung des Haushaltsplans, Ablehnung des Haushaltsplans durch das Parlament …). Weitere Gründe für diese Konfliktsituation sind außerdem die Frage der Haushaltsungleichgewichte und die größer werdende Kluft zwischen den verfügbaren Mitteln und den Bedürfnissen der Gemeinschaft.


Als Reaktion auf diese sukzessiven Haushaltskrisen und getrieben durch den Willen, die Ziele der Einheitlichen Europäischen Akte – u. a. die Schaffung des Binnenmarktes und einen stärkeren wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt –, die am 1. Juli 1987 in Kraft treten soll, zu erreichen, unterbreitet die Kommission dem Rat und dem Parlament Vorschläge zur Reformierung des gemeinschaftlichen Finanzsystems. In ihrer Mitteilung vom 15. Februar 1987 „Die Einheitliche Akte muss ein Erfolg werden – eine neue Perspektive für Europa“, die gemeinhin als „Delors-Paket I“ bezeichnet wird, führt die Kommission neue Regeln der Haushaltsdisziplin ein, die den Konsens zwischen den beiden Teilen der Haushaltsbehörde fördern und dementsprechend den Ablauf des jährlichen Haushaltsverfahrens verbessern sollen. Dazu schlägt die Kommission den Abschluss einer Interinstitutionellen Vereinbarung (IIV) vor, mit der das Parlament, der Rat und die Kommission sich vorab auf die großen Haushaltsprioritäten der anstehenden Periode in Form einer mehrjährigen Finanziellen Vorausschau einigen, die zur bei Schaffung einer gemeinschaftlichen Ausgabenkontrolle führen soll. Auf der Grundlage dieses Vorschlages und der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Brüssel vom 11. und 12. Februar 1988 schließen die drei Institutionen am 29. Juni 1988 die Interinstitutionelle Vereinbarung über die Haushaltsdisziplin und die Verbesserung des Haushaltsverfahrens (mit Wirkung vom 1. Juli 1988). Diese Vereinbarung legt die Grundsätze einer verstärkten Haushaltsdisziplin fest und setzt die Finanzielle Vorausschau auf einen Fünfjahreszeitraum, d. h. 1988 bis 1992, an. Die Finanzielle Vorausschau ist fester Bestandteil der Vereinbarung und Kernelement des neuen Instruments der Haushaltsdisziplin. Sie bezweckt eine harmonische und kontrollierte Entwicklung der großen Haushaltsblöcke. Außerdem gibt sie den maximalen Umfang und die Zusammensetzung der vorhersehbaren Ausgaben der Gemeinschaft über einen vorgegebenen Zeitraum an. Sie greift damit die gemeinschaftspolitisch beschlossenen Prioritäten auf und begrenzt die Ausgabenentwicklung entsprechend der Eigenmittelobergrenze.


Der Inhalt der Finanziellen Vorausschau wird in Form einer Tabelle dargestellt. Diese Tabelle zeigt eine Verteilung der Haushaltsausgaben der Gemeinschaft in großen Kategorien oder Rubriken, die in bestimmten Fällen weiter in Unterrubriken aufgeschlüsselt werden. Jede dieser Rubriken, die die großen politischen Prioritäten für den Zeitraum darstellen, enthält je Haushaltsjahr einen in Millionen ECU (seit 1999 Euro) angegebenen Höchstbetrag (eine Obergrenze) für Verpflichtungsermächtigungen. Die Tabelle zeigt ferner den Gesamtbetrag der Zahlungsermächtigungen in Millionen ECU (seit 1999 Euro) und als Prozentangabe vom gemeinschaftlichen Bruttosozialprodukt (BSP) (seit 2002 Bruttonationaleinkommen – BNE) auf Grundlage einer Wachstumsprognose. Dies ermöglicht die Verbindung mit der ebenfalls in dieser Tabelle erscheinenden Eigenmittelobergrenze, die in Prozent vom BSP (seit 2002 BNE) angegeben und per Eigenmittelbeschluss festgesetzt wird. Außerdem wird zwischen der Obergrenze der Zahlungsermächtigungen und der Obergrenze der Eigenmittel eine Marge für unvorhergesehene Ausgaben eingefügt.


Die Finanzielle Vorausschau unterscheidet sich von einer Vorläufigen Finanzplanung dadurch, dass die drei Institutionen sich in der IIV zur Einhaltung der festgesetzten Ausgabenobergrenzen verpflichten. Die Finanzielle Vorausschau ist dabei nicht einem Mehrjahreshaushalt gleichzusetzen, denn das jährliche Haushaltsverfahren bleibt notwendig, um Jahr für Jahr das Ausgabenniveau der einzelnen Posten zu bestimmen.


Die Finanzielle Vorausschau kann auch nach erfolgter Annahme geändert werden. Die IIV sieht zwei Verfahrensweisen zur Weiterentwicklung dieser Finanzplanung vor: die jährliche Anpassung und die Änderung der Finanziellen Vorausschau.


Die jährliche Anpassung umfasst:

– die technischen Anpassungen vor dem Haushaltverfahren zur Berücksichtigung des Wachstums des BSP (seit 2002 BNE) und der gestiegenen Preise; und

– die Anpassungen an den Haushaltsvollzug, bei denen der Gesamtbetrag der Zahlungsermächtigungen auf die Verwendungsrate der Verpflichtungsermächtigungen abgestimmt wird.


Die Änderung der Finanziellen Vorausschau soll neue Maßnahmen ermöglichen, die bei Abschluss der Vereinbarung noch nicht vorgesehen waren, oder bestehende politische Maßnahmen stärken. Im Zeitraum 1988-1992 gab es sieben Änderungen. Diese Änderungen betrafen im Wesentlichen die Durchsetzung neuer Maßnahmen zur Reaktion auf internationale Umwälzungen und Entwicklungen wie beispielsweise die deutsche Wiedervereinigung oder die Golf-Krise. Außerdem wurde auf halber Wegstrecke eine Änderung beschlossen, um interne Politikbereiche zu stärken und verschiedene Entwicklungsländer stärker zu unterstützen.


In ihrer Mitteilung vom 11. Februar 1992 „Von der Einheitlichen Akte zu der Zeit nach Maastricht: Ausreichende Mittel für unsere ehrgeizigen Ziele“, die gemeinhin als „Delors- Paket II“ bezeichnet wird, erklärt die Kommission ihre Zufriedenheit mit der 1988 unternommenen Reform. Die IIV und die Finanzielle Vorausschau haben einen großen Beitrag zur Verbesserung der Konfliktsituationen der 1980er Jahre geleistet. Seit 1988 wird der Haushalt jedes Jahr termingerecht verabschiedet, ohne dass größere Konflikte zwischen den Institutionen auftreten, die gewünschte Entwicklung der Haushaltsausgaben ist erreicht und der effektive Betrag der gemeinschaftlichen Ausgaben bleibt unter der Obergrenze der bereitstehenden Eigenmittel. In Anbetracht dieser positiven Bilanz und der Tatsache, dass die Finanzielle Vorausschau 1998-1992 ihrem Ende zugeht, schlägt die Kommission vor, dass die IIV und die Finanzielle Vorausschau fortgeführt werden. Die Kommission regt eine neue mehrjährige Finanzplanung unter Berücksichtigung der ambitionierten Herausforderungen aus dem Abschluss des Maastrichter Vertrages an. Vor dem Hintergrund einer nicht so vorhergesehenen schlechten konjunkturellen Lage und nach ergebnislosen Gesprächen des Europäischen Rates auf der Tagung von Lissabon im Juni 1992 empfiehlt die Kommission, dass ihr ursprünglicher Vorschlag angenommen wird und die Realisierung dieser Ziele über einen Zeitraum von sieben Jahren, d. h. bis 1999 statt 1997, angestrebt wird. Der Europäische Rat beschließt auf seiner Tagung am 11. und 12. Dezember 1992 in Edinburgh zwar die Finanzielle Vorausschau für den Zeitraum 1993-1999, knüpft das Inkrafttreten jedoch an die Bedingung, dass der andere Teil der Haushaltsbehörde, also das Parlament, auch zustimmt und dass die IIV über die Haushaltsdisziplin und die Verbesserung des Haushaltsverfahrens zur Regelung der Durchführungsbedingungen verlängert wird. Da das Parlament den neuen Finanzrahmen für zu restriktiv befindet, vergeht ein weiteres Jahr schwieriger Verhandlungen, bis das Parlament, der Rat und die Kommission am 29. Oktober 1993 endlich zu einer neuen Interinstitutionellen Vereinbarung gelangen. Diese IIV gilt somit für die gesamte Dauer der Finanziellen Vorausschau 1993-1999.


Die Rubriken der Tabelle der neuen Finanziellen Vorausschau werden gegenüber dem vorhergehenden Zeitraum leicht geändert. Die sichtbarste Änderung ist die Einführung neuer Reserven. Aufgrund zu häufiger Änderungen im vorangegangenen Zeitraum werden nun zwei neue Reserven im außenpolitischen Maßnahmenbereich geschaffen – Soforthilfen und Darlehensbürgschaften zugunsten von Drittländern. Dadurch werden ganzjährig verfügbare und schnell mobilisierbare Haushaltsmittel sichergestellt, um unvorhergesehene Ausgaben bestreiten zu können.


Eine Anpassung der Finanziellen Vorausschau erweist sich als nötig, je näher die für den 1. Januar 1995 vorhergesehene Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft um Österreich, Finnland und Schweden heranrückt. Wie im IIV von 1993 vorgesehen (Ziffer 24), einigen sich das Parlament, der Rat und die Kommission im Trilog vom 29. November 1994 auf einen angepassten Rahmen der Finanziellen Vorausschau für den Zeitraum 1995-1999. Der neue Finanzrahmen wird vom Rat am 5. Dezember 1994 und vom Parlament am 13. Dezember 1994 unterzeichnet. Diese Schnelligkeit ermöglicht nicht nur den Fortbestand der Interinstitutionellen Vereinbarung, sondern auch die termingerechte Festsetzung des Haushaltsplans 1995 für eine Gemeinschaft mit fünfzehn Mitgliedstaaten. Mit Wirkung vom 1. Januar 1995 tritt also diese neue Finanzielle Vorausschau an die Stelle der im Dezember 1992 vom Europäischen Rat in Edinburgh beschlossenen Finanziellen Vorausschau. Von nun an gelten erhöhte Obergrenzen für die einzelnen Rubriken zur Berücksichtigung des erweiterungsbezogenen Finanzbedarfs. Außerdem wird eine neue Rubrik für die Ausgleichszahlungen geschaffen, die den neuen Mitgliedstaaten entsprechend der Beitrittsakte über den Zeitraum 1995-1998 zugute kommen.


Im Hinblick auf den bevorstehenden Ablauf der Finanziellen Vorausschau 1993-1999 ruft der Europäische Rat von Madrid im Dezember 1995 die Kommission dazu auf, eine Mitteilung über den zukünftigen Finanzrahmen der Union unter Berücksichtigung der Erweiterungsperspektiven vorzulegen. Die Kommission kommt dieser Aufforderung nach und legt am 16. Juli 1997 die Mitteilung „Agenda 2000: Eine stärkere und erweiterte Union“ sowie am 18. März 1998 einen Vorschlagskatalog vor, der insbesondere die neue Tabelle der Finanziellen Vorausschau für den Zeitraum 2000-2006 enthält. Die Verhandlungen über die „Agenda 2000“ finden von Anfang an in einem schwierigen Umfeld statt. Zeitgleich mit der Erstellung eines neuen Finanzrahmens müssen die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik und eine Neuausrichtung der Strukturmaßnahmen entschieden sowie die finanziellen Auswirkungen der anstehenden Erweiterungen ermittelt werden. Im März 1999 kommt der Europäische Rat in Berlin zu einer globalen Einigung über die „Agenda 2000“ und am 6. Mai 1999 wird die neue Interinstitutionelle Vereinbarung mit dem Finanzrahmen für den Zeitraum 2000-2006 geschlossen.


Bei den Rubriken der Tabelle der neuen Finanziellen Vorausschau gibt es nur wenige Änderungen gegenüber dem vorhergehenden Finanzrahmen. Jedoch wird im Hinblick auf die nächste Erweiterung eine neue Rubrik „Heranführungshilfe“ geschaffen, die die Ausgaben für die drei Instrumente decken soll, die zur Vorbereitung auf den Beitritt eingerichtet wurden (agrarpolitisches Heranführungsinstrument, strukturpolitisches Instrument und das verstärkte PHARE-Programm für Beitrittsländer). Außerdem wird ein „Flexibilitätsinstrument“ eingeführt. Dieses soll in einem gegebenen Haushaltsjahr die Finanzierung konkret festgestellter Ausgaben gestatten, die im Rahmen der Obergrenzen einer oder mehrerer anderer Rubriken sonst nicht finanzierbaren wären.


Nach Ziffer 25 IIV vom 6. Mai 1999 muss die Finanzielle Vorausschau bei jeder Erweiterung der Union entsprechend angepasst werden. Die 1999 eingestellten Beträge beruhten auf der Annahme, dass 2002 sechs neue Staaten beitreten, aber im Laufe der Verhandlungen wird die fünfte Erweiterung auf den 1. Mai 2004 mit zehn neuen Staaten festgesetzt. Die Kommission unterbreitet nunmehr am 30. Januar 2002 dem Rat einen Vorschlag zur Anpassung der Finanziellen Vorausschau, der am 19. Mai 2003 vom Parlament und vom Rat gebilligt wird. Dieser neue Finanzrahmen 2004-2006 tritt im ersten von der Erweiterung betroffenen Haushaltsjahr, d.  h. 2004, in Kraft.


Am 10. Februar 2004 gibt die Kommission mit ihrer Mitteilung „Unsere gemeinsame Zukunft aufbauen – Politische Herausforderungen und Haushaltsmittel der erweiterten Union - 2007-2013“ den Anstoß zu den Vorbereitungen für die Festsetzung des neuen Finanzrahmens im Zeitraum 2007-2013. Zusätzlich zur Tabelle der Ausgabenrubriken für den Zeitraum 2007-2013 schlägt die Kommission eine neue Rubrikengliederung vor. Die Rubriken, die die Bewertung der konkret zielgebundenen Finanzmittel erleichtern sollten, sind seit der Erstellung der ersten Finanziellen Vorausschau größtenteils unverändert geblieben. Die neue Gliederung umfasst nun eine kleinere Anzahl von Rubriken und bietet größeren Spielraum für die Realisierung politischer oder wirtschaftlicher Ziele, die nicht in jedem Falle so lang vorher konkret vorhersehbar sind. Die neue Gliederung ist also einfacher und flexibler. Die Kommission regt an, die Dauer der Finanziellen Vorausschau, die in der Vergangenheit fünf oder sieben Jahre betrug, auf fünf Jahre zu reduzieren und so den Mandaten der Kommission und des Parlaments anzugleichen. Dabei schlägt die Kommission jedoch übergangsweise für 2007-2013 einen Zeitraum von sieben Jahren vor, um dann auf den normalen Fünfjahreszyklus umzustellen. Dieser Zeitraum sei notwendig, da die Entwicklung der marktbezogenen Ausgaben und der landwirtschaftlichen Direkthilfen bereits bis 2013 festgesetzt sei. Am 14. Juli 2004 ergänzt die Kommission die Mitteilung vom Februar um eine Reihe von Detailvorschlägen zur Umsetzung des neuen Finanzrahmens. Dieses Dokument soll die Grundlage für die Verlängerung der IIV über die Haushaltsdisziplin und die Verbesserung des Haushaltsverfahrens sein. Im April 2005 vollzieht die Kommission – im Hinblick auf eine mögliche politische Einigung über das Finanzpaket auf der im Juni in Luxemburg anstehenden Ratstagung – eine Reihe von technischen Anpassungen bei den Ausgangsbeträgen ihres Vorschlages, um makroökonomischen Änderungen Rechnung zu tragen, die seit Februar 2004 eingetreten sind. Der Vorschlag der Kommission wird im Laufe der Verhandlungen des Europäischen Rats im Juni 2005 grundlegend geändert. Allerdings finden die Staats- und Regierungschefs erst auf dem Europäischen Rat vom 15. und 16. Dezember 2005 eine gemeinsame Position zur Finanziellen Vorschau. Am 18. Januar 2006 lehnt das Parlament die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates mit sehr großer Mehrheit ab, da sie „keinen EU-Haushalt gewährleisten, der Wohlstand, Wettbewerbsfähigkeit, Solidarität, Zusammenhalt und Sicherheit […] erhöhen wird“. Am 1. Februar 2006 legt die Kommission eine im Hinblick auf die Verlängerung der Interinstitutionellen Vereinbarung überarbeite Vorschlagsfassung vor. Im Ergebnis des Trilogs vom 4. April 2006 wird die Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission über die Haushaltsdisziplin und die wirtschaftliche Haushaltsführung am 17. Mai 2006 unterzeichnet. Sie soll am 1. Januar 2007 in Kraft treten.

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