Österreich in Europa


Orientierungen nach Europa

(OEEC 1948, Europarat 1956, EFTA 1960, Freihandelsabkommen 1972)


Österreichs Verhältnis zu Europa und zur europäischen Integration ist nur vor einem größeren historischen Hintergrund zu verstehen. Bereits in den 1920er Jahren propagierte der Altösterreicher Richard N. Coudenhove-Kalergi den paneuropäischen Gedanken. Die Paneuropa-Union hatte ihren Hauptsitz in der Wiener Hofburg, Bundeskanzler Ignaz Seipel verfocht angesichts mangelnder realistischer Alternativen die „Mitteleuropa“-Idee. Österreich war als Nachfolgestaat der Donau-Monarchie kein unterentwickeltes Land an der Peripherie, sondern ein wirtschaftlich industrialisierter Staat im Zentrum Europas. Allerdings war die Frage seiner Wiederherstellung und seiner politischen Existenz nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst ungeklärt.


Die United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) und das European Recovery Program (ERP) steuerten Hilfen und Mittel bei, die den ökonomischen Rekonstruktions- und den politischen Konsolidierungsprozess Österreichs erheblich beförderten. Die ÖVP stimmte der von der SPÖ angestrebten Verstaatlichung der Industrie zu. Die SPÖ wiederum war bereit zur Annahme der Marshall-Plan-Hilfe, die auf der Akzeptanz des Privateigentums basierte. Die Konsens der Großen Koalition war die Voraussetzung für die erfolgreiche Außen- und Europapolitik Österreichs nach 1945. Die Befreiung von außenpolitischer Isolation, die Reaktivierung des Außenhandels und die Reintegration in die westliche Staatengemeinschaft waren ihre Hauptanliegen: Die 1948 geschaffene Organization of European Economic Cooperation (OEEC), in der Österreich Gründungsmitglied war und Regierungszusammenarbeit vorsah, bildete ein ideales Forum zur Profilierung der außen- und europapolitischen Interessen des Landes. Über diese Organisation erfolgte die Verteilung der ERP-Mittel.


Österreichs 1955 gewählte Neutralität wurde von kritischen Zeitgenossen als „Umweg nach Europa“ interpretiert. Der spätere Außenminister (1966-1968) und Generalsekretär des Europarates (1969-1975), Lujo Tončić-Sorinj, setzte sich bereits mit dieser These im Sommer 1958 bei den „Wiener Europagesprächen“ auseinander und erinnerte daran, dass Österreich zu diesem „Opfer“ bereit sei, nämlich für ein größeres Europa einzutreten, um „die Einfügung der östlich von uns lebenden Völker in die große europäische Gemeinschaft“ mit zu gestalten.


Als Marshall-Plan-Teilnehmer und ERP-Mittel-Empfänger (1948-1953) eines von der Sowjetunion besetzten Landes war Österreich ein „Spezialfall“. Die „immerwährende Neutralität“ war für Österreich dann der „Kaufpreis für den Sowjettruppenabzug“ im „annus mirabilis“ des Jahres 1955. Dafür widersetzte sich Moskau auch nicht dem Beitritt Österreichs zum Europarat am 16. April 1956 – was im Unterschied zum „Schweizer Vorbild“ erfolgte. Mit der gleichen Motivation wie den Europaratsbeitritt unterzeichnete Österreich am 13. Dezember 1957 auch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) des Europarats von 1950 – die Ratifizierung erfolgte am 3. September 1958.


Mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) strebte Österreich eine Regelung an, die am 8. Mai 1956 in Form eines Zoll- und Handelsabkommens erreicht werden konnte, welches durch eine Vereinbarung über eine Anti-Dumping-Klausel ergänzt wurde. Daran schloss sich ein Briefwechsel zwischen Hoher Behörde und Bundesregierung vom 24./25. Juli 1956 an, der spezielle Regelungen und die Einsetzung einer permanenten Gemischten Kommission zur Klärung strittiger Preisbildungen vorsah. Die am 23./24. Oktober 1956 für 1957 angekündigte EGKS-Kandidatur war eine Mitwirkungs-Absichtserklärung Österreichs mit Blick auf den „Gemeinsamen Markt“. Die EWG war für Österreich wichtiger als die EGKS. Die Bundesregierung hatte damit den vorhandenen integrationspolitischen Handlungsspielraum auszuloten und mit dem geplanten Beitrittsantrag für 1957 bis an die äußerste Grenze zu gehen versucht. In der Montanunion gab es aber zu hohe Stahlpreise. Sie lagen 20 bis 30% über den Inlandspreisen, die zugunsten der weiterverarbeitenden Industrie hoch subventioniert waren und bei einem Beitritt entsprechend gestiegen wären und auch Löhne und Preise anderer Wirtschaftsbranchen hochgetrieben hätten. Die Ereignisse in Ungarn im Zuge der zweiten sowjetischen Intervention vom 4. November 1956, trugen das ihre dazu bei, dass die EGKS-Beitrittsankündigung Österreichs nicht weiter verfolgt wurde.


Österreichs „Unabhängigkeit“ gestattete „nur“ eine fortgesetzte ökonomische Westorientierung des Landes, so dass es sich um einen teils erzwungenen, teils freiwilligen Verzicht auf europäische Integration handelte. Sowohl Bundeskanzler Julius Raab als auch Außenminister Leopold Figl (beide ÖVP) dachten aber noch 1958 über die Integration in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft („EWG-Anschluss“) nach. Vizekanzler Bruno Pittermann (SPÖ) hatte allerdings abgesehen von ökonomischen Vorbehalten mit den Argumenten „Neutralität“ und „Schweiz“ Einspruch erhoben.


Das Projekt einer Großen Freihandelszone, welches zuerst von Großbritannien 1956 vorgeschlagen worden war, und die Mitgliedschaft in der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) konnten dann weder dem Souveränitäts- noch dem Neutralitätspostulat schaden. Die kleine Freihandelszone erschien aber nur als zweite Wahl. Industriellenvereinigung, die exportorientierte Wirtschaft und einflussreiche Unternehmer waren mit der EFTA-Mitgliedschaft nicht zufrieden. Die Bauernvertreter beurteilten den werdenden Agrarmarkt der EG als attraktiv und ihren Ausschluss davon als Nachteil. Während ÖVP-Politiker die EFTA tendenziell nur als Übergangslösung betrachteten, konnten SPÖ-Vertreter schon weit mehr mit ihr anfangen. Der Kreml sprach sich in den 1960er Jahren gegen eine EWG-Assoziierung aus – von einem Beitritt Österreichs gar nicht zu reden. Die EFTA-Option war Ausdruck mangelnder Alternativen. Sie war eine Vernunftentscheidung und keine Herzensangelegenheit. Für nicht wenige sollte sie die Chancen eines „Brückenschlags“ zur EWG erhöhen, was sich allerdings als irreal erwies. Aus österreichischer Sicht sollte die EFTA keinesfalls als Konkurrenzorganisation zur EWG fungieren, sondern eben bald eine Plattform zur Herstellung einer Verbindung zwischen beiden Wirtschaftsräumen ermöglichen.


Der „Gemeinsame Markt“ blieb aber weiter im Blickfeld. Vom Dezember 1961 bis Januar 1963 strebte Österreich gemeinsam mit der Schweiz und Schweden eine EWG-Assoziierung an. Ab Februar 1963 verfolgte es den „Alleingang“. Das Land veranlasste damit die Kommission, über Zollunionsprojekte und Assoziationsformen nachzudenken und den vagen Artikel 238 des EWG-Vertrags näher zu bestimmen.


Es war Außenminister Bruno Kreisky (1959-1966), der viel Wert auf eine mit der Schweiz abgestimmte Integrationspolitik legte. Sein Widerpart, Handelsminister Fritz Bock (ÖVP), wollte dagegen den „Alleingang“ zur EWG und sollte vor großen Hindernissen stehen. Die Debatte über den Verbleib in der 1960 begründeten EFTA oder eine mögliche EWG-Assoziierung Österreichs war stärker und breitenwirksamer als Diskussionen über „Europa“ in den 1950er Jahren.


In Österreich gab es keine politisch so dominante Interessenvertretung, die es allein in der Hand gehabt hätte, ein EWG-„Arrangement“ durchzusetzen. Es gab starke Kräfte, getragen von der Verstaatlichten Industrie gegen, aber auch starke Kräfte wie die Vereinigung Österreichischer Industrieller/VÖI) für einen Beitritt, die sich die Waage hielten. Entscheidend blieb bis zur Wende in Ostmitteleuropa und dem Fall der Mauer im Jahre 1989 die externe Konstellation, d. h. die Vetoposition der UdSSR, aber auch die exklusive Haltung der EG-Kommission und der EWG-Gründungsmitglieder Frankreich und Italien, die Vorbehalte gegen österreichische Annäherungstendenzen an die Gemeinschaft hatten, was in der römischen Vetohaltung (auch wegen der Südtirolfrage) zum Ausdruck kam.


In der Südtirolfrage kündigte sich bereits 1959/60 der zwischenstaatliche Konflikt mit Rom an, der dann ab 1966/67 eskalierte und zur Totalblockade der Verhandlungen mit Brüssel führte (1967-1969). Österreichs „Alleingang“ nach Brüssel scheiterte nach acht Verhandlungsrunden 1967 nicht wegen Einsprüchen der UdSSR – diese nahm die Bundesregierung zwar ernst, hinderten sie aber nicht, mit dem Rat der EWG/EG zu verhandeln –, sondern infolge des italienischen Einspruchs und der nicht nur, aber auch aufgrund sowjetischer Einwände wachsenden Zurückhaltung Frankreichs – der einzigen EWG-Macht, die gleichzeitig Signatar des Staatsvertrages war.


Der verhältnismäßig hohe Anteil am Handel mit osteuropäischen Ländern – zwischen 15 und 20% von 1950 bis 1962 – bestimmte Österreichs Integrationspolitik mit. Besonders auf die Interessen der Sowjetunion bzw. ihrer Satellitenstaaten galt es Rücksicht zu nehmen. Widerstände gegen eine allzu formelle Verbindung Österreichs mit den Brüsseler Institutionen kamen jedoch nicht nur aus Moskau, sondern auch aus Paris. Österreichs Außenhandel mit der EWG lag schwerpunktmäßig in der Bundesrepublik Deutschland bei durchschnittlich 30 bis über 40% der österreichischen Importe und 20 bis 30% der Exporte zwischen 1951 und 1968. Ein Vergleich mit dem Außenhandel zwischen Österreich und der EWG machte die Gewichtung deutlicher. Dies schreckte vor allem die französische Diplomatie und ließ sie wiederholt an das Trauma des „Anschlusses“ erinnern. Es ging dabei wohl vornehmlich um die Verhinderung einer Stärkung der Bundesrepublik Deutschland durch Einbeziehung von weiteren über sieben Millionen deutschsprachigen Bürgern und ihres Einflusses im Donauraum, d. h. in Südosteuropa.


In den 1950er und 1960er Jahren waren die innenpolitischen Widerstände gegen einen EG-Beitritt stärker als in den 1980er und 1990er Jahren. Relativ strikt argumentierten die Neutralitätsbefürworter Bruno Pittermann und Bruno Kreisky. Der SPÖ-Vizekanzler Pittermann sprach 1959 von der EWG als einem „reaktionären Bürgerblock“. Als für die Verstaatlichte Industrie Verantwortlicher legte er jedoch größten Wert auf die Beibehaltung des für Österreich nicht unerheblichen Osthandels. Mit seinem Rücktritt als Parteivorsitzender 1967 nahm die Bereitschaft in der SPÖ-Führung zu, sich der EG anzunähern. Konsequent gegen jegliche EG-Annäherung, geschweige denn eine Mitgliedschaft, war nur die KPÖ, was sich kontinuierlich bis zum EU-Beitritt 1995 manifestierte.


Der „Alleingang“ unter Bundeskanzler Josef Klaus (1964-1970) erbrachte Vorleistungen für spätere Vereinbarungen mit Brüssel: In Form von Zoll- und Handelsverträgen mit der EWG und der EGKS trat ein von Österreich gemeinsam mit Schweden und der Schweiz sowie anderen EFTA-Staaten angestrebtes Arrangement in Kraft. Am 22. Juli 1972 wurden von Bundeskanzler Bruno Kreisky und Handelsminister Staribacher Zoll- und Handelsverträge mit den zwei der drei westeuropäischen Teilgemeinschaften (EWG, EGKS) unterzeichnet, die Österreich bei seiner Teilnahme am Integrationsprozess die Wahrung seiner Neutralitätsverpflichtungen zubilligten. Die Interimsabkommen mit Österreich sahen einen um sechs Monate vorgezogenen Beginn des Zollabbaus vor – die „Wiener Zeitung“ bewertete dieses Zugeständnis als eine Art „Treueprämie“ seitens der Gemeinschaft, die spätere Forschung als „Belohnung“ für Österreichs „Alleingang“.


Der Brief nach Brüssel 1989 und der Beitritt zur EU 1995


In der Ära des Bundeskanzlers Bruno Kreisky (1970-1983) trat die Integrationspolitik im Zeichen der angeblichen und sogenannten „Eurosklerose“ zugunsten einer österreichischen Außenpolitik der Internationalisierung und Globalisierung (OECD-, KSZE- und Nahostpolitik, Engagement im Nord-Süd-Konflikt) in den Hintergrund, ohne Dynamisierungsmöglichkeiten im Verhältnis EFTA-EG auszuschließen.


Unter der Kleinen Koalition SPÖ-FPÖ unter Bundeskanzler Fred Sinowatz und Vizekanzler Norbert Steger (1983-1986) wurde diese Tendenz im wesentlichen bestätigt. Erst im Zuge des Regierungsantritts der Großen Koalition ( ab 1987) verschob sich unter dem Eindruck der äußeren Veränderungen angesichts der verabschiedeten Einheitlichen Europäischen Akte (EEA), des angestrebten EG-Binnenmarkts und ausklingenden Kalten Krieges sowie innerer Zwangslagen infolge einer eskalierenden Krise um die Verstaatlichte Industrie, innerösterreichischen Reformbedarfs im institutionellen wie gesellschaftspolitischen Bereich das Schwergewicht wieder in Richtung forcierter Integrationspolitik. Was folgte, war der zweite „Alleingang“ nach Brüssel mit dem EG-Beitrittsantrag vom 17. Juli 1989.


Österreich war Vorreiter für die Integrationspolitik anderer Staaten, v. a. der Neutralen. Die zentralen Figuren der österreichischen Integrationspolitik der 1980er und 1990er Jahre waren Außenminister Alois Mock (ÖVP) und Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ), der in seiner eigenen Partei noch Überzeugungsarbeit leisten musste.


Wie bisher war es 1989 und in den folgenden Jahren das Gefühl des drohenden Ausgeschlossenseins und die Gefahr des Verlustes, welches mobilisierend wirkte und Österreichs Integrationspolitik entsprechend anspornte. Österreichs Nachvollzugs- und Mitwirkungspolitik vollzog sich in einem Übergang, wobei das Projekt des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) als Sprungbrett zur Qualitätserhöhung der Integration diente.


Seit 1989/90 bot sich dann mit dem Wegfall des Ost-West-Konflikts und nachdem Michail Gorbatschow Österreichs EG-Annäherungsambitionen gestattet hatte, die Chance zum Vollbeitritt, ohne dass man auf die Sowjetunion so wie früher Rücksicht nehmen musste. Der Weg nach Brüssel führte von 1989 bis 1995 aber nicht nur über Moskau – was einer Überschätzung der Veto-Position der UdSSR gleichgekommen würde –, sondern v. a. über Paris und Rom. Nachdem sich das Schreckgespenst vom „Anschluß“ nicht mehr als unüberwindliches Hindernis erwies und vor der UNO die sogenannte „Streitbeilegungserklärung“ in der leidigen Südtirolfrage (1992) abgegeben werden konnte, ließ sich das Tor zum Binnenmarkt zur Gänze aufstoßen.


Die Bundesrepublik Deutschland, ein traditioneller Förderer der österreichischen Integrationsinteressen, warf mit „Österreichfreund“ Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und Außenminister Klaus Kinkel (FDP) ihr durch die Einheit Deutschlands erhöhtes gemeinschaftspolitisches Gewicht in die Waagschale, zumal es Widerstände in den übrigen EG-Staaten gab. Die österreichischen Bestrebungen trafen nämlich auf wenig Begeisterung in Brüssel: Die Gemeinschaftsmitglieder und Kommissionspräsident Jacques Delors waren zunächst auf „Vertiefung“ (Binnenmarkt-Projekt) ausgerichtet. Kühl bis abweisend reagierte daher die französische Diplomatie und die belgische Politik.


Das Beitrittsansuchen war unterschiedlich motiviert. Handels-, Wirtschaftskooperation und Friedenssicherung standen im Vordergrund, obwohl ausdrücklich hervorgehoben wurde, dass Österreichs Interesse „nicht nur auf ökonomischen Überlegungen“ beruhe. Die politisch bestimmenden und wirtschaftlich maßgebenden Kräfte sprachen sich in den Jahren zwischen 1987 und 1995 für den österreichischen EG-/EU-Beitritt aus. In der Regierungskampagne für den EU-Beitritt 1994 war dann ein weitgehend geschlossenes Auftreten der Parteien der Großen Koalition und ein breit angelegtes Pro-EU-Votum aller gesellschaftsrelevanter Gruppen und Interessenvertretungen erkennbar.


Praktisch die gesamte Medienlandschaft sprach sich 1994 für die EU-Mitgliedschaft des Landes aus. Mit Hilfe des auflagenstärksten Print-Massenmediums „Kronen-Zeitung“ konnte die österreichische öffentliche Meinung weitgehend überzeugt werden, der Union beizutreten. Der Hintergrund dieses starken Zustimmungssogs war eine Regierungspropagandakampagne, die viele Österreicher und Österreicherinnen überzeugte, mit „Ja“ zu stimmen. ÖVP und SPÖ waren an sich proeuropäische Parteien, wenngleich es zwischen 1987 und 1989 noch stärkerer Überzeugungsarbeit bei den Sozialisten für den Beitritt bedurfte. Die Kirche, allen voran mit den proeuropäischen Kardinälen König und Schönborn, sprach sich auch klar für den EU-Beitritt aus.


Nachdem die österreichische Bevölkerung ungebrochen für die Beibehaltung der Neutralität eingestellt war, wurden die sicherheitspolitischen Implikationen bei einem EU-Beitritt in der Regierungspropaganda vor dem EU-Referendum bewusst ausgeblendet. Es brachte am 12. Juni 1994 ein überwältigendes Resultat: 66,6% Pro-Stimmen.


Die FPÖ unter Obmann Jörg Haider lavierte von einer noch zwischen 1986-92 sehr beitrittsbefürwortenden zu einer euroskeptischen und -kritischen Haltung 1992-1993, die zu einer weiteren Steigerung ihres Zustimmungspotentials führte, aber die großen Parteien durch einen ostentativen nationalen Schulterschluss vor dem EU-Referendum 1994 abzuwehren und zu dämpfen verstanden.


Die Durchtrennung des Eisernen Vorhangs durch Außenminister Alois Mock gemeinsam mit seinem ungarischen Amtskollegen Gyula Horn am 27. Juni 1989 und mit dem tschechoslowakischen Außenminister Jiři Dienstbier am 17. Dezember 1989 hatte Signalfunktion und war eine günstige psychologische und politische Voraussetzungen für das österreichische EG-Beitrittsverlangen und die Beitrittsverhandlungen 1993/94. Es besteht heute kein Zweifel, dass das Ende der Ost-West-Konfrontation in Europa 1989/90 Österreichs Chancen erheblich verbessert hat, der Gemeinschaft beizutreten, zumal es zwischen 1989-91 gelingen sollte, die zunächst noch harte sowjetische Veto-Position aufzuweichen.


Ein weiterer Hintergrund für diese veränderte Einstellung zu „Kerneuropa“ war die wachsende Erkenntnis der politischen Eliten Österreichs über die Notwendigkeit struktureller Reformen, die größeren Handlungsbedarf und politischen Druck erzeugten, näher an den EU-Kernraum heranzurücken, der als Modernisierungsvehikel für die krisengeschüttelte und reformbedürftige österreichische Ökonomie begriffen wurde, die von steigenden Budgetproblemen, hoher Staatsverschuldung, Korruptionsfällen und Megaskandalen gekennzeichnet war. Hinzu kam die außenpolitische Handlungsfähigkeit wenn nicht einschränkende, so doch belastende Debatte um den Bundespräsidenten Kurt Waldheim (1986-1992), der wegen angeblicher Kriegsverbrechen am Balkan im Rahmen der Deutschen Wehrmacht, die bis heute nicht bewiesen werden konnten, nur Einladungen nach Jordanien, Pakistan und vom Papst erhielt. Das EU-„Kerneuropa“ schien für die Beseitigung und Überwindung dieser Mängel, Schwächen und Unzulänglichkeiten einen willkommenen Anknüpfungspunkt, Hoffnungsanker und entsprechenden Motivationsschub für die erforderlichen Umstrukturierungszwänge zu bieten. Dabei spielten auch eine gewisse Nostalgie und Sentimentalität, nämlich die alte Sehnsucht und der lang verborgen gebliebene oder unterdrückte Wunsch, wieder einem machtvollen Wirtschaftsgroßraum anzugehören, eine Art Habsburg-Ersatzmodell, eine gewisse Rolle. Hinzu kam vor allem auch die Furcht vor einem anhaltenden Ausschluss von einem wirtschaftlich dynamischeren Kerneuropa.


Am 24. Juni 1994 konnte auf der Insel Korfu der EU-Beitrittsvertrag unterzeichnet werden. Er war aufgrund seines verfassungsändernden Charakters ein neuer Staatsvertrag, wobei der alte bis auf die obsolet erklärten Artikel immer noch Relevanz besaß. Vor allem mit Blick auf die Minderheitenschutzbestimmungen war und ist dieser weiter zu respektieren. Der Staatsvertrag von 1955 stand und steht außerdem für die Souveränität und Unabhängigkeit Österreichs. Weil der EU-Beitrittsvertrag mehr aktuelle Bedeutung und daher auch mehr politisches Gewicht hat, überwölben er, die Verträge von Amsterdam 1997 (in Kraft 1999) und Nizza 2000 (in Kraft 2002) sowie der zukünftige EU-Reformvertrag (im Falle seines Inkrafttretens) den alten Staatsvertrag von 1955. Es bleiben die historische Erkenntnis und das politische Faktum, dass Österreich ohne Staatsvertrag nicht unabhängig und neutral hätte werden können. Die Unabhängigkeit war Voraussetzung für den Beitritt zur Europäischen Union, somit gibt es auch zwischen Staatsvertrag und EU-Beitrittsvertrag einen Zusammenhang. Österreich wurde mit dem Staatsvertrag ein international anerkannter Akteur, warb als unabhängiger Staat um die EU-Mitgliedschaft und trat als souveräner Staat der EU bei.


Der österreichische Beitrittsprozess dauerte allein fast sechs Jahre (1989-1995). Angekommen in der europäischen Staatengemeinschaft war das Land mit seinen inneren Problemen – einerseits den politischen Altlasten der Großen Koalition und ausgebliebenen durchgreifenden Reformen, andererseits aber auch mit der Verarbeitung der Folgen des Beitritts zur Union – zu sehr beschäftigt, als sicher und selbstbewusst nach außen blicken und entsprechend ambitioniert auftreten zu können.


Österreich in der Europäischen Union ab 1995


In den ersten Jahren seiner Mitgliedschaft war Österreich bestrebt, eine Politik der Anpassung an die Unionsstruktur und der Übernahme der Gemeinschaftsspielregeln zu betreiben. Franz Fischler (ÖVP) wurde Mitglied der Europäischen Kommission für Landwirtschaft. Österreicher übernahmen als EU-Abgeordnete verantwortlichere Aufgaben im Parlament.


Bei dem seit 1995 elementarsten Integrationsbestand, der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) und dem seit 1999 geschaffenen EURO, machte Österreich voll mit. Das Land entsprach den Konvergenzkriterien von Maastricht und demonstrierte damit seinen Willen zur Teilnahme an der „Eurozone“. Das Gleiche galt für das Abkommen von Schengen mit der Abschaffung der Binnengrenz- und der Verstärkung der Außengrenz-Kontrollen.


Österreichs Wirtschaft war mit dem Beitritt aufgerüttelt und konkurrenzfähiger geworden, das Bruttosozialprodukt schneller gewachsen als vor 1995 und das Preisniveau zurückgegangen. Die Produktivität hatte sich erhöht und die Budgetreform Fortschritte gemacht. Sanierung und Konsolidierung des Staatshaushaltes kamen im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt zustande. Das Land ist nicht nur als Absatzmarkt wichtiger, sondern auch als Wirtschaftsstandort und für ausländische Investoren bedeutsamer geworden. Aufgrund des gestiegenen Konkurrenzdrucks und Verteilungskampfes gab es neben Gewinnern aber auch Verlierer: Steigende Arbeitslosigkeit, Insolvenzen, Entlassungen, Firmenaufkäufe, Konzernzusammenschlüsse, Zurückdrängung österreichischer Beteiligungen aufgrund noch stärkeren Anteils deutschen Kapitals usw. waren festzustellen.


Das Handelsvolumen im EU-Rahmen hatte weiter zugenommen und das Wirtschaftswachstum von der Zugehörigkeit zum Binnenmarkt profitiert. Insgesamt integrierte sich das österreichische Wirtschaftssystem relativ rasch in den EU-Raum.


Mit dem EU-Beitritt ist Österreichs internationale Wettbewerbsfähigkeit gestärkt worden. Sein Wirtschaftswachstum hatte positive Werte zu verzeichnen. Hinter Schweden, Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland hatte es mit 2,3% eine der niedrigsten Inflationsraten in der EU. Die Zahl der Exporteure und Importeure hat sich seit der EU-Mitgliedschaft mehr als verdoppelt. Die Exporte konnten sich nach dem EU-Beitritt etwas dynamischer entwickeln als die Importe. Beide stiegen an.


Auf der Ebene der Gesetzgebung und Verfassung fand die EU-Herausforderung allerdings noch keine überzeugende Antwort. Die Chance zu einer umfassenden und systematischen Verfassungsreform war nach dem EU-Beitritt nicht ergriffen worden. Die Grundeinstellung blieb bestehen: Die Fülle an Bestimmungen, Gesetzen und Regelungen ist unüberschaubar.


Das herausragende europapolitische Ereignis, verbunden mit einer Kette von Kundgebungen, Veranstaltungen und Treffen auf höchster Regierungsebene war die EU-Ratspräsidentschaft, die Österreich in der zweiten Jahreshälfte 1998 übernahm. Es agierte dabei souverän und routiniert wie ein langjähriges Mitglied und eine kleine europäische Großmacht der EU-Diplomatie. Die deutsche Bundestagswahl 1998 mit dem Sieg von Gerhard Schröder (SPD) gegen den Langzeit-Bundeskanzler Helmut Kohl (1982-1998) von der CDU limitierte allerdings die Erfolgsaussichten der österreichischen Präsidentschaft. Wenig erfolgreich war daher auch der Wiener Gipfel vom Dezember 1998 in Bezug auf die sogenannte „Agenda 2000“ und die dringlich gewordene Agrarreform der Union.


Der lange Schatten der Neutralität wirkte über den Beitritt hinaus. Mehr als ein WEU-Beobachterstatus und die Teilnahme am NATO-Kooperationsprogramm Partnership for Peace (PfP) war für die Regierung nicht erreichbar. Der von 1987 bis 1999 regierenden SPÖ-ÖVP-Koalition, die keine tiefgreifenden Strukturreformen umzusetzen vermochte, gelang auch kein Konsens über eine neue sicherheitspolitische Konzeption. Während die traditionelle „Europapartei“ ÖVP den NATO-Beitritt empfahl, wollte die tendenziell eher abwartende und integrationsskeptische SPÖ die Neutralität aufrechterhalten. Bis heute ist Österreich kein militärisch vollwertiger Partner im Sinne einer gemeinsamen europäischen bzw. transatlantischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik (GASP, NATO, ESVP, ESVU). Der sicherheitspolitische „Optionenbericht“ scheiterte 1998, obwohl man den „militärischen Kampfeinsätzen“ des Vertrags von Amsterdam zugestimmt hatte. Auch während der ÖVP-FPÖ(BZÖ)-Koalition (2000-2006) gab es keinen Durchbruch. Eine „stille Koalition“ zwischen ÖVP und SPÖ bestand nicht. Die Frage des Ankaufs der „Eurofighter“ (Kampfflugzeuge) waren ein Dauerkonflikt. V. a. SPÖ und Grüne haben bis zuletzt eine militärische Vollintegration Österreichs erfolgreich zu verhindern verstanden. Die sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der EU ist dadurch mitbeeinträchtigt. Bis Ende der 1990er Jahre hat sich Österreich der Verantwortung aus der zweiten Säule des („neuen“) Integrationsprozesses (GASP, ESVP) zu entziehen verstanden.


Ein Schock bedeuteten die am 31. Januar 2000 angedrohten und am 4. Februar verhängten „Sanktionsmaßnahmen“ der 14 EU-Partner gegen die Bundesregierung, nachdem sich eine Einigung zwischen Wolfgang Schüssel (ÖVP) und der FPÖ des Rechtspopulisten Haider abzeichnete. Mit der Regierungsbeteiligung der FPÖ kam ein europapolitisch und international belastender Faktor ins Spiel. Die EU 14-Staaten versuchten einen vorbeugenden Hammerschlag, der jedoch einen Bumerangeffekt erzeugte.


Österreichs außenpolitisches Image ist seither angekratzt. Es zeigte sich in der europäischen Öffentlichkeit als (erweiterungs-)politisch unberechenbarer Partner. Die Ängste und Sorgen mit Blick auf die FPÖ, die im Februar 2000 in extremer Weise in Europa zum Ausdruck kamen, waren historisch und politisch nicht unbegründet, aber die Verhängung der Sanktionsmaßnahmen übertrieben und kontraproduktiv. Trotz ihrer Aufhebung im September 2000, empfohlen durch einen Weisenrat, waren die Perspektiven in der EU für Österreich weniger aussichtsreich als vorher. Österreichs Suche nach „strategischen Partnern“ unter den mittel- und osteuropäischen Staaten, ein Produkt der Isolationszeit von 2000, gelang kaum.


Außenministerin Ferrero-Waldner hatte im Sanktionen-Jahr, welches die beiden großen Parteien gänzlich auseinandertreiben und das Klima total vergiften sollte, argumentiert, eine NATO-Mitgliedschaft hätte dem Land die Isolationsmisere erspart – im Bundespräsidentschaftswahlkampf 2004 ruderte sie zurück. Heinz Fischer (SPÖ) sollte mit „Aktiv für Frieden und Neutralität“ das Rennen um den Ballhausplatz gewinnen. Die ÖVP kehrte fortan zur Neutralität zurück – sie hatte dazu auch keine Alternative.


Spätestens seit den „Sanktionen“ gegen Österreich haben sich die Gewichte zwischen den großen und den kleinen Staaten in der EU mit Blick auf den strittigen Erweiterungsgipfel von Nizza im Dezember 2000 verschoben. Österreich teilte weiterhin das Los der Kleinstaaten in der EU, denn alle vergangenen und zukünftigen integrationspolitischen Weichenstellungen wurden und werden auf dem grundsätzlichen Einverständnis zwischen den Großen, zumindest Großbritannien, Frankreich, Deutschland und dem Rat der EU vorgenommen. Seit den EU 14-Sanktionsmaßnahmen hat das Land ein noch geringeres Gewicht als vorher. In der Transitfrage stand es ganz allein. Der Transitvertrag von 1992 (aufgenommen in den EU-Beitrittsvertrag) wurde nicht mehr verlängert. Durch Österreichs Isolation im Jahre 2000 wurde sein europapolitischer Aktionsradius eingeschränkt und deutlich, dass es mit seinem Neutralitätsstatus und dem verbliebenen Rest seiner historischen Sonderrolle innerhalb der EU nicht mehr erfolgreich Politik machen konnte.


Österreichs Weg nach EU-Europa war sehr lange, daher auch entsprechend zeitaufwendig und kräfteraubend. Seit dem EG-Aufnahmeantrag war es überwiegend auf Westeuropa konzentriert. Mittel- und Osteuropa gerieten aus dem Blick, was auch erklärt, warum man sich erst spät, dafür aber öffentlichkeitswirksam mit den Beneš-Dekreten oder dem strittigen AKW Temelín zu beschäftigen begonnen hat.


Aufgrund gestiegenen Konkurrenzdrucks und forcierter Privatisierung riefen die Verlierer der EU-Mitgliedschaft aber die SPÖ auf den Plan, während die ÖVP-Klientel von der EU tendenziell mehr profitierte. Die SPÖ versuchte den Sozial- und Wohlfahrtsstaat zu erhalten, während die ÖVP in der EU den Hebel erblickte, um lange schon gewünschte Strukturreformen durchzusetzen, was erst mit „Schwarz-Blau“ realisierbar schien.


Trotz Ende der „Sanktionen“ gab es keine „Partner“ unter den MOE-Staaten. Die von Ferrero-Waldner propagierte und von der SPÖ kritisierte „strategische“ musste in „regionale Partnerschaft“ umbenannt werden. Eine Mitgliedschaft Österreichs in der Viségrad-Gruppe (Ungarn, Polen, Tschechien und Slowakei) kam für die erwähnten Staaten nicht in Frage. Obwohl Bundeskanzler Schüssel das Wort vom „mittleren“ Staat einführte, teilte Österreich das Los der EU-Kleinstaaten. Die EU-Weichenstellungen wurden und werden auf dem grundsätzlichen Einverständnis der Großen vorgenommen.


Zukunftsperspektiven


Bereits im Zuge der Vorbereitung der Ratspräsidentschaft 1998 war klar geworden, dass nationalstaatliche Außenpolitik in gemeinschaftlicher Europapolitik aufgehen würde. Österreichs Außenpolitik wurde zur EU-Politik Österreichs. Der EU-Beitritt bedeutete das Ende einer autonomen und souveränen Außenpolitik. Der Abschied des Außenministeriums vom Ballhausplatz zehn Jahre nach dem EU-Beitritt und seine Übersiedlung nach 286 Jahren in die Herrengasse an den Minoritenplatz war ein verspäteter Nachvollzug der Realitäten wie auch die Umbenennung des „BMaA“ in „BMeiA“ („Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten“) 2007. Österreichische Politik des „Äußeren“ wurde zu europäischer Politik des Inneren (Agrar-, Budget-, Beschäftigungspolitik etc.). Mit (gemeinsamer) Außenhandels-, Energie-, Finanz- und Währungspolitik sowie Sicherheits- und Nachbarschaftspolitik gab und gibt es neue Felder, die dank EU wieder in den globalen Kontext zurückführten. Die Erfolge in der näheren und weiteren Nachbarschaftspolitik waren aber bescheiden. Die Isolation 2000 führte zur Erkenntnis, dass man weder einer „Freundschaftsgruppe“ (Benelux, Nord- oder Südeuropäer) angehörte, noch über verläßliche Partner verfügte – selbst Deutschland fiel aus. Dies zwang zur engeren Zusammenarbeit mit kleineren und mittleren Staaten, was aber durch fehlenden innenpolitischen Konsens 2000-2005 nur bedingt gegeben war. In der Kommunikation der EU nach innen agierten Ballhaus- und Minoritenplatz weiter wenig erfolgreich, weil mit nationaler Interessenpolitik immer noch mehr „Staat“ zu machen war. Beide Parteien agierten ähnlich – Gusenbauer (SPÖ) übte sich als Oppositionspolitiker in Populismus gegen die EU, Schüssel kritisierte noch als Regierungschef den EuGH in Sachen Studienplatz-Zugang, obwohl dieser nur seine Aufgaben wahrnahm. Die SPÖ weitete ihre Opposition auf die Außen- und Europapolitik der schwarz-blauen Koalition aus. Die fragliche „Lissabon-Strategie“ (die EU als ökonomisch leistungsstärkster Raum der Welt bis 2010), die kontroverse Türkei-Frage und die Ratifikationskrise des „Verfassungsvertrags“ trugen nicht zum Abbau von Gegensätzen und zum Schulterschluß zwischen Regierungs- (ÖVP) und Oppositionspartei (SPÖ) bei, die beide noch von ihren Europaparlamentarieren kritisiert und konterkariert wurden. Die Rolle eines „ehrlichen Maklers“ für die EU-Präsidentschaft 2006 schien kaum möglich, zumal egoistische Parteipolitik dominierte. Trotz Tiefschläge gelang aber ein gutes Gesprächsklima für die Vertragsreform. Österreichs EU-Außenpolitik suchte seine Chancen in der Vermittlung als Teil kleinerer und mittlerer EU-Mitglieder. Südosteuropa begriff es als europäischen Verantwortungsraum, wenngleich der „Westbalkan“ nur Teil eines größeren Problems ist. Der Chefkoordinator für den EU-Stabilitätspakt für Südosteuropa ist der ehemalige österreichische Vizekanzler Erhard Busek (ÖVP), der eine umfassende Strategie verfolgte. In dieser Funktion ist er von 2002 bis 2008. Er wurde bereits Ende 1996 als Coordinator der South East European Cooperative Initiative (SECI) bestellt. Ferrero-Waldner legte hingegen als EU-Kommissarin bisher kein überzeugendes Gesamtkonzept für eine integrative EU-Nachbarschaftspolitik vor.


Seit 2006 gibt es in Österreich wieder eine Große Koalition, geführt von Alfred Gusenbauer (SPÖ) und Wilhelm Molterer (ÖVP). Für 2009/10 bewirbt sich Österreich nach 1973/74 und 1990/91 wieder als nichtständiges Mitglied im UNO-Sicherheitsrat. Sein fortbestehender Neutralitätsstatus, der durch den neuen EU-Reformvertrag nicht beeinträchtigt ist, kann beitragen, die EU nicht nur zum kulturellen Dialogpartner, sondern Österreich auch wieder als Anwalt der Menschenrechte und Mittler außerhalb der EU zu profilieren. Afrika wird derzeit von Wien „entdeckt“ – bisher gab es diesbezüglich weder ein konsensuales Konzept noch eine kontinuierliche Politik. In der Nahostpolitik hat die ÖVP vorsichtig die klassische Rolle der SPÖ übernommen, während diese eine deutlichere Mitteleuropa-Tendenz zeigt. Die Karten sind und werden teilweise neu gemischt. Das unter Schwarz-Blau zurückgefahrene „Peace-Keeping“ taucht wieder auf und dürfte „Kampfeinsätze“ als Zukunftsoption in den Hintergrund treten lassen. Mit der EU-Militärmission im Tschad kann an traditionelle Ziele der Ballhausplatz-Diplomatie der 1960er (Kongo!) und 1970er Jahre angeknüpft werden, d. h. ein geeintes Europa zu einem entspannungsorientierten und friedenserhaltenden Stabilitäts- und sicherheitspolitischen Exportfaktor zu machen. Das setzt innerstaatlichen und regierungspolitischen Konsens voraus. Staats- und Regierungschefs bestimmen schon seit langem die EU-Politik und haben die Außenminister in die zweite Reihe gedrängt. Benita Ferrero-Waldner (ÖVP) und Ursula Plassnik (ÖVP) unter Bundeskanzler Schüssel bestätigten diese Rangordnung durch engste Abstimmung, persönliche Bindungen und Loyalitäten. Da EU-Außenpolitik heute ein weit profil- und prestigeträchtigeres Feld für die Politik als früher ist, muss diese umso mehr abgestimmt sein. Plassnik verfügt über diplomatische Erfahrung und außenpolitische Kompetenz – Gusenbauer als neuer Kanzler ist der Regierungschef. Es geht nicht mehr um Österreichs EU-Beitritt, sondern um die Rolle der EU in der Welt.


Österreich war und ist im Zentrum Europas. Bis 1995 schien es integrationspolitisch eher peripher, doch hielt es wirtschaftlich immer Anschluss an die Gemeinschaften. Nach vollzogener Erweiterung der EU mit dem 1. Mai 2004 wird, Österreich wirtschafts- und investitionspolitisch im Zentrum der EU stehend, Brückenkopffunktionen für die neu zu integrierenden EU-Staaten und für ihre fortgesetzte Verwestlichung leisten können.


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