Die Fouchet-Pläne
Die Fouchet-Pläne
Nachdem er 1959 und 1960 von den Amerikanern und den Briten eine Abfuhr bezüglich seiner Reformvorhaben für die NATO erhalten hat, konzentriert General de Gaulle sein Handeln auf internationaler Ebene zunächst auf die Verwirklichung eines politischen Europas. Im Juli 1960 teilt er dem deutschen Bundeskanzler Adenauer seine Überlegungen hinsichtlich einer europäischen politischen Union mit. Ziel des Generals ist eine Reform der Europäischen Gemeinschaften im Sinne eines Europas der Staaten. Dazu schlägt er unter anderem regelmäßige Treffen zwischen Ministern, den Staats- und Regierungschefs der Sechs sowie hohen Beamten vor, um über Fragen der Politik, der Wirtschaft, der Kultur und der Verteidigung zu beraten. Diese Treffen sollen von einer beratenden Versammlung begleitet werden, die sich aus nationalen Parlamentsvertretern zusammensetzt. Im Grunde genommen schlägt de Gaulle Adenauer nichts anderes als die Bildung einer Art deutsch-französischer Konföderation mit gemeinsamer Staatsbürgerschaft vor. De Gaulle zählt dabei auf die Motorenfunktion des deutsch-französischen Tandems, um die Zustimmung der anderen europäischen Partner zur Schaffung eines autonomen Europas zu erhalten. Trotz der zurückhaltenden Reaktion des Bundeskanzlers und der Meinungsunterschiede der Sechs in Bezug auf die Beteiligung des Vereinigten Königreichs folgen die ersten Verhandlungen auf europäischer Ebene.
Bei einem Gipfeltreffen vom 10. bis zum 11. Februar 1961 in Paris verständigen sich die Sechs auf den Ausbau ihrer politischen Zusammenarbeit. General de Gaulle schlägt seinen fünf Partnern die Einberufung eines Ausschusses mit Vertretern der sechs Regierungen vor, der die Modalitäten einer eventuellen diplomatischen und politischen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) untersuchen soll. Der Ausschuss tagt unter dem Vorsitz des französischen Diplomaten und ehemaligen gaullistischen Abgeordneten Christian Fouchet und beschließt die Einrichtung zweier Unterausschüsse. Bei einem Treffen in Bad Godesberg am 18. Juli 1961 bekräftigen die Sechs ihre Absicht, eine politische Union zu gründen, ohne sie jedoch genauer zu definieren.
Am 19. Oktober 1961 stellt Christian Fouchet dem Regierungsausschuss einen ersten Vertragsentwurf (Fouchet-Plan I) zur Gründung einer unauflösbaren Staatenunion vor, die auf der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit sowie der Achtung der Identität der Völker und der Mitgliedstaaten beruht. Er schlägt die Einrichtung einer Zusammenarbeit außerhalb der Gemeinschaftsverträge im Bereich der Außen- und Verteidigungspolitik, der Wissenschaft, der Kultur und des Schutzes der Menschenrechte vor. Auf institutioneller Ebene sieht der Entwurf die Schaffung eines aus den Staat- oder Regierungschefs bestehenden Rates vor, der drei Mal pro Jahr zusammentritt und einstimmige Beschlüsse fasst. Ein Außenministerrat sorgt dazwischen für die Kontinuität. Dem Rat wird eine Kommission zur Seite gestellt, die aus Diplomaten der Mitgliedstaaten zusammengesetzt ist und die Regierungen vertritt. Der Plan trifft eine Unterscheidung zwischen den Befugnissen der Gemeinschaft und denen der neuen politischen Union.
Die Partner Frankreichs sind gegen diesen ersten Vertragsentwurf, da sie die französische Übermacht in den Außenbeziehungen der Sechs befürchten. Zudem lehnen sie die stärkere zwischenstaatliche Prägung der Institutionen ab, in der sie eine Bedrohung für die Unabhängigkeit und das supranationale Wesen der Gemeinschaftsorgane sehen. Zudem wollen die Niederlande weder die Verhandlungen mit Großbritannien über die Erweiterung des Gemeinsamen Marktes erschweren noch die europäisch-atlantischen Gespräche über die Zukunft der NATO belasten. Am 18. Januar 1962 legt Christian Fouchet daher eine neue Fassung seines Plans vor (Fouchet-Plan II): Der Union sollen wirtschaftliche Befugnisse übertragen werden, die ursprünglich den Gemeinschaften zukamen, die ihrerseits dem Organ der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit untergeordnet werden sollen. Diese zweite Fassung erwähnt das atlantische Bündnis mit keinem Wort.
Zu dem Zeitpunkt, da der Gemeinsame Markt in seine zweite Phase eintritt, kritisieren die Partner Frankreichs und allen voran die Benelux-Staaten den Entwurf heftig und lehnen ihn erneut ab. Sie unterbreiten Gegenvorschläge, die in eine föderalistische Richtung weisen und ihrerseits von der französischen Regierung zurückgewiesen werden. Anfang April löst der Generalsekretär des italienischen Außenministeriums, Emilio Cattani, den zum Hochkommissar in Algerien ernannten Christian Fouchet an der Spitze des Regierungsausschusses ab. Cattani bringt neue Änderungsvorschläge ein, aber es gelingt ihm nicht, die Interessen Frankreichs mit denen seiner Partner in Einklang zu bringen. Belgien und die Niederlande wollen den Beitritt Großbritanniens zum Gemeinsamen Markt abschließen, bevor sie die Umsetzung einer politischen Union fortführen. Daher können die Außenminister am 17. April 1962 in Luxemburg nur noch ihre Uneinigkeit feststellen. Am 15. Mai macht General de Gaulle das Ende der Bemühungen um ein politisches Europa offiziell. Bei einer viel beachteten Pressekonferenz prangert er die Thesen der europäischen Föderalisten an und kritisiert offen das Spiel der Briten und Amerikaner.
Das Scheitern des Fouchet-Plans führt zu einer Reihe von Krisen, welche allesamt von der Uneinigkeit über das Wesen des europäischen Einigungsprozesses, über die Machtbefugnisse der Gemeinschaftsorgane und über die atlantische Solidarität geprägt sind. Die Staats- und Regierungschefs treten sieben Jahre lang nicht mehr zusammen. Aber dieses Scheitern führt auch zu einer Intensivierung der deutsch-französischen Beziehungen.