Das Vorhaben einer europäischen Isotopentrennanlage

Das Vorhaben einer europäischen Isotopentrennanlage


Schon zu Beginn der Euratom-Verhandlungen fordert Frankreich den Bau einer Anlage zur Isotopentrennung von natürlichem Uran durch die Sechs, um die nukleare Unabhängigkeit Europas zu gewährleisten. Angereichertes Uran scheint mehr und mehr zu einem Schlüssel der industriellen Erzeugung von Atomenergie in naher Zukunft zu werden. Daher soll dieses Vorhaben einer europäischen Anlage realisiert werden, um über U 235-angereichertes Uran zu verfügen, das für alle zivilen oder militärischen nuklearen Programme benötigt wird. Aber die Lage ist vor allem aufgrund der Tatsache kompliziert, dass die sechs Länder sich nicht auf dem gleichen Forschungsstand befinden und nicht die gleichen militärischen Ambitionen hegen.


Bereits im Juli 1955 lotet die französische Delegation bei dem von der Konferenz von Messina eingesetzten Regierungsausschuss die Möglichkeit aus, gemeinsam mit ihren Partnern eine europäische Isotopentrennanlage zu bauen. Dadurch möchte die Pariser Regierung außerdem über Brennstoffe verfügen, ohne von den Amerikanern abhängig zu sein, die sich seit Jahren weigern, ihre Kenntnisse zu teilen oder U 235 gegen französisches Plutonium zu tauschen. Obwohl Frankreich sich in der Atomwirtschaft auf einem sehr viel weiter fortgeschrittenen Stand der Technik befindet als die Fünf und sein nationaler Atomhaushalt allein schon das Vierfache der Haushalte seiner Partner zusammen beträgt, hofft das Land auf deren Unterstützung beim Bau einer Isotopentrennanlage in Europa, die beinahe fünfzig Milliarden französischer Franc kosten soll.


Euratom mit seiner rein technischen Dimension erscheint als das beste Mittel, um die Entwicklung der zivilen Atomkraft in Frankreich zu gewährleisten und sie wirtschaftlich rentabel zu machen. Aber das Vorhaben der Isotopentrennanlage ist kostspielig, technologisch sehr aufwändig und fordert einen sehr hohen Energieverbrauch. Außerdem wird die Anlage wahrscheinlich nicht vor sechs oder sieben Jahren in Betrieb genommen werden können. Die europäische „Relance“ gibt Frankreich die Möglichkeit, seinem Plan für eine Isotopentrennanlage neuen Schwung zu verleihen, indem es ihn bei den Euratom-Verhandlungen auf den Tisch bringt. Zudem kann es so den guten europäischen Willen seiner Partner auf die Probe stellen.


Die Angelegenheit beherrscht die Arbeiten des Kernenergie-Ausschusses des Spaak-Ausschusses, dem der Franzose Louis Armand vorsitzt, Präsident der SNCF, der später dem Euratom-Dreier-Ausschuss angehören wird. Am 4. November 1955 stellen die Experten im Ausschuss für Kernenergie einstimmig den dringenden Bedarf Europas an angereichertem Uran fest. Sie sehen vor, mit den betroffenen Industriellen in den sechs Mitgliedstaaten in Kontakt zu treten und bilden unverzüglich eine Arbeitsgruppe, die sich mit Fragen im Zusammenhang mit dem Bau einer Uran-Isotopentrennanlage befassen soll.

Am 19. und 20. Dezember 1955 treffen sich Fachleute der Sechs in Paris, um den Stand der Technik zur Isotopentrennung und die wirtschaftlichen Herausforderungen dieses Vorhabens für Europa zu untersuchen. Frankreich hat den Ehrgeiz, spätestens Anfang 1957 mit dem Bau der Anlage zu beginnen. Die Experten stellen fest, dass eine Isotopentrennanlage an einem einzigen Standort errichtet werden muss, aufgrund der Notwendigkeit, eine garantierte Stromleistung zu möglichst niedrigem Preis zu erhalten. Die Idee nimmt ihren Lauf. Einen Monate später schlägt die französische Delegation in der Euratom-Gruppe die Einrichtung eines gemeinsamen Fonds zur Finanzierung der notwendigen Studien vor. Am 28. Februar legt die Arbeitsgruppe den Delegationsleitern der Sechs einen Vorschlag zur Bildung einer Studienkommission vor, was von Letzteren unterstützt wird. Am 21. April 1956 wird der Spaak-Bericht den Außenministern vorgelegt, die ihn auf der Konferenz von Venedig am 29. und 30. Mai verabschieden. Der Bericht plädiert für die Schaffung gemeinsamer Einrichtungen, die die Mittel einzelner Unternehmen oder einzelner Staaten übersteigen. Der Spaak-Bericht betont vor allem die Notwendigkeit, schnellstmöglich eine Uran-Isotopentrennanlage zu bauen, sodass die Sechs den für den Betrieb ihrer Kernreaktoren notwendigen Brennstoff selbst herstellen können.


Die Angelegenheit verliert jedoch an Schwung und gerät ins Stocken. Erst am 7. September nämlich gründet die Euratom-Arbeitsgruppe der Regierungskonferenz für den Gemeinsamen Markt und Euratom in Val Duchesse die Studienkommission. Drei Monate später räumt das Generalsekretariat des französischen Außenministeriums am Quai d'Orsay ein, dass angesichts der Preise für Uran 235 eine Entscheidung der Sechs gegen den Bau einer Isotopentrennanlage immer wahrscheinlicher wird; damit riskieren sie, dass Euratom einen seiner für Frankreichs entscheidenden Vorzüge verliert. Diese Befürchtung der Franzosen wird noch verstärkt durch den Beschluss der Vereinigten Staaten aus dem Jahr 1954, das McMahon-Gesetz, das seit 1946 für eine strikte Kontrolle des Handels mit spaltbarem Material und Informationen zur Kernenergie sorgt, zu lockern. In Anwendung des Programms Atoms for Peace, mit dem 1954 ein Versuch zur nuklearen Entspannung in der Welt und zur Entwicklung der zivilen Kernenergie gestartet wird, hebt Washington nach und nach die Geheimhaltung der Kenntnisse über Reaktoren für angereichertes Uran auf und beschließt, die Ausfuhr von Reaktoren und Uran 235 zu Preisen zu fördern, die weniger als die Hälfte der für die europäische Anlage geschätzten Kosten betragen. Entschlossen, die Sechs und insbesondere Frankreich von ihrem Vorhaben einer Isotopentrennanlage abzubringen, erklärt der amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower am 22. Februar 1956, dass die Vereinigten Staaten den Europäern auf der Grundlage bilateraler Abkommen oder durch Vermittlung der internationalen Atomenergiebehörde zwanzig Tonnen angereichertes Uran verkaufen oder vermieten werden, um die Forschungsreaktoren und Hersteller von Nuklearenergie zu zivilen Zwecken zu versorgen. Am 26. März 1956 räumt Paul-Henri Spaak seinerseits ein, dass die amerikanische Erklärung den Bau einer Isotopentrennanlage in Europa weniger wichtig erscheinen lässt. Im November bestätigt Washington den Sechs seine Absicht, ihnen schwach angereichertes Uran zu vorteilhaften Preisen anzubieten.

Paris jedoch beabsichtigt nicht, die Waffen zu strecken. Am 13. Dezember 1956 schlägt das Außenministerium seinen fünf Partnern vor, sich gemeinsam zum Bau einer Isotopentrennanlage ab dem 1. Juli 1957 zu verpflichten. Aber die Verhandlungen der Sechs über die Isotopentrennanlage gelangen nicht über das Stadium fachlicher Diskussionen hinaus. Bei der letzten Sitzung der Studienkommission im Mai 1957 spricht sich nur noch Frankreich für den sofortigen Bau der europäischen Anlage aus. Aber es ist zwecklos. Die Grundsatzentscheidung der Sechs lässt auf sich warten. Es kann keine grundsätzliche Entscheidung für die Isotopentrennanlage getroffen werden. Die Fünf zögern, mit dem – zwangsläufig kostspieligen – Bau einer Anlage zu beginnen, die ihnen nicht wirtschaftlich erscheint. Zudem geben die Vereinigten Staaten, die verhindern wollen, dass Europa sich zur Atommacht entwickelt, unverzüglich die Preise für das angereicherte Uran bekannt, das sie den westlichen Ländern zur Verfügung stellen wollen – vorbehaltlich einer Kontrolle seiner Verwendung. In dem Bemühen, ihre Ausgaben zu beschränken, ziehen die Partner Frankreichs es vor, das von ihnen benötigte angereicherte Brennmaterial direkt bei den Amerikanern zu kaufen, in der Hoffnung, dass die Preise weiter sinken. Der Preis für diese Lieferungen macht jede Hoffnung auf die Rentabilität der gemeinsamen Anlage zunichte. Die Fünf fürchten gleichzeitig mögliche politische Probleme im Zusammenhang mit dem Bau einer speziell europäischen Anlage, deren Produktion zur Herstellung von Atombomben und -waffen dienen könnte, was Washington offen ablehnt.

Während ihrer Reise in die Vereinigten Staaten im Februar 1957, auf der sich die „Drei Weisen“ vor allem darüber informierten, wie die Amerikaner den Sechs möglicherweise bei der Gründung Euratoms behilflich sein könnten, erfahren sie, dass Washington den Sechs die benötigten Roh- und die spaltbaren Stoffe zu vorteilhaften Preisen und Bedingungen liefern werden. Drei Monate später kritisieren sie in ihrem Bericht die hohen Kosten einer europäischen industriellen Isotopentrennanlage und deren Bedarf an elektrischer Energie. In der Überzeugung, Plutonium und natürliches Uran in den europäischen schnellen Brütern nutzen zu können und so dem Risiko einer totalen Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten bei der Anreicherung und der Einfuhr von Brennstoffen zu entgehen, vertreten die „Drei Weisen“ die Auffassung, dass die Entscheidung für den Bau einer europäischen Trennanlage nicht schon im Vorhinein den Start eines großen Programms zur atomaren Stromerzeugung belasten darf. Das französische Vorhaben wird begraben.


Im November 1957 überreicht Frankreich seinen Partnern noch ein umfangreiches Memorandum, in dem es ein letztes Mal auf die Notwendigkeit pocht, in Europa schnellstens eine Uran-Isotopentrennanlage zu bauen. Ohne Ergebnis.

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