Die Bedeutung der Atomenergie

Die Bedeutung der Atomenergie


Mitte der fünfziger Jahre ist Atomkraft ein Thema mit Aufwind. Denn zahlreiche Wissenschaftler und Politiker betonen die neuen Perspektiven, die eine friedliche Nutzung des Atomenergiesektors bieten könnte. Kernenergie scheint in der Tat sowohl in strategischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht ein entscheidender Faktor zu sein. Nachdem der Atomsektor lange Zeit nur für militärische Zwecke in Betracht gezogen wurde, wird in ihm nun zunehmend eine alternative Energiequelle für zivile Zwecke gesehen. In der Überzeugung, dass die Sowjetunion mittlerweile ihren Rückstand in der Atomforschung aufgeholt hat, beschließt die amerikanische Regierung deshalb gleich nach dem Tod Stalins die teilweise Aufhebung des Militärgeheimnisses, um die Entwicklung industrieller Anwendungen der Kernenergie in den Vereinigten Staaten und der übrigen freien Welt zu ermöglichen. Am 8. Dezember 1953 präsentiert der amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower der Vollversammlung der Vereinten Nationen sein Programm Atoms for Peace, in dessen Rahmen anderen Ländern Reaktoren und spaltbares Material zur Verfügung gestellt werden sollen. Vier Jahre später wird aufgrund dieser Initiative auch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) unter der Ägide der Vereinten Nationen in Wien gegründet. Im August 1954 wird mit dem Mac Mahon-Act das Atomgeheimnis gelockert, um die Entwicklung einer privaten Atomindustrie in den Vereinigten Staaten zu ermöglichen und so gleichzeitig den Verkauf von Patenten, Reaktoren und angereichertem Uran ins Ausland zu fördern. Schließlich findet im August 1955 in Genf eine internationale Wissenschaftskonferenz über die friedliche Nutzung der Kernenergie statt. Sie ist nunmehr ein Thema von internationaler Tragweite.


Europa steht den Vereinigten Staat in seiner Begeisterung für die Atomkraft in nichts nach. Ganz im Gegenteil. Mit der durch den Wiederaufbau nach dem zweiten Weltkrieg eingeleiteten wirtschaftlichen Expansion steigt der Energieverbrauch und kann mit konventionellen Energiequellen, wie beispielsweise Kohle oder auch Erdöl, nicht mehr gedeckt werden. Im Jahre 1953 gründen die wichtigsten Länder Westeuropas in Genf den Europäischen Rat für Kernforschung (CERN), der sich ausschließlich der Grundlagenforschung widmen sollte. Im darauf folgenden Jahr wird Louis Armand, Präsident der staatlichen Eisenbahngesellschaft Frankreichs SNCF und Leiter der Abteilung Industrielle Anwendungen der französischen Behörde für Atomenergie CEA von der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC) beauftragt, einen Bericht über die Kernenergieproblematik in Europa zu verfassen. Die Gemeinsame Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) betraut ihrerseits den ehemaligen belgischen Minister für die Kolonien, Pierre Wigny, mit der Aufgabe, einen Zwischenbericht über die energiepolitischen Tendenzen in den Ländern der Gemeinschaft vorzulegen. Zwei Jahre später schließlich veröffentlicht das belgische Wirtschaftministerium einen Bericht mit dem Titel „Das Energieproblem in Belgien. Bedarf und Versorgung im Zeitraum 1955-1975“, in welchem aufgezeigt wird, dass der Energiebedarf durch die Koksproduktion immer weniger gedeckt werden kann und dass Erdöl, Kernenergie und Wasserkraftwerke eine zukunftsweisende Bedeutung zukommt. Zahlreiche Berichte und Forschungsarbeiten gehen in viele verschiedene Richtungen, aber in allen Arbeiten werden die energiepolitische Herausforderungen in Europa und die Bedeutung der Kernenergie bestätigt. Die Gefahr eines Energiedefizits verstärkt die wachsende Abhängigkeit Europas seinen Lieferanten gegenüber, insbesondere gegenüber den Vereinigten Staaten und dem Nahen Osten – ein Umstand, der wiederum wegen unausgeglichenen Zahlungsbilanzen zu politischen und währungstechnischen Problemen führen könnte. Durch die Suez-Krise im Jahre 1956 wird das Problem der Energieversorgungssicherheit in Westeuropa freilich nur noch verschärft.

So erscheint am Ende allein die Atomenergie als geeignetes Mittel, um den rapide zunehmenden Stromverbrauch – Fachleute gehen von einer Verdreifachung zwischen 1955 und 1975 aus – abzudecken. Daraus ergibt sich die dringende Notwendigkeit, in Europa die Stromerzeugung durch Kernenergie in großen Mengen bei gleichzeitig niedrigen Investitionskosten zu fördern.

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