Der Beyen-Plan


Nach dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) am 30. August 1954 und dem Abschluss der Pariser Verträge zur Westeuropäischen Union (WEU) am 23. Oktober 1954 steht die Stärkung des europäischen Aufbauwerks noch bevor. Die Gemeinsame Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) erkundet verschiedene Wege der Integration von Wirtschaftssektoren. Aber zumindest für eine gewisse Zeit kommen Verteidigung und Politik nicht un Frage, um dem europäischen Aufbauwerk einen neuen Schwung zu verleihen. Deshalb sollte man nach Ansicht der meisten Beobachter wieder auf die Methode der wirtschaftlichen Integration zurückgreifen. Aber die Briten zeigen sich in ihrem Engagement zurückhaltend und Frankreich, das teilweise durch die zögerliche Haltung eines Teils seiner politischen Klasse diskreditiert ist, hat die Oberhand verloren.


Der niederländische Außenminister Johan Willem Beyen ergreift daraufhin die politische Initiative. Er bringt erneut die Idee zur Sprache, die er im Dezember 1952 und im Februar 1953 bei der Ausarbeitung des Vorhabens einer Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) vertreten hat. Dabei geht es um eine andere wirtschaftliche Integration als die Integration nach Wirtschaftssektoren wie die, welche die Sechs im Rahmen der EGKS realisieren. Beyen schlägt die Öffnung eines allgemeinen gemeinsamen Marktes zwischen den sechs Mitgliedsstaaten ohne Zollrechte und Kontingente auf strikt supranationaler Grundlage vor. Bei seinem Plan lässt Beyen sich von der Konvention von Ouchy inspirieren, die im Jahre 1932 zwischen der belgisch-luxemburgischen Wirtschaftsunion (BLWU) und den Niederlanden einen schrittweisen Abbau der Zolltarife um 10 % in ihrem gegenseitigen Handel sowie die Anwendung der Meistbegünstigtenklausel vorsah. Als Exportland suchen die Niederlande nach einer Möglichkeit, ihre Ausfuhren durch die Erschließung neuer Handels- und Absatzmärkte in Europa weiter zu intensivieren. Gleichzeitig wollen sie so ihre Rolle als Vorreiter der Integration bewahren. Beyen ist aber davon überzeugt, dass die Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC) nicht den geeigneten Rahmen für eine wirkliche wirtschaftliche Integration mit politischer Handlungsfähigkeit bieten kann.


Fest entschlossen, das europäische Wachstum und die europäische Produktivität zu fördern, richtet Beyen am 4. April 1955 ein Memorandum an den belgischen Außenminister Paul-Henri Spaak und den luxemburgischen Außenminister Joseph Bech in dem er sich für die Einrichtung einer Zollunion, die zu einer Wirtschaftsunion führen soll, ausspricht. Seiner Ansicht nach ist die horizontale wirtschaftliche Integration das beste Mittel, um das Gefühl der Solidarität und der Einheit Europas zu stärken. Auf strategischer Ebene schlägt Beyen vor, dass die drei Benelux-Staaten schnell eine gemeinsame Initiative verabschieden. Am 21. April stellt er sein Projekt vor dem niederländischen Rat der europäischen Bewegung in Leiden öffentlich vor. Zwei Tage später einigen sich die Außenminister Belgiens, Luxemburgs und der Niederlande in Den Haag darauf, so schnell wie möglich ein gemeinsames Memorandum zur europäischen Relance zu verfassen, insbesondere für die Bereiche Kernenergie und Wirtschaft. Als er glaubt, dass das Projekt ausreichend weit vorangetrieben ist, erklärt Beyen am 28. April vor der Ersten Kammer des niederländischen Parlaments, dass die Benelux-Staaten den anderen drei Regierungen der EGKS-Mitgliedstaaten bald eine Konferenz der Staaten Westeuropas zur europäischen Wirtschaftsintegration vorschlagen werden.

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