Die Jahre im Exil und die Nachkriegszeit (1933-1947)

Jahre des Exils und der Nachkriegszeit (1933-1947)


Im Frühjahr 1933 floh Willy Brandt als 20 jähriger vor einer drohenden Festnahme durch die Nationalsozialisten nach Norwegen. Im dortigen Exil lernte er rasch die Landessprache und engagierte sich politisch und publizistisch in der Arbeiterbewegung. Gleichzeitig entwickelte er als Repräsentant der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) ein beträchtliches Engagement für den sozialistischen Widerstand gegen die Nazi-Diktatur und die anderen faschistischen Bewegungen in Europa. Mit dem Auftrag, den Kontakt zwischen Exilanten und daheim gebliebenen Parteifreunden herzustellen, führten ihn Reisen unter falscher Identität in den spanischen Bürgerkrieg, nach Paris und nach Berlin. Der Kontakt mit der norwegischen Arbeiterpartei, die als Regierungspartei eine pragmatische Version der Sozialdemokratie entwickelt hatte, sollte nachhaltigen Einfluss auf Brandts politisches Denken und Wirken haben. Nicht minder bedeutsam für Brandts politische Entwicklung waren der Kontakt zu internationalen Milieus und der Blick von „Draußen“ auf die europäischen Verhältnisse. Beides schärfte das Verständnis des jungen Brandt für die Notwendigkeit einer europäischen Friedensordnung basierend auf einer europäischen Einigung, ein Konzept, das er 1939 in einem Artikel in der norwegischen Zeitung Bergens Arbeiderblad unter dem Titel „Der Traum von den Vereinigten Staaten Europas“ erstmals ausformulierte. In diesem Text entwickelte er den Gedanken einer „Föderation in Etappen“, basierend auf verstärktem Handelsaustausch, wirtschaftlicher Zusammenarbeit und regionaler Teilintegration, nicht zuletzt mit dem Ziel, deutsche Hegemoniebestrebungen künftig zu verhindern.


Der Einmarsch Nazi-Deutschlands in Norwegen am 9. April 1940 zwang Brandt wie viele andere Emigranten zur Flucht in das neutrale Nachbarland Schweden. Im international geprägten Stockholmer Exilleben traf Brandt nicht nur seine spätere zweite Ehefrau, die Norwegerin Rut Hansen, später Rut Brandt, hier kam er auch in Kontakt mit zahlreichen Persönlichkeiten, die genau wie er selbst, in der Nachkriegszeit die politischen Geschicke ihrer Länder und die internationalen Beziehungen prägen sollten. Sozialdemokraten wie Bruno Kreisky (später österreichischer Bundeskanzler), Gunnar Myrdal (später schwedischer Handelsminister, UN-Beauftragter und Nobelpreisträger für Wirtschaft) oder der Halvard Lange (später norwegischer Außenminister) berieten in der sog. „kleinen Internationale“ über „Friedensziele europäischer Sozialisten und die Möglichkeiten einer friedvollen und stabilen europäischen Nachkriegsordnung“. Brandt wurde ehrenamtlicher Sekretär dieser Gruppe und, wie sich Kreisky später erinnerte „ihr Moderator“. Was Brandts eigene Vorstellungen von einer europäischen Einigung anging, so musste er bald erkennen, dass diese nur schwer mit den Realitäten und Herausforderungen der Nachkriegszeit vereinbar waren und sich nur in einer langfristigen Perspektive umsetzen lassen würden.


Nach der Kapitulation des Deutschen Reichs kehrte Brandt in das befreite Norwegen zurück. Dort nahm er wieder den Kontakt zu den Sozialdemokraten auf, die unter der Leitung Einar Gerhardsens inzwischen die Regierung übernommen hatten. Im November 1945 wurde er als Berichterstatter in das zerstörte Nachkriegsdeutschland entsandt. Dort berichtete Brandt für die skandinavische Arbeiterpresse von dem Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess und schrieb sein später vielfach angefeindetes Buch „Verbrecher und andere Deutsche“. Im Januar 1947 erhielt er auf Vermittlung Halvard Langes eine Stelle als Presseattaché an der norwegischen Vertretung (Militärmission) beim alliierten Kontrollrat. Schon ein Jahr später brachte ihn sein politisches Engagement dazu, die ihm von den Nationalsozialisten aberkannte deutsche Staatsbürgerschaft wieder anzunehmen und sich für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) am politischen, wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufbau Deutschlands zu beteiligen.

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