Festigung des „deutsch-französischen Duos“ (1982-1989)

Festigung des „deutsch-französischen Duos“ (1982-1989)

 

Sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in Frankreich vollziehen sich zu Beginn der 1980er Jahre bedeutende politische Veränderungen. Mit der Wahl des Sozialisten François Mitterrand am 10. Mai 1981 wird ein neues Kapitel in der Geschichte der Fünften Republik aufgeschlagen, denn sie beendet die ununterbrochene Herrschaft der Konservativen seit der Rückkehr von General de Gaulle an die Macht im Juni 1958. Sein deutscher Partner ist zunächst Helmut Schmidt, der bald darauf am 1. Oktober 1982 von dessen Nachfolger im Bundeskanzleramt, Helmut Kohl, abgelöst wird. Dieses neue deutsch-französische Tandem wird bei der weiteren europäischen Integration eine entscheidende Rolle spielen.

 

In den ersten beiden Jahren seiner ersten Amtszeit  versucht Staatspräsident Mitterand jedoch, das enge Verhältnis mit Deutschland, das seiner Meinung zu exklusiv ist, durch eine Annäherung an London auszugleichen, wie es bereits Pompidou getan hatte. Bewegt man sich auf einen neuen „Trilateralismus“ zu? Dies erweist sich aufgrund der Forderungen von Premierministerin Margaret Thatchers als unmöglich, die den britischen Beitrag zum europäischen Haushalt verringern und die Agrarpreise senken will. In diesen Themen vertreten Paris und Bonn ähnliche Haltungen und setzten sich im Mai 1982 über das britische Veto hinweg. Die deutsch-französische Zusammenarbeit setzt sich erneut durch, allerdings eher aufgrund ähnlicher Interessen denn aufgrund großer Vorhaben für Europa. Zumal sich grundsätzliche Meinungsunterschiede bemerkbar machen.

 

Die Europapolitik der sozialistischen Regierung unterscheidet sich grundlegend von der des ehemaligen Staatspräsidenten Giscard. In der Wirtschaft will François Mitterrand die Kontrolle über die nationale Politik behalten, um ein sozialistisches Gesellschaftskonzept in Frankreich in einem Europa zu realisieren, das seiner Meinung nach zu liberal ist. Er fordert die Einrichtung eines „sozialen Raums Europa“, neue Impulse zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und einen stärkeren Handelsschutz gegenüber den USA und Japan. Diese Vorschläge finden nicht die Zustimmung der Partner, die gegen dirigistische Maßnahmen sind. Auf institutioneller Ebene lehnt Frankreich jegliche Supranationalität ab und macht sogar die „Luxemburger Vereinbarung" aus dem Jahr 1966 zum Vetorecht geltend. Daher sind es auch die deutsche und die italienische Regierung, die mit Vorschlägen zur Stärkung der Institutionen und insbesondere des Europäischen Rates, zur Einschränkung des Vetorechts, zur Entwicklung einer gemeinsamen Außenpolitik und zur Abstimmung in Sicherheitsfragen die Initiative zur Fortentwicklung Europas unternehmen. Sollte ein deutsch-italienisches „Tandem“ das „deutsch-französische Tandem“ ablösen? Das Vorhaben trifft auf zahlreiche Vorbehalte, darunter die Frankreichs, das gegen die Stärkung der Institutionen ist. Deshalb muss sich der Europäische Rat von Stuttgart (18.-19. Juni 1983) mit der Verabschiedung einer feierlichen Erklärung über die Europäische Union begnügen, ohne neue Verpflichtungen einzugehen.

 

Das deutsch-französische Zweiergespann wird sich jedoch schon bald mit der Wende in der französischen Wirtschaftspolitik reformieren. Die von der sozialistischen Regierung betriebene Politik steht im Gegensatz zu der ihrer europäischen Partner und führt bald zu einem wachsenden Haushalts- und Zahlungsbilanzdefizit. Frankreich muss Deutschland um Währungsunterstützung bitten und im Gegenzug eine Sparpolitik versprechen. François Mitterrand seinerseits zögert nicht, den deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl seiner Unterstützung zu versichern, indem er den Deutschen in einer Rede am 20. Januar 1983 vor dem Bundestag empfiehlt, der Stationierung von amerikanischen Mittelstreckenraketen auf ihrem Boden zuzustimmen, um so auf die Stationierung sowjetischer SS-20-Raketen in den Ländern des Warschauer Pakts zu reagieren. Außerdem beschließt der französische Staatspräsident, die sozialistische Politik nicht fortzuführen, die ihn aus dem EWS hätte austreten und den Protektionismus wieder hätte einführen lassen, sondern er entscheidet, mit Hilfe der Gemeinschaft im EWS und im gemeinsamen Markt zu bleiben, und akzeptiert gleichzeitig eine strenge Sparpolitik. Die deutsche Hilfe erweist sich seinerzeit als entscheidend. Das deutsch-französische Tandem erneuert sich und wird eine entscheidende Rolle bei der Gründung der Europäischen Union spielen, nachdem auf dem Europäischen Rat von Fontainebleau (25.-26. Juni 1984) Maßnahmen zum Haushalt und zur Reform der Agrarpolitik verabschiedet worden waren, die notwendig waren, um die Blockade der Gemeinschaften zu lösen.



Einige Monate später, am 22. September 1984, ehren François Mitterrand und Helmut Kohl die im Ersten Weltktrieg gefallenen Soldaten beider Länder im Beinhaus von Douaumont bei Verdun, an dem Ort an dem die zwei Nationen einstmals aufeinanderprallten. Die beiden Staatsmänner hören Hand in Hand, wie nach der deutschen Nationalhymne die Marseillaise erklingt. Als ein ausdrucksstarkes Symbol der deutsch-französischen Versöhnung geht dieses Bild um die Welt.



Hinsichtlich der Institutionen erweist sich Staatspräsident Mitterrand fortan als sehr europäisch. Er stimmt dem Spinelli-Entwurf einer Verfassung der Europäischen Union, der am 14. Februar 1984 vom Europäischen Parlament verabschiedet worden war, im Grundsatz zu. Die Regierungen machen diese Vorlage zwar nicht zur Verhandlungsgrundlage, berücksichtigen sie aber und beschließen die Revision der Gemeinschaftsverträge, um eine Europäische Union zu schaffen, die im Grundsatz bereits 1972 beschlossen worden war. Auf der zu diesem Zweck einberufenen Regierungskonferenz haben Deutschland und Frankreich unterschiedliche Interessen in den technischen Fragen, aber die politischen Impulse beider Länder erweisen sich als unverzichtbar für die Unterzeichnung der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) am 17. und 28. Februar 1986, die im Grunde genommen die Eröffnung des großen gemeinsamen Marktes für 1992 vorsieht; die Fortschritte bei den Institutionen beschränken sich auf die Ausweitung der Mehrheitsabstimmung im Rat im Zusammenhang mit einem Verfahren der Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament ausschließlich in Fragen des gemeinsamen Marktes. Die Einrichtung eines Generalsekretariats der Europäischen Union, die Frankreich und Deutschland gefordert hatten, wird von den anderen Partnern, allen voran vom Vereinigten Königreich, abgelehnt, doch der Vertrag besiegelt die Rolle des Europäischen Rates.

 

Die Effizienz der deutsch-französischen Zusammenarbeit zeigt sich vor allem bei der Einrichtung des grenzenlosen Wirtschaftsraumes. Der Präsident der Europäischen Kommission, der Franzose Jacques Delors, wird von Präsident Mitterrand und Bundeskanzler Kohl unterstützt und kann ehrgeizige Maßnahmen für die Reform der Agrarpolitik vorschlagen und das Haushaltsproblem so lösen, dass der Gemeinschaft in den folgenden fünf Jahren ausreichende Ressourcen für die Strukturpolitik zur Verfügung stehen, mit der sowohl den neuen Mitgliedstaaten Spanien und Portugal als auch den älteren Mitgliedern Irland und Griechenland geholfen werden kann. Die Umsetzung des großen Binnenmarktes setzt die Stabilität der Währungsparitäten zwischen den Mitgliedstaaten voraus. Dank des EWS sind die Wechselkursschwankungen gemindert worden, allerdings nur mithilfe zahlreicher Anpassungen; vor allem ist das System durch die starke D-Mark unausgewogen, an die sich die Länder mit schwachen Währungen durch die Anhebung ihrer Zinssätze anzunähern versuchen müssen. Frankreich will daher die Währungsmacht durch die Verabschiedung einer gemeinsam verwalteten europäischen Währung aufteilen. Deutschland seinerseits ist nur bereit, auf seine nationale Währung zu verzichten, wenn die europäische Währung genauso streng von einer politisch unabhängigen Zentralbank verwaltet wird, die die Preisstabilität gewährleistet. Auf Antrag Frankreichs erstellt ein Ausschuss unter dem Vorsitz von Jacques Delors einen Drei-Stufen-Plan zur WWU, der auf der Tagung des Europäischen Rates von Madrid (26.-27. Juni 1989) verabschiedet wird; der Rat beschließt, dass die erste Stufe am 1. Juli 1990 mit der vollständigen Freigabe des Kapitalverkehrs beginnen soll, bis eine Regierungskonferenz (RK) einen Vertrag verabschiedet.

 

Gleichzeitig verstärkt sich die deutsch-französische Annäherung in der Außenpolitik. Die Bundesrepublik hat sich mit der Teilnahme an den Wirtschaftsgipfeln der Industriestaaten seit der Zeit Valéry Giscard d’Estaings und ihrer Aufnahme in die Vereinten Nationen im Jahre 1973 außenpolitisch emanzipiert. Aber sie benötigt die europäische Zusammenarbeit und insbesondere die Kooperation mit Frankreich, um einen gewissen Abstand zu Washington zu halten und eine Politik gegenüber der Sowjetunion zu entwickeln, die flexibler ist als die der USA. Beide Länder stimmen sich über die Ost-West-Beziehungen ab. Paris und Bonn widerstehen dem Druck des amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan während der Polen-Krise von 1981 und bewirken eine Begrenzung der von den Amerikanern gegenüber der Sowjetunion geforderten Sanktionen. Im Verteidigungsbereich ist die Annäherung besonders ausgeprägt, weil die beiden Länder den Élysée-Vertrag von 1963 über Sicherheitsfragen in Europa umsetzen. Es gibt jedoch weiterhin erhebliche Differenzen, da die Deutschen sich nicht von der NATO lösen wollen und die Franzosen Bonn nicht in die französische Nuklearstrategie einbeziehen wollen. Die Deutschen würden Fragen der Sicherheit gerne in den Zuständigkeitsbereich der künftigen Europäischen Union stellen, während die Regierung in Paris – genau wie London − dagegen ist und lieber im Jahr 1984 die WEU wiederbelebt, indem sie die Bestimmungen streichen lässt, die Deutschland im Hinblick auf konventionelle Waffen diskriminieren. Ein deutsch-französischer Verteidigungsrat wird am 22. Januar 1988 eingerichtet, und auf Vorschlag von Bundeskanzler Kohl wird eine gemischte deutsch-französische Brigade ins Leben gerufen.  Deutschland und Frankreich haben somit einen ersten Schritt in Richtung der politischen und militärischen Autonomie der Europäer getan, die durch den Kalten Krieg noch stark beschränkt ist, die sich aber nach dem Zusammenbruch der UdSSR und der deutschen Wiedervereinigung wird behaupten können.

 


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