Themendossier

Historischer Zusammenhang


Mit dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft im August 1954 war den europäischen Integrationsbemühungen sowohl auf militärischem als auch auf politischem Gebiet zunächst ein Ende gesetzt worden. In Anbetracht der Erfolge der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS bzw. Montanunion) schienen die Bereiche der Wirtschaft und der Atomenergie die größten Aussichten zu bieten, den ins Stocken geratenen europäischen Einigungsprozess voranzutreiben.


Auf Initiative der Regierungen der Beneluxstaaten hin trafen sich die Außenminister der sechs Mitgliedstaaten der Montanunion vom 1. bis zum 3. Juni 1955 in Messina, um über die Fortführung des europäischen Aufbauwerks zu beraten.


Die von den Außenministern der Sechs in Messina verabschiedete Entschließung gab den entscheidenden Anstoß zur Wiederaufnahme der europäischen Integration. Die Minister beauftragten eine Gruppe von Sachverständigen, die Möglichkeiten einer wirtschaftlichen Integration zu prüfen, vor allem im Hinblick auf die Entwicklung gemeinsamer Institutionen, die Errichtung eines gemeinsamen Marktes, die fortschreitende Harmonisierung der Sozialpolitik sowie die Gründung einer Organisation zur friedlichen Nutzung der Atomenergie. Ab Juli 1955 tagte dieser Regierungsausschuss unter dem Vorsitz des belgischen Außenministers Paul-Henri Spaak in Brüssel, um Wege aufzuzeigen, diese Ziele zu verwirklichen. In vier Fach- und Unterausschüssen wurden die Vorschläge der nationalen Delegationen untersucht und diskutiert.


Das Vereinigte Königreich hatte sich im Laufe der Beratungen aus den Verhandlungen zurückgezogen, da die britische Regierung weder an einer Zollunion, noch an einer Atomgemeinschaft interessiert war. Nach langen und zähen Verhandlungen wurde im Februar 1956 auf Grundlage der Arbeitspapiere der verschiedenen Ausschüsse mit der Fertigstellung des Berichts an die Außenminister begonnen. Der so genannte „Spaak-Bericht“, der schließlich am 21. April 1956 von den Delegationsleitern angenommen wurde, sah die Schaffung eines Gemeinsamen Marktes sowie die Gründung einer Atomgemeinschaft vor.


Der französische Regierungschef Guy Mollet schlug vor, zunächst mit den Verhandlungen über die Europäische Atomgemeinschaft zu beginnen. Da er sich in Frankreich einer parlamentarischen Mehrheit für den Gemeinsamen Markt nicht sicher sein konnte, erhoffte sich Mollet durch einen Erfolg in der Atomfrage einen positiven Impuls für die weiteren Verhandlungen. Der französische Vorschlag stieß jedoch vor allem bei der deutschen Bundesregierung auf großen Widerstand, da sie befürchtete, die französische Regierung werde sich nach einem erfolgreichen Abschluss der Atomverhandlungen nicht mehr mit der gleichen Kraft für einen Gemeinsamen Markt einsetzen. Die Bundesregierung unter Konrad Adenauer hielt also an dem zuvor beschlossenen Junktim zwischen beiden Projekten fest.


Die französische Regierung beugte sich schließlich dem Druck der Verhandlungspartner und akzeptierte auf der Außenministerkonferenz der Sechs in Venedig vom 29. und 30. Mai 1956 den Spaak-Bericht als Grundlage für die Vertragsverhandlungen über eine Wirtschafts- und Atomgemeinschaft. Die Arbeiten der Regierungskonferenz begannen am 26. Juni 1956 im Schloss Val Duchesse bei Brüssel. Der belgische Außenminister Paul-Henri Spaak wurde erneut zum Vorsitzenden ernannt.


Die Konferenz setzte je einen Ausschuss für den Gemeinsamen Markt und für eine Europäische Atomgemeinschaft (EAG oder Euratom) ein. Wie schon während der Beratungen im Regierungsausschuss ein Jahr zuvor, kamen die Verhandlungen nur schleppend voran. Hauptstreitpunkte waren unter anderem die Einbeziehung der Überseegebiete in den Gemeinsamen Markt, die Harmonisierung der Sozialleistungen sowie das Versorgungsmonopol Euratoms für spaltbares Material.


Die Standpunkte der Delegationen schienen unvereinbar. Als sich auch die Außenminister auf der Pariser Konferenz am 20. und 21. Oktober 1956 ohne nennenswertes Ergebnis trennten, war das gesamte Projekt dem Scheitern nahe. Hinzu kam, dass zum gleichen Zeitpunkt die britische Regierung ihren Vorschlag zur Einrichtung einer europäischen Freihandelszone vorgelegt hatte. Das gab den Gegnern der integrationspolitischen Bemühungen in den einzelnen Ländern wieder Auftrieb.


Der Ausweg aus der Verhandlungskrise wurde begünstigt durch die internationale Lage sowie durch bilaterale Gespräche zwischen der deutschen und der französischen Regierung. Die Zuspitzung der Suez-Krise sowie die Unterzeichnung der Luxemburger Verträge Ende Oktober 1956, die den Beitritt des Saarlandes zur Bundesrepublik ermöglichten, brachten die Verhandlungspartner einander wieder näher. Auf dem Regierungstreffen zwischen Guy Mollet und Konrad Adenauer Anfang November kam es schließlich zu einem Kompromiss, der die Fortsetzung und den Abschluss der Vertragsverhandlungen ermöglichte. Die Arbeiten in den einzelnen Ausschüssen gingen nun zügiger voran und konnten im März 1957, kurz vor der Unterzeichnung der Verträge, abgeschlossen werden.


Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) sieht die schrittweise Verwirklichung eines Gemeinsamen Marktes auf der Grundlage einer Zollunion vor. Der so geschaffene Markt zielt unter anderem auf eine gemeinsame Verkehrspolitik und umfasst ebenfalls die Landwirtschaft. Allerdings einigte man sich darauf, dass die gemeinsame Agrarpolitik erst nachträglich in einer Regierungskonferenz geregelt werden sollte. Weitere Schwerpunkte des Vertrages sind die Errichtung einer Europäischen Investitionsbank und eines Europäischen Sozialfonds, um die Beschäftigungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer zu verbessern und ihren Lebensstandard zu heben.


Auf dem Treffen der Regierungschefs am 19. und 20. Februar 1957 in Paris kam es außerdem zu einer Einigung bezüglich der Überseegebiete. Die überseeischen Länder und Hoheitsgebiete sollten mit dem Gemeinsamen Markt assoziiert und durch die Schaffung eines Investitionsfonds für die Dauer von fünf Jahren unterstützt werden.


Gegenüber den Erfolgen des Gemeinsamen Marktes rückte die Europäische Atomgemeinschaft etwas in den Hintergrund. Dies lag nicht zuletzt daran, dass man sich in einigen wichtigen Punkten, wie beispielsweise dem Bau einer europäischen Isotopentrennanlage, nicht einigen konnte und die Atomgemeinschaft somit an Bedeutung verlor. Grundlegende Ziele von Euratom sind die Förderung der Atomforschung und -nutzung zu friedlichen Zwecken innerhalb der Sechs und die Entwicklung der Beziehungen zu anderen Ländern.


Am 25. März 1957 wurden die Verträge in Rom feierlich unterzeichnet. Noch am selben Tag konstituierte sich der Interimsausschuss für den Gemeinsamen Markt und Euratom, der in den Monaten bis zum Inkrafttreten der Verträge die noch offenen Fragen klären sollte. Da eine Einigung über einen einheitlichen Sitz der Gemeinschaftsorgane nicht möglich war, beschloss man, dass die Arbeit vorläufig in Brüssel aufgenommen werden sollte.


Die Römischen Verträge wurden in den Parlamenten der sechs Mitgliedstaaten ohne größere Schwierigkeiten ratifiziert – nicht zuletzt dank der Überzeugungsarbeit des im Jahre 1955 auf Betreiben von Jean Monnet gegründeten Aktionskomitees für die Vereinigten Staaten von Europa. Am 1. Januar 1958 traten die Verträge über die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und die Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft schließlich in Kraft.

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