Die Rolle des Aktionskomitees für die Vereinigten Staaten von Europa

Die Rolle des Aktionskomitees für die Vereinigten Staaten von Europa


Nach seinem Rücktritt vom Vorsitz der Hohen Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) im November 1954 findet Jean Monnet seine vollständige Handlungs- und Redefreiheit wieder. Er zieht die Lehren aus dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) im August 1954 und konzentriert von nun an seine Bemühungen auf die europäische „Relance“, indem er die politischen Kräfte mobilisiert. Getreu der sektoriellen Integration, die man mit der EGKS, der einzigen bestehenden Gemeinschaft, angetestet hat, sucht Monnet nach Möglichkeiten, die Befugnisse der Hohen Behörde auf den Verkehr und den Energiebereich auszuweiten. Er steht im Übrigen mit dieser Idee nicht alleine da. Die Gemeinsame Versammlung der EGKS fordert ihrerseits ebenfalls die Ausweitung der Befugnisse der Gemeinschaft auf das Verkehrswesen und die Energie wie Gas, Strom und Kernenergie. In Wahrheit misst Monnet den nuklearen Herausforderungen eine ganz besondere Bedeutung bei. Er ist davon überzeugt, dass die zivile Nutzung der Kernenergie eine effiziente Lösung für die Energiekrise darstellen kann, die Europa bedroht, und will den Atombereich zum wirklichen Motor der europäischen „Relance“ machen. Eine europäische Kommission für Atomenergie hat seiner Ansicht nach mehrere Vorteile. Für Monnet, der im Hinblick auf die Konfrontation zwischen Washington und Moskau in äußerster Sorge ist, kann nur eine Europäische Atomgemeinschaft Westeuropa vor dem lauernden wirtschaftlichen und politischen Einbruch bewahren. Außerdem ermöglicht der Nuklearsektor Europa nicht nur die Entwicklung einer neuen Energiequelle, sondern es gibt in Europa auch noch keine nationalen Kernenergieindustrien, die nur ihre eigenen Interessen im Blick haben. Eine europäische Atomgemeinschaft muss ebenfalls die Möglichkeit bieten, die Entwicklung einer Atomindustrie in einen Rahmen zu setzen, in dem die Theorie einer nuklearen Aufrüstung der Bundesrepublik Deutschland ausgeschlossen wird. Aus diesem Grund besteht Monnet auf der ausschließlich friedlichen Ausrichtung der künftigen Gemeinschaft. Er ist für eine Assoziierung des Vereinigten Königreichs mit dem Atompool und möchte sich von der Funktionsweise der amerikanischen Atomenergiebehörde inspirieren lassen.


Obwohl er a priori der Einrichtung eines allgemeinen gemeinsamen Marktes nicht sehr gewogen ist, weiß Monnet, dass er für einige europäische Partner, darunter die BRD und die Niederlande, prioritär ist. Deshalb entschließt er sich, beide Projekte in der Hoffnung zu verbinden, sie so gleichzeitig vorantreiben zu können. Während Frankreich aufgrund des Scheiterns der EVG nicht in der Position ist, eine neue diplomatische Initiative zu ergreifen, wendet sich Monnet an den belgischen Außenminister Paul-Henri Spaak, damit er das Relanceprogramm an seine europäischen Kollegen heranträgt. Die drei Beneluxstaaten greifen die Projekte des niederländischen Außenministers Johan Willem Beyen auf und verfassen im Mai 1955 ein gemeinsames Memorandum. Dieses Dokument ist die Synthese der Pläne von Monnet und von Beyen, da es sowohl auf Sektoren wie dem Verkehr und der Energie und insbesondere dem Energiebereich bezogene Aktionen vorsieht, als auch die Einrichtung eines allgemeinen gemeinsamen Marktes in Europa. Auf der Grundlage des Benelux Memorandums geben die sechs Mitgliedsstaaten einige Tage später in Messina der europäischen Integration offiziell einen neuen Anstoß.


Jean Monnet benötigt daraufhin nur einige Monate, um das Aktionskomitee für die Vereinigten Staaten von Europa (ACUSE) ins Leben zu rufen. Als Lobby am 13. Oktober 1955 in Paris gegründet, versammelt das Aktionskomitee die Verantwortlichen der Gewerkschaften und die Vorsitzenden der demokratisch-christlichen, liberalen und sozialistischen politischen Parteien des Europas der Sechs. Es zielt darauf ab, eine Parteien- und Gewerkschaftsfront zu bilden, die auf politischer Ebene das europäische Vorgehen auf technischer und diplomatischer Ebene unterstützt. Dies soll durch die direkte Einwirkung auf die nationalen Regierungen und Parlamente geschehen, damit die europäischen Projekte nicht in Diskussionen von Sachverständigen untergehen. Das Ziel des Monnet-Komitees war von Anfang an, dass die „Entschließung vom 2. Juni 1955 zu einem echten Schritt auf dem Weg zu den Vereinigten Staaten von Europa wird … Eine bloße Zusammenarbeit zwischen den Regierungen würde nicht genügen. Es ist unbedingt erforderlich, dass die Staaten einige ihrer Befugnisse auf die föderalen europäischen Institutionen übertragen ...“. Anlässlich seiner Gründungssitzung am 18. Januar 1956 verabschiedet das Aktionskomitee für die Vereinigten Staaten Europas eine Erklärung, in der es die Regierungen der sechs Mitgliedsstaaten dazu auffordert, nach dem Vorbild der EGKS eine neue supranationale Gemeinschaft für die Entwicklung der Atomenergie zu gründen. Um seinem Programm mehr Gewicht zu verleihen, legt das Monnet-Komitee seine Erklärung den Parlamenten in den sechs Mitgliedsstaaten zur Zustimmung vor. Obwohl es nur einige hundert Mitglieder zählt, erfreut sich das Aktionskomitee eines großen Einflusses, den es in den Dienst der europäischen Relance und insbesondere Euratoms stellt, die für Monnet das vorrangige Ziel ist, da sie zielgerichteter ist und darüber hinaus den Interessen Frankreichs am besten entspricht. Im Laufe der gesamten Verhandlungen unterhält Monnet im Übrigen einen engen Kontakt mit einigen Sachverständigen, die in Val Duchesse an den Vorarbeiten zu den Gründungsverträgen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG) teilnehmen. Es ist letztlich auf die Beharrlichkeit von Jean Monnet und dem Aktionskomitee zurückzuführen, dass der französische Regierungschef Guy Mollet schließlich im November 1956 der Gründung des Ausschusses der Drei Weisen zustimmt, der mit der Verfassung eines Berichts über die Energiesituation Europas, die Perspektiven der Kernenergie und das gemeinsam im Rahmen von Euratom zu verwirklichende Programm beauftragt wird.

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