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Der Marshallplan und die Gründung der OEEC

Der Marshallplan und die Gründung der OEEC


Am Ende des Krieges gewähren die Vereinten Nationen (UNO), die mit der Unterzeichnung der Charta der Vereinten Nationen im Juni 1945 in San Francisco gegründet wurden, den zerstörten europäischen Ländern finanzielle Hilfen. Europa leidet unter akuter Lebensmittelknappheit, und die Nahrungsmittel müssen weiter rationiert werden. Außerdem herrscht ein Devisenmangel, wodurch die Einfuhren an zivilen und militärischen Ausrüstungsgütern stark begrenzt sind. Die Nothilfe- und Wiederaufbauverwaltung der Vereinten Nationen, die United Nations Relief and Rehabilitation Agency (UNRRA), die bereits im November 1943 eingerichtet worden war, leistet den einzelnen europäischen Staaten Hilfe, vor allem im humanitären Bereich.


Doch sind diese Zahlungen begrenzt und reichen nicht aus, um die Wirtschaft dieser Länder wirksam anzukurbeln. Der Handel auf dem europäischen Kontinent ist aufgrund des Devisenmangels und des Fehlens einer internationalen Organisation, die den Welthandel organisieren könnte, ins Stocken geraten. Die Vereinigten Staaten, die großes Interesse an der Stärkung des Handels haben, um ihre eigenen Exporte zu erhöhen, beabsichtigen deshalb, die europäische Wirtschaft durch ein breit angelegtes Strukturprogramm wieder aufzubauen. Für die USA geht es vor allem darum, den amerikanischen Wohlstand zu bewahren und die Wirtschaft vor der drohenden nationalen Überproduktion zu schützen. Doch der Entschluss der Vereinigten Staaten zugunsten einer massiven Wirtschaftshilfe für Europa hat vor allem politische Gründe. Die Angst vor einer Ausbreitung des Kommunismus in Westeuropa in einem Klima des Kalten Krieges ist ein genau so wichtiges Argument wie die Eroberung neuer Märkte. Die Amerikaner bieten deshalb an, Hunger und Elend in Europa zu bekämpfen, die ihrer Ansicht nach den Kommunismus fördern. Der Marshall-Plan entspricht der amerikanischen Politik der Eindämmung – der Containment-Politik, die Präsident Harry S. Truman in einer Rede vor dem amerikanischen Kongress am 12. März 1947 darlegt –, die dem reellen oder vermeintlichen Vormarsch des Kommunismus in Europa Einhalt gebieten soll.


Am 5. Juni 1947 hält der amerikanische Außenminister George Marshall in der Harvard-Universität in Cambridge (Massachusetts) eine Rede, in der er allen europäischen Ländern eine Wirtschafts- und Finanzhilfe in Aussicht stellt, unter der Bedingung einer engeren europäischen Zusammenarbeit: Der Marshallplan oder das European Recovery Program (ERP) ist geboren. Frankreich und Großbritannien sind sehr interessiert und berufen drei Wochen später eine Konferenz in Paris ein, zu der sie auch die Sowjetunion einladen, um ein gemeinsames Programm als Antwort auf das Angebot des Generals Marshall zu entwerfen. Aber der russische Außenminister Wjatscheslaw Molotow lehnt jegliche internationale Kontrolle kategorisch ab und ist gegen den wirtschaftlichen Aufbau Deutschlands. Die Sowjetunion schlägt die Marshallplan-Hilfen endgültig aus und hält auch ihre Satellitenstaaten und das benachbarte Finnland von der Annahme der amerikanischen Gelder ab. Diese Ablehnung vertieft den Bruch zwischen dem Osten und dem Westen Europas. Als Reaktion auf den Marshall-Plan gründet die UdSSR im Januar 1949 zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den Ländern des Ostblocks den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW oder Comecon).


Schließlich akzeptieren sechzehn Staaten den Marshallplan: Belgien, Dänemark (mit den Färöer und Grönland), Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien (und San Marino), Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal (mit Madeira und den Azoren), Schweden, die Schweiz (mit Liechtenstein), die Türkei und das Vereinigte Königreich. Sie richten unverzüglich einen Ausschuss für die europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit ein, der einen Bericht über die Prioritäten der europäischen Wirtschaft verfasst. Der Ausschuss sieht die Gründung eines ständigen Organs der Zusammenarbeit vor. Am 16. April 1948 unterzeichnen die sechzehn Staaten in Paris das Übereinkommen zur Gründung der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC). Deutschland und das Freie Territorium Triest treten der Organisation im Jahr 1949 bei. Damit ist die OEEC de facto eine weltweite Organisation. Nach dem Beitritt der Vereinigten Staaten und Kanadas im Jahr 1960 wird sie zur Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), der später noch weitere Staaten beitreten.


Die Vereinigten Staaten verabschieden im April 1948 ein Entwicklungshilfe-Gesetz, mit dem die Economic Cooperation Administration (ECA) zur Verwaltung des Marshallplans eingerichtet wird. Sie beschließen, einen ständigen Vertreter nach Europa zu entsenden und Sondermissionen in jedem Land einzurichten, das Hilfen erhält. Sie schließen mit allen Ländern bilaterale Abkommen ab.


Das europäische Wiederaufbauprogramm besteht sowohl aus Hilfen als auch aus Darlehen in einer Gesamthöhe von 13 Milliarden Dollar, die von April 1948 bis Juni 1951 ausgegeben werden. Über diese Investitionen zur Modernisierung der Wirtschaft hinaus werden die amerikanischen Hilfen vor allem für den Kauf von Waren genutzt, die für die europäischen Wirtschaften lebensnotwendig sind: Lebensmittel und Agrarerzeugnisse, Rohstoffe, Geräte und Industrieausstattungen. Gleichzeitig wenden die Vereinigten Staaten Gelder für die Entwicklung der Herstellung strategischer Materialien in den europäischen Kolonien auf, wo die Amerikaner jeglichen Vormarsch des Kommunismus unterbinden wollen. Im Oktober 1948 richtet die OEEC den Ausschuss für Überseegebiete ein, der über einen Sonderfonds für die Überseegebiete die europäischen Länder zur Zusammenarbeit mit den USA für die Entwicklung Afrikas anhalten soll.


Die politische Bedeutung des Marshallplans darf nicht unterschätzt werden. Mittels dieser Unterstützung will der amerikanische Präsident Harry Truman den freien Völkern bei der Lösung ihrer wirtschaftlichen Schwierigkeiten helfen. Gleichzeitig geht es darum, dem Kommunismus Einhalt zu gebieten, der Länder wie Frankreich und Italien zu bedrohen scheint. Diese Strategie erweist sich als richtig, denn bei den Wahlen im April 1948 erringt das christdemokratische Lager in Italien einen deutlichen Sieg über die bisher so einflussreichen Kommunisten. Der Marshallplan geht mit einer massiven Propaganda einher. So durchquert beispielsweise ein mit Lebensmitteln gefüllter „Europazug“ die Mitgliedstaaten des Marshallplans und stellt die realisierten Vorhaben und die erzielten Ergebnisse vor. Presse und Rundfunk werden ebenfalls genutzt. Denn der Plan für den Wiederaufbau Europas ist sehr wohl eine Waffe im Kalten Krieg. Aber der Marshallplan kennzeichnet auch den Beginn der Konsumgesellschaft in Westeuropa, die beispielsweise durch Coca Cola und die Hollywood-Filme repräsentiert wird. Bereits 1948 verhandelt die OEEC ein multilaterales Übereinkommen für intereuropäische Zahlungen, dem 1949 ein Kodex für die Liberalisierung des Handels folgt. Von Juli 1950 bis Dezember 1958 stellt eine Europäische Zahlungsunion (EZU) die Konvertibilität der europäischen Währungen wieder her und hebt die mengenmäßigen Beschränkungen im Handel auf. Die OEEC fördert zudem die wirtschaftliche Produktivität in Europa, indem sie im Jahr 1953 die Europäische Produktivitätsagentur gründet, die die technologischen Fortschritte im Industriesektor prüfen und verbreiten soll. Durch die Tatsache, dass sie zunächst die europäischen Demokratien mit einer Marktwirtschaft unter ihrem Dach versammelt, stellt die OEEC einen ersten wichtigen Schritt auf dem Weg zur europäischen Einheit dar. Sie bleibt jedoch ein Organ der Regierungszusammenarbeit, die es nicht bis zur Einrichtung einer Zollunion schafft.

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