Die Haltung des Vereinigten Königreichs

Die Haltung des Vereinigten Königreichs


Nach der Konferenz vom 1., 2. und 3. Juni 1955 in Messina treffen die Außenminister der sechs Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) die Entscheidung, das Vereinte Königreich, das schon assoziiertes Mitglied der EGKS ist, zur Teilnahme am Prozess der Europäischen Relance aufzufordern. Nach langem Zögern entsendet die Regierung von Harold Macmillan einige Tage später Russel F. Bretherton, Unterstaatssekretär am Board of Trade, als Delegierten nach Brüssel, damit er dort an den Beratungen der sechs nationalen Delegationen im von der Konferenz von Messina eingesetzten Regierungsausschuss teilnimmt. Die fachspezifischen Diskussionen behandeln unter anderem die Definition der jeweiligen Vorteile einer Zollunion oder einer Freihandelszone, die die Briten bevorzugen. Je weiter sich aber die Verhandlungen im Herbst 1955 auf die Möglichkeit der Schaffung eines allgemeinen gemeinsamen Marktes auf der Grundlage einer Zollunion mit einheitlichen Außenzolltarifen konzentrieren, umso zurückhaltender zeigt sich die britische Delegation, Verpflichtungen gegenüber den Partnern einzugehen. Das Inkrafttreten des Assoziierungsvertrages zwischen der EGKS und Großbritannien am 25. September 1955 verstärkt im übrigen bei den Briten das Gefühl, schon ausreichend an den Kontinent angebunden zu sein.


In Wahrheit befürchtet die britische Regierung, die weiß, dass die Öffentlichkeit der Verstärkung des europäischen Aufbauwerks nicht gewogen ist, dass ein gemeinsamer europäischer Markt nach und nach zu einer politischen Föderation führt. London fürchtet sich auch vor den Auswirkungen der britischen Beteiligung an einem gemeinsamen Markt auf seine privilegierten Beziehungen zu den Ländern des Commonwealth, insbesondere aufgrund des Systems der „imperial preferences“. Das Vereinigte Königreich will außerdem seinen Platz auf der internationalen Ebene beibehalten, indem es sich insbesondere gegenüber den Vereinigten Staaten zolltarifliche Autonomie und völlige Verhandlungsfreiheit bewahrt. Im November 1955 verlässt Bretherton den Verhandlungstisch, um endgültig nach London zurückzukehren. Die diplomatischen Anstrengungen des belgischen Außenministers und Vorsitzenden des Brüsseler Ausschusses, Paul-Henri Spaak, sind vergebens. Die Briten nehmen den Vorschlag Spaaks nicht an, die Verhandlungen zwischen den sechs Mitgliedsstaaten und Großbritannien im Rahmen der Westeuropäischen Union (WEU) fortzuführen. Spaak ist über diese Vorgehensweise und das, was er als Ablenkungsmanöver betrachtet, zutiefst irritiert und überzeugt deshalb die sechs Mitgliedsstaaten, den Prozess der europäischen Relance ohne das Vereinigte Königreich fortzusetzen. Und obwohl die Briten lange Zeit skeptisch sind, was die Erfolgschancen dieses Prozesses anbelangt, steigt ihre Besorgnis gegenüber der Sechs, die im Übrigen von den Vereinigten Staaten unterstützt werden.


Aus diesem Grund wird das Vereinte Königreich schnell eine verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit im Rahmen der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC) anstreben. Die sechs Gründerstaaten fordern ihre OEEC-Partner am Tag nach der Konferenz von Venedig am 29. und 30. Mai 1956 auf, sich ihnen anzuschließen. Unter dem Einfluss der Briten reagieren diese darauf mit der Einberufung einer speziellen Arbeitsgruppe, der so genannten G 17, die die Möglichkeiten einer Freihandelszone oder einer multilateralen Assoziierungsmethode zwischen der angestrebten Zollunion und den Ländern, die nicht daran teilnehmen würden, untersuchen soll . Die Gruppe führt ihre Arbeit zwischen Juli 1956 und Januar 1957 durch, das heißt in der Zeit, in der sich die Verhandlungen zwischen den sechs Mitgliedsstaaten zur Ausarbeitung der Verträge über den Gemeinsamen Markt und Euratom auf dem Höhepunkt befinden. So findet die europäische Relance ohne britische Beteiligung statt.

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