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Die Dekolonisation

Die Dekolonisation


Die europäischen Kolonialmächte (Frankreich, Vereinigtes Königreich, Niederlande und Belgien) gehen geschwächt und zerstört aus dem Zweiten Weltkrieg hervor. Im Jahr 1945 dominieren daher zwei neue Supermächte die internationale Bühne und unterstützen den Prozess der Dekolonisation: die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion. Die erste Welle der Dekolonisation fällt in die Jahre des Kalten Krieges. Die UdSSR und Kontinentalchina leisten zahlreichen nationalen Befreiungsbewegungen wertvolle Hilfe in der Hoffnung, das westliche Lager zu schwächen und diese neuen Staaten an sich zu binden.


Die kolonisierten Völker sind sich der günstigen internationalen Lage bewusst und nehmen den Kampf um ihre Unabhängigkeit auf. Die Emanzipation der Kolonien geschieht für einige auf dem Verhandlungswege, für andere mit Gewalt.


Die friedliche Dekolonisation: das Beispiel Indien


Die Bewegung des zivilen Ungehorsams, die Gandhi in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen anführt, zwingen Großbritannien in die Knie. Das arme, aber bevölkerungsstarke Indien beabsichtigt, eine Rolle auf der internationalen Bühne zu spielen und setzt sich für einen neutralen Antikolonialismus ein. Nach Ende des Zweiten Weltkriegss ist Großbritannien außer Stande, einen weiteren Kolonialkrieg zu bestreiten, und entlässt den indischen Subkontinent im August 1947 schließlich in die Unabhängigkeit, wobei das Land gespalten wird und mit Pakistan ein weiterer Staat entsteht. Sobald die Verfassung fertig gestellt ist, wird im Januar 1950 die Republik Indien ausgerufen, aber das Land bleibt weiter Mitglied des britischen Commonwealth.


Die gewaltsame Dekolonisation: Indochina und Algerien


In Südostasien glaubt Frankreich, Vietnam, wo seine Truppen seit 1948 die Viet-Minh – die kommunistische Liga für die Unabhängigkeit Vietnams – bekämpfen, zurückgewinnen zu können, seine Strategen jedoch sagen einen langen und verlustreichen Konflikt voraus. Um diesen Krieg gegenüber der internationalen Öffentlichkeit und vor allem den Vereinigten Staaten gegenüber zu rechtfertigen, deklariert es ihn eher als Teil des Kampfes gegen den Kommunismus denn als Kolonialkrieg. Daher sind die Vereinigten Staaten 1950 auch bereit, die französischen Kriegsbemühungen durch Waffenlieferungen materiell zu unterstützen. Die Position Frankreichs in Vietnam wird jedoch immer schwächer. Nach dem katastrophalen Verlust der Festung von Dien Bien Phu am 7. Mai 1954 wird Frankreich sich bewusst, dass es diesen fernen, teuren Krieg nicht länger allein im Namen der Bekämpfung des Kommunismus führen kann. Frankreich erklärt sich daher mit den Ergebnissen der Genfer Konferenz einverstanden, die die Unabhängigkeit Indochinas bestätigt. Während Nordvietnam unter die kommunistische Führung Ho Chi Minhs gerät, wird im Süden eine nationalistische Diktatur eingerichtet. Vom indochinesischen Pulverfass befreit, verliert Frankreich einen großen Teil seines Prestiges als Kolonialmacht, was die Unabhängigkeitsbewegungen, die bereits in den nordafrikanischen Besitzungen agieren, nur noch bestärkt. Im Gegensatz zu Frankreich jedoch finden sich die Vereinigten Staaten mit den Ergebnissen der Genfer Konferenz nicht ab und unterstützen weiter die Unabhängigkeit Südvietnams.


Zusätzlich ist Frankreich mit einer schweren Krise in Nordafrika konfrontiert, die in Algerien mit dem Aufstand der Nationalen Befreiungsfront (FLN) im Jahre 1954 ihren Anfang nimmt. Anschließend greift der Konflikt auf Marokko und Tunesien über und bedroht schließlich gar die französische Republik selbst. Die Protektorate Marokko und Tunesien erhalten ihre Unabhängigkeit kampflos im März 1956. Dagegen verhindert in Algerien eine starke Minderheit europäischer Siedler, die die Gründung einer algerischen islamischen Republik strikt ablehnen, jegliche friedliche Lösung. Das Land besteht aus Departements und wird als ein unveräußerlicher Teil des Staatsgebietes betrachtet. Erst nach einem blutigen, acht Jahre währenden Krieg – der vom Aufstand im Jahr 1954 bis zu den Verträgen von Évian im Jahr 1962 dauert – wird Algerien zu einem unabhängigen Staat. Mehr als 800 000 europäische Siedler verlassen überstürzt das Land und suchen in Frankreich Zuflucht.


Dieser Krieg verursacht Frankreich große Schwierigkeiten und droht, in einen Bürgerkrieg auszuarten. Er führt zu einer Staatskrise mit dem Sturz der IV. Republik und der Rückkehr des Generals de Gaulle im Jahre 1958, der die nationale Einheit wiederherzustellen gedenkt.


Endlich von der kolonialen Unterdrückung befreit, weigern sich zahlreiche der Länder Asiens und Afrikas, die soeben ihre Unabhängigkeit erlangt haben, sich den Großmächten anzuschließen und versuchen, ihre gemeinsamen Interessen gegenüber dem kommunistischen Block und dem westlichen Block durchzusetzen.

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