Themendossier

Die Entstehung des gemeinschaftlichen Europas

Einleitung


Im Jahr 1945 ist Europa besiegt und am Ende. Zwar gelten Großbritannien und Frankreich als Sieger über das vernichtete und zur Kapitulation gezwungene Hitlerdeutschland. England – verherrlicht für den erfolgreichen Widerstand gegen die Naziherrschaft – ist jedoch durch den Krieg erschöpft und ruiniert. Das besetzte und später durch die heftigen Kämpfe teilweise zerstörte Frankreich ist nicht mehr in der Lage, seine Verteidigung und seinen Wiederaufbau ohne die Unterstützung seiner Alliierten zu gewährleisten. Zu Beginn des Kalten Krieges gerät das geteilte Europa zum ersten Mal in seiner Geschichte in die Abhängigkeit der USA und der Sowjetunion, der unumstrittenen Sieger des Weltkriegs.


Gleichwohl versucht Europa, sich aus der Asche zu erheben, und sucht nach einer friedlichen und nachhaltigen Lösung für seine Zukunft. Die Erbfeinde Deutschland und Frankreich stehen im Zentrum der Pläne für eine neue europäische Ordnung. In dem Bewusstsein, dass England ein strukturiertes Europa ablehnen wird, wendet sich Frankreich seinem deutschen Nachbarn zu. Allerdings stellt die Frage der Kohle- und Erzvorkommen des Saarlandes und des Ruhrgebiets die Beziehungen zwischen den beiden Ländern auf eine harte Probe. Frankreich fühlt sich nach wie vor von Deutschland bedroht. Das Ruhrgebiet, Symbol für die Industrie- und Militärmacht der Deutschen, wird rasch zur vorrangigen strategischen Frage. Aus diesem Grund wird es unter die Kontrolle der Internationalen Ruhrbehörde (IRB) gestellt, die ab dem Frühjahr 1949 die Produktion, den Export und den Vertrieb von Kohle, Koks und Stahl aus dem Ruhrgebiet regelt. Trotz zunehmender Proteste Deutschlands sichert sich Frankreich so einen privilegierten Zugang zu den Eisen- und Stahlressourcen, die es dringend für seinen eigenen Wiederaufbau benötigt.


Fest entschlossen, die festgefahrene Situation zu lösen und die spaltenden Faktoren für die Herstellung der Einheit zu nutzen, tritt der französische Außenminister Robert Schuman am 9. Mai 1950 mit einer spektakulären Erklärung vor die Presse. Von den europäischen Vorhaben seines Landsmannes, des Generalkommissars für Planwirtschaft Jean Monnet angeregt, schlägt er die Zusammenlegung der Eisen- und Stahlerzeugung beider Länder unter dem Dach einer stabilen supranationalen Struktur, der künftigen Hohen Behörde, vor. Dieser Plan zur Integration einzelner Sektoren der Wirtschaft ist sowohl als Garant gegen eine mögliche Remilitarisierung Deutschlands als auch als wirksames Instrument gegen die Risiken der Überproduktion von Stahl in Westeuropa konzipiert und begründet eine Interessengemeinschaft, die beide Länder automatisch verbindet. Ein neuer deutsch-französischer Krieg wird dadurch praktisch unmöglich. Schließlich bietet der Schuman-Plan den Vorteil, die Bundesrepublik Deutschland (BRD) endgültig in die freie westliche Welt einzubinden. Der Plan wird zunächst von Bundeskanzler Konrad Adenauer und später auch von Italien und den drei Beneluxstaaten begeistert angenommen und führt am 18. April 1951 zur Unterzeichnung des Pariser Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS).


Die Schuman-Erklärung stellt zweifellos eine entscheidende Etappe in der Geschichte der europäischen Einigung dar. Sie gilt als Geburtsurkunde des gemeinschaftlichen Europas. Hauptziel des Schuman-Plans ist es, die jahrhundertelange deutsch-französische Feindschaft zu beenden, die Unzulänglichkeiten der damals bestehenden europäischen Organisationen auszugleichen und den Weg zu einer Föderation zu ebnen. Nur fünf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Hoffnung auf Frieden und Wohlstand in Europa groß.

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