Die Sueskrise


Oberst Gamal Abdel Nasser, der zur Konferenz der afrikanischen und asiatischen blockfreien Staaten in Bandung im Jahr 1955 eingeladen ist, strebt nach der Einheit der arabischen Welt mit dem Zentrum Ägypten, an dessen Spitze er ab Juni 1956 steht. Er plant den Bau eines großen Staudamms in Assuan, um den wirtschaftlichen und landwirtschaftlichen Wandel des Landes zu fördern, aber obwohl die Vereinigten Staaten Nasser als eine Alternative zum Kommunismus betrachten, lehnen sie eine Beteiligung an der Finanzierung des Vorhabens ab. Daher kündigt Nasser am 26. Juli 1956 seine Absicht an, die mehrheitlich in französischem und britischem Besitz befindliche Betreibergesellschaft des Sueskanals, der eine international sehr wichtige Wasserstraße darstellt, zu verstaatlichen. Die Konzession sollte ursprünglich erst 1968 auslaufen. Für Nasser sollen die Einkommen aus dem Betrieb des Kanals die Finanzierung der Arbeiten am Assuan-Staudamm gewährleisten.


Die Franzosen, die über die von Ägypten an die algerischen Aufständischen gelieferte Hilfe verärgert sind, und die Briten, die die Kontrolle über den strategisch wichtigen Sueskanal bewahren wollen, beschließen eine gemeinsame Militäraktion, um erneut die Oberhoheit über den Kanal zu erlangen. Dabei erhalten sie militärische Unterstützung von Israel, das sich seit seiner Gründung im Jahr 1948 von Expansions- oder Verstärkungsbestrebungen aus der arabischen Welt bedroht fühlt. Nasser indes wiederholt immer wieder seine Absicht, Israel zu zerstören. Am 29. Oktober 1956 erobern israelische Truppen die für den Schutz des Staates Israel entscheidende Sinai-Halbinsel. Eine Woche später landen die französisch-britischen Truppen in Port Said. Der militärische Erfolg der Operation ist vollkommen, die ägyptische Armee ist in wenigen Tagen geschlagen, obwohl Nasser anordnet, vierzig Schiffe zu versenken, um den Kanal endgültig zu blockieren.


Doch die Supermächte missbilligen die Aktion Frankreichs und Großbritanniens. Die Sowjetunion, die gerade dabei sind, den ungarischen Volksaufstand niederzuschlagen, droht Paris und London mit atomaren Vergeltungsschlägen. Die Vereinigten Staaten sind zwar die traditionellen Verbündeten der europäischen Mächte, bedauern aber, im Vorhinein nicht konsultiert worden zu sein. Sie missbilligen diese koloniale „Wildwest-Politik“ und üben mittels der Vereinten Nationen massiven finanziellen Druck auf das Vereinigte Königreich aus, sodass das britisch-französische Expeditionskorps trotz des militärischen Sieges zum Rückzug gezwungen ist. Die Vereinten Nationen übernehmen die Wiederherstellung des Kanals, der im April 1957 wieder für die Schifffahrt geöffnet wird. Da Nasser die Zerstörung zahlreicher Ölleitungen angeordnet hat, kommt es in den Staaten Europas zu ersten Versorgungsengpässen mit Brenn- und Kraftstoffen.


Der durch seinen politischen und diplomatischen Sieg gestärkte Nasser genießt in der arabischen Welt höchstes Ansehen. Er macht sich das Bild des Märtyrers eines imperialistischen Komplotts zu Nutze. Die europäischen Mächte müssen indes endgültig erkennen, dass sie keine Weltmächte mehr sind und neben den Vereinigten Staaten nur noch eine Nebenrolle auf der internationalen Bühne spielen. Eine unabhängige Weltpolitik erweist sich für sie tatsächlich als sehr schwierig. Ihr Einfluss im Mittleren Osten geht gegen Null. Frankreich, das den Anschein einer Großmacht wahren will, beschließt daher den Bau der atomaren „force de frappe“.

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