Die Westunion


Am 4. März 1947 unterzeichnen Frankreich und Großbritannien in Dünkirchen einen Beistandspakt. In der Nachkriegsatmosphäre richtet sich dieser Freundschafts- und Kooperationsvertrag offen gegen das besiegte Deutschland für den Fall, dass letzteres erneut eine Angriffspolitik verfolgt. Die französische Regierung will sich gegen das schützen, was sie immer noch als latent von der anderen Rheinseite ausgehende Gefahr empfindet.


In den folgenden Monaten jedoch werden die Spannungen zwischen dem westlichen und dem sowjetischen Einflussbereich immer deutlicher spürbar. Im Oktober greift das kurz zuvor gegründete Kominform den von den USA im Juni 1947 veröffentlichten Marshallplan zur Wiederaufbauhilfe für Europa heftig an. Sie verurteilen das, was sie für die Unterwerfung Europas durch die Amerikaner halten. Die UdSSR und ihre Satellitenstaaten lehnen daher die Marshallplan-Hilfen ab. Die Länder Westeuropas, die vor allem der sowjetischen Ausbreitung Einhalt gebieten wollen, versuchen, Washington zur Gewährung einer vorübergehenden finanziellen und materiellen Hilfe für die westlichen Demokratien zu überzeugen, die durch die Jahre des Kriegs stark geschwächt sind.


Am 22. Januar 1948 hält der britische Außenminister Ernest Bevin eine Rede im britischen Unterhaus, in der er vor der sowjetischen Bedrohung warnt und seine Entschlossenheit zur Entwicklung der Zusammenarbeit mit Frankreich und den Benelux-Ländern im Rahmen einer Westunion verkündet, die das Abkommen von Dünkirchen erweitern soll. Einige Tage später verleiht der Prager Staatsstreich vom 25. Februar 1948, mit dem die Kommunisten die Macht in der Tschechoslowakei gewaltsam übernehmen, den internationalen Spannungen und den Gefahren des Kalten Krieges noch mehr Dringlichkeit. Die Vereinigten Staaten lassen unverzüglich wissen, dass sie einen regionalen Pakt mit mehr als rein militärischen Befugnissen befürworten. Es werden sofort Verhandlungen aufgenommen, in denen die britische Regierung Frankreich und den Benelux-Staaten den Plan für ein Bündnis zum gegenseitigen Beistand im Angriffsfall vorschlagen. Am 17. März 1948 unterzeichnen die fünf Staaten den Brüsseler Pakt zur Gründung der Westunion, der nun nicht mehr allein auf Deutschland, sondern auf jeglichen bewaffneten Angriff in Europa – d.h. nicht in den Überseegebieten – auf eines seiner Mitglieder abzielt. Gleichzeitig beraten Dänemark, Norwegen und Schweden ebenfalls über eine militärische Zusammenarbeit im Rahmen eines skandinavischen Verteidigungsbündnisses. Dem finnischen Beispiel folgend, jedoch uneins bezüglich ihrer Neutralität, wollen sich diese Staaten vor möglicher Druckausübung durch die Sowjetunion schützen und planen, die Vereinigten Staaten um die Lieferung der notwendigen abschreckenden Waffen zu bitten. Dieses regionale Bündnis scheitert jedoch endgültig im Jahr 1949 mit der kategorischen Weigerung der Amerikaner, eine neutrale Allianz zu bewaffnen.


Der Brüsseler Pakt, der für fünfzig Jahre geschlossen wird, sieht die Zusammenarbeit der Fünf in den Bereichen der Verteidigung, der Wirtschaft, des Sozialwesens und der Kultur vor. Ein gemeinsames militärisches Oberkommando der Westunion, eine Art gemeinsamer Generalstab, wird eingerichtet. Aber mit der Unterzeichnung der Verträge zur Gründung der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (April 1948), der Nordatlantikpaktorganisation (April 1949), des Europarates (Mai 1949) und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) wird der Brüsseler Pakt schnell seiner weit reichenden Befugnisse beraubt. Auch wenn er es nicht bis zur Gründung einer Zollunion bringt, ist dieser Pakt trotz allem die Antwort auf einen Teil der amerikanischen Anliegen und stärkt in den Augen der USA die Haltung und den guten Willen der Fünf, die auf die wirtschaftliche und militärische Hilfe der Amerikaner angewiesen sind.

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