Themendossier

The founding of the European Communities

Die Europäischen Gemeinschaften


Am 9. Mai 1950 schlägt der französische Außenminister Robert Schuman angeregt von Jean Monnet in einer Rede in Paris vor, die gesamte deutsch-französische Kohle- und Stahlproduktion einer gemeinsamen Hohen Behörde zu unterstellen, in einer Organisation, die allen anderen europäischen Ländern offen steht. Durch die Schaffung „konkreter Tatsachen“ in „einem begrenzten, jedoch entscheidenden Punkt“ – nämlich bei den Schwerindustrien zweier lange miteinander verfeindeten Länder – entstehen gemeinsame Grundlagen für die wirtschaftliche Entwicklung der europäischen Länder, was Konfliktsituationen zwischen ihnen verhindert. Es handelt sich darum, eine „Solidarität der Tat“ als erste Etappe einer „europäischen Föderation“ zu schaffen.


Diese berühmte Erklärung kann als Ausgangspunkt der Europäischen Gemeinschaften betrachtet werden. Sie enthält die Grundsätze eines schrittweisen und funktionellen Aufbaus des gemeinschaftlichen Europas, wie es später tatsächlich umgesetzt wird: Schaffung der wirtschaftlichen Grundlagen, Ziel der politischen Einigung, Methode der sektoriellen Integration auf der Grundlage gemeinsamer Beschlussfassung sowie der entwicklungsfähige und offene Charakter der Gemeinschaft.


Als unmittelbare Folge der Erklärung der französischen Regierung wird am 18. April 1951 in Paris der Vertrag unterzeichnet, der die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) gründet. Am 23. Juli 1952 tritt der Vertrag, mit dem die Integration der Kohle- und Stahlindustrien erreicht wird, für die befristete Dauer von fünfzig Jahren in Kraft. Sich auf die gleichen Grundsätze stützend, wie sie in der Erklärung formuliert sind, werden am 25. März 1957 in Rom die Verträge zur Schaffung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG oder Euratom) unterzeichnet.


Sie treten am 1. Januar 1958 für unbegrenzte Zeit in Kraft und ermöglichen damit die Integration weiterer wirtschaftlicher Bereiche durch die Schaffung eines gemeinsamen Marktes im Rahmen der EWG und durch die Zusammenlegung der Atomindustrien im Rahmen von Euratom. Als Organisation, die sich eine gemeinsame Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten zum Ziel setzt, hat sich die EWG schnell als wichtigste Gemeinschaft durchgesetzt. Sie wird zum vorrangigen Instrument, um – auf indirektem Wege – eine politische Einigung zu erreichen.


Die drei europäischen Gemeinschaften entstehen als drei unterschiedliche internationale Organisationen, die jeweils über eigene Institutionen und Tätigkeitsbereiche verfügen. Sie werden im Vergleich zu ihrer „großen Schwester“ – dem Europarat – außerdem als Organisationen gegründet, die sowohl hinsichtlich ihres Tätigkeitsbereichs – anfänglich nur die Wirtschaft – als auch ihrer Zusammensetzung – anfänglich nur sechs Mitgliedstaaten – Einschränkungen unterliegen.

Sie werden allerdings dank ihrer Entwicklungsfähigkeit und Offenheit kontinuierlich in immer mehr Tätigkeitsbereichen immer weiter vordringen und sich schrittweise um neue Mitglieder erweitern.


Die Europäischen Gemeinschaften sind die ersten Organisationen mit einer supranationalen Integrationsform, die dadurch entstehen, dass ihre Mitglieder ihnen bestimmte nationale Zuständigkeiten abtreten. Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaften beschränken sich nicht darauf, ihre Politiken zu koordinieren, so wie sie es in einer klassischen internationalen Organisation – im Rahmen dessen, was man zwischenstaatliche Zusammenarbeit nennt – handhaben könnten, sondern sie machen gemeinsame Politiken, indem sie gemeinsame Institutionen schaffen, die für die gemeinschaftliche Beschlussfassung zuständig sind. Mit dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung ist allerdings festgelegt, dass die Gemeinschaften und ihre Organe nur im Rahmen der ihnen von den EG-Verträgen zugewiesenen Befugnisse und Ziele handeln. So obliegt es weiterhin den Mitgliedstaaten zu entscheiden, ob sie die gemeinschaftlichen Zuständigkeiten auf neue Tätigkeitsbereiche durch eine Reform der Gründungsverträge erweitern wollen.


Die drei Gemeinschaften werden getrennt gegründet und behalten jeweils ihre Rechtspersönlichkeit und Zuständigkeiten im Rahmen der einzelnen Verträge. Der Wunsch nach einem effizienten Einsatz der Mittel sowie das Bestreben, Dopplungen zu vermeiden, führen jedoch zur Fusion der drei Gemeinschaften. Durch das gleichzeitige Inkrafttreten der Römischen Verträge und des Abkommens über gemeinsame Organe für die Europäischen Gemeinschaften, das diesen Verträgen beigefügt ist, können die Befugnisse der drei Gemeinschaften vom Tage ihrer Gründung an von einer einzigen Versammlung und einem einzigen Gerichtshof wahrgenommen werden. Als am 1. Juli 1967 der Vertrag zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften in Kraft tritt, wird damit die „Fusion der Exekutivorgane“ verwirklicht. Ab diesem Zeitpunkt teilen sich die drei Gemeinschaften auch eine gemeinsame Kommission und einen gemeinsamen Rat. Dieser Vertrag schafft überdies auch einen gemeinsamen Haushalt und eine gemeinsame Verwaltung der Gemeinschaften sowie ein gemeinsames Statut für ihre Beamten und sonstigen Bediensteten.


Trotz der Schwierigkeiten, die auftreten, weil es drei unterschiedliche Gemeinschaften gibt, von denen eine die allgemeine Zuständigkeit für die Wirtschaft besitzt, wird es, von ihrer organisatorischen Zusammenlegung abgesehen, nicht zu einer Vereinigung der drei Gemeinschaften kommen. Die verschiedenen Fusionierungsversuche der Gemeinschaften durch die Annahme eines einzigen Vertrages werden scheitern. Außerdem werden bis zur Annahme der Einheitlichen Europäischen Akte im Jahr 1986 die wichtigen institutionellen Reformen in einem ausschließlich auf die Gemeinschaft begrenzten Rahmen durchgeführt (zum Beispiel: Ersetzung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften im Jahr 1971, Erhöhung der demokratischen Legitimität des Europäischen Parlaments durch die ersten Direktwahlen im Jahr 1979, schrittweise Ausweitung der gesetzgeberischen und budgetären Befugnisse des EP). Nur die Zusammenarbeit im Bereich der Außenpolitik entwickelt sich in der Praxis der diplomatischen Beziehungen außerhalb des gemeinschaftlichen Systems.


Die am 1. Juli 1987 in Kraft tretende Einheitliche Europäische Akte verankert institutionell das Verfahren der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) und beendet damit das „rein“ gemeinschaftliche Europa. Auf der Grundlage des institutionellen Rahmens wenden die Mitgliedstaaten fortan in ihren gemeinsamen Tätigkeitsbereichen sowohl das Verfahren der supranationalen Integration (im Rahmen der Gemeinschaftspolitiken) wie auch das Verfahren der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit (im Rahmen der EPZ) an. Trotz ihrer Bezeichnung erfolgt mit der Einheitlichen Europäischen Akte keine Verschmelzung der verschiedenen Verträge. Sie ist in erster Linie ein Reformvertrag der Gründungsverträge, der – in einem einzigen Rechtsakt – die Änderungen der die Gemeinschaften begründenden Verträge und die Bestimmungen zur EPZ beinhaltet. Die Gemeinschaften mit der EWG als wichtigste Organisation bleiben die „zentrale Säule“ des Aufbauwerks.


Mit dem Inkrafttreten des Vertrags über die Europäische Union (EU-Vertrag) am 1. November 1993 kommen zwei weitere zwischenstaatliche Säulen zu der bereits bestehenden gemeinschaftlichen Säule in einem einzigartigen institutionellen Rahmen hinzu: die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), die die EPZ ersetzt, und die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres. Innerhalb dieser komplexen Struktur bestehen die drei Gemeinschaften als unterschiedliche Rechtspersönlichkeiten bis zum Auslaufen des EGKS-Vertrags am 23. Juli 2002 fort. Anschließend bilden nur noch zwei Gemeinschaften den Gemeinschaftspfeiler der Europäischen Union. Mit dem EU-Vertrag nimmt die EWG die Bezeichnung Europäische Gemeinschaft (EG) an, um damit die Erweiterung der Zuständigkeiten in den nicht wirtschaftlichen Bereichen hervorzuheben, wie beispielsweise der Erziehung, der Kultur und der Öffentlichen Gesundheit.

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