Themendossier

Der britische Vorschlag einer großen Freihandelszone

Das britische Vorhaben einer großen Freihandelszone


Nachdem die britische Delegation im November 1955 den auf der Konferenz von Messina eingesetzten Regierungsausschuss verlassen hat, hat die Londoner Regierung zwei Möglichkeiten: Entweder sie lässt die Integration auf dem Kontinent fortschreiten und geht das Risiko einer raschen Isolation ein, oder sie ergreift selbst eine alternative Initiative.


Das Vereinigte Königreich will auf jeden Fall nicht den Weg eines gemeinsamen Marktes beschreiten, der auf einer Zollunion mit gemeinsamem Außenzolltarif beruht, der seinerseits seinen privilegierten Platz als Handelsmacht in der Sterling-Zone und im Commonwealth in Gefahr brächte. Unverzüglich ruft Handelsminister Peter Thorneycroft Arbeitsgruppen ins Leben, die sich mit der Abschaffung von Zollschranken und Kontingenten in Europa beschäftigen. Die Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC), die 1948 zur Umsetzung des Marshall-Planes für Wirtschaftshilfe in Europa gegründet worden ist, erscheint sofort als die Struktur, die für das britische Anliegen am ehesten in Frage kommt. Nach vergeblichen Versuchen, die Verhandlungen zwischen den sechs Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), die sie als „Kleineuropa“ betrachten, zu untergraben, konzentrieren die Briten sich auf die Einrichtung einer regionalen Freihandelszone, die Agrarerzeugnisse ausschließt. Dieses Vorhaben wird unter der Bezeichnung „Plan G“ geführt. Die Londoner Regierung wird unterdessen aufgefordert, an den Verhandlungen von Val Duchesse über den Gemeinsamen Markt und Euratom teilzunehmen, und schlägt derweil die Entsendung eines Beobachters vor, da sie sich weigert, den Spaak-Bericht als Verhandlungsgrundlage anzuerkennen. Die Sechs lehnen dies kategorisch ab.


Nachdem sie erfolglos versucht haben, Zeit zu gewinnen, um die Erfolgschancen der europäischen „Relance“ besser einschätzen zu können, legen die Briten dem OEEC-Ministerrat am 17. Juli 1956 ihr Vorhaben für eine Freihandelszone vor. Zwei Tage später beschließt der Ministerrat der OEEC die Einrichtung der so genannten „Arbeitsgruppe 17“, die die Einrichtung eines multilateralen Systems prüfen soll, in dem die Zollunion der Sechs mit den anderen OEEC-Mitgliedstaaten assoziiert würde. Auf Vorschlag des britischen Premierministers Harold Macmillan übernimmt Baron Jean-Charles Snoy et d'Oppuers, Generalsekretär des belgischen Wirtschaftsministeriums und außerdem belgischer Delegationsleiter bei der Regierungskonferenz für den Gemeinsamen Markt und Euratom, den Vorsitz dieser Arbeitsgruppe. Die Briten hoffen so, eine enge Verbindung zwischen den beiden europäischen Vorhaben herstellen zu können und direkten Zugang zu Informationen über den Stand der Verhandlungen von Val Duchesse zu erhalten. In den Augen der Londoner Regierung muss die Freihandelszone drei Forderungen erfüllen: eine bessere Definition der Position Großbritanniens, falls das System der imperialen Präferenzen mit dem Commonwealth beibehalten würde, die Bestätigung seiner vorherrschenden Stellung in der OEEC und die Wahrung seines Einflusses auf den europäischen Integrationsprozess durch enge Verbindungen zwischen der Freihandelszone und dem Gemeinsamen Markt. Aufgrund dieser Formel will die britische Regierung Handelshemmnisse zwischen den Mitgliedstaaten der Zone nur für Industrieerzeugnisse abschaffen und gleichzeitig für jedes dieser Länder einen eigenen Zolltarif gegenüber Drittstaaten beibehalten. Spaak aber befürchtet, dass die britische Initiative nur ein taktisches Manöver ist, um die Relance zu bremsen, die für ihn selbst von außerordentlicher Bedeutung ist. Er betrachtet den britischen Vorschlag außerdem keineswegs als Alternative. Genauso wenig wie die Vereinigten Staaten: Sie unterstützen aktiv die Bemühungen der Sechs und warnen die Regierung in London vor jeder Aktion, die die Einrichtung des zukünftigen gemeinsamen Marktes behindern könnte.


Im Januar 1957 legt die Sondergruppe der OEEC ihren Bericht vor, in dem die technischen Möglichkeiten für die Gründung einer Freihandelszone in Europa darlegt werden. Am 13. Februar beschließt der OEEC-Ministerrat die Aufnahme offizieller Verhandlungen zur Einrichtung einer Freihandelszone in Europa, „die auf multilateraler Basis den Gemeinsamen Markt der Sechs und die anderen Mitgliedstaaten der OEEC miteinander assoziiert“. Der Schatzkanzler und amtierende Vorsitzende des OEEC-Rates Thorneycroft wird mit der Koordinierung der Facharbeitsgruppen betraut und soll für die Freihandelszone die Aufgaben übernehmen, die Spaak in Val Duchesse für den Gemeinsamen Markt gewährleistet. Am 8. März nimmt der OEEC-Rat wirklich Verhandlungen auf, indem er drei Arbeitsgruppen einrichtet: eine Gruppe für Fragen der Freihandelszone und allgemeine technische Fragen, eine für Fragen im Zusammenhang mit der Landwirtschaft und eine für die Probleme der Entwicklungsländer. Nach der Unterzeichnung der Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG) am 25. März 1957 in Rom verzögern die Debatten über die Ratifizierung der Verträge durch die Parlamente in den sechs Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und insbesondere in Frankreich die Verhandlungen. Zumal die Sechs sich mit Hilfe des Interimsausschusses für den Gemeinsamen Markt und Euratom vor jeder Sitzung untereinander auf eine gemeinsame Haltung einigen müssen.


Deshalb beschließt der Rat der OEEC erst am 17. Oktober 1957, ein steering committee in Form eines Regierungsausschusses unter dem Vorsitz von Reginald Maudling einzurichten, dem Paymaster General der britischen Regierung. Zwei Wochen später überreicht Maudling den Siebzehn einen Vermerk, in dem er einen internen Zollabbau und die Abschaffung der Kontingente in denselben Schritten befürwortet, die auch der EWG-Vertrag vorsieht. Er schlägt auch vor, Ursprungskontrollen für Industrieerzeugnisse einzuführen, um der Gefahr der Verkehrsverlagerung zu begegnen. Aber die Bestimmung der Herkunft der Erzeugnisse, die Anwendung von Schutzklauseln und die Vereinheitlichung der Zölle führen zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen der britischen und der französischen Delegation. Zumal die französische Regierung ihren Partnern in der EWG im März 1958 einen neuen Plan vorlegt, der ein System der multilateralen Assoziierung mit den anderen Mitgliedstaaten der OEEC vorsieht und damit hinter dem britischen Vorhaben einer Freihandelszone zurückbleibt. Da die französischen Behörden aber von Mai an vom bewaffneten Aufstand in Algier in Anspruch genommen werden, bleibt diese Angelegenheit vorerst liegen. Unter dem Vorsitz des Botschafters und belgischen Delegationsleiters bei der OEEC, Roger Ockrent, verfassen die Sechs jedoch ein gemeinsames Memorandum zur Europäischen Wirtschaftsassoziation. Aber erst nach der Konferenz von Venedig, an der am 20. September 1958 auch die EWG-Kommission teilnimmt, erzielen die Sechs eine Einigung. Einen Monat später wird der OEEC der Ockrent-Bericht vorgelegt. Aber die Verhandlungen geraten ins Stocken. Am 15. November lehnt General de Gaulle, seit sechs Monaten französischer Staatspräsident, im Alleingang das britische Projekt der Freihandelszone ab. Einen Monat später werden die Verhandlungen endgültig unterbrochen. Im Frühjahr 1959 reagieren sieben OEEC-Mitgliedstaaten auf diesen Misserfolg, indem sie neue Verhandlungen aufnehmen. Sie wollen untereinander eine kleinere Freihandelszone einrichten, die ihnen einen Teil der Vorteile verschaffen soll, die durch die Abschaffung von Zollhindernissen entstehen. Am 20. November 1959 paraphieren die Vertreter Österreichs, Dänemarks, Norwegens, Portugals, der Schweiz, Schweden und des Vereinigten Königreichs in Stockholm das Übereinkommen zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation.

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