Die Zollunion und das GATT

Die Zollunion und das GATT


Das General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) tritt 1948 in Kraft; im Jahr 1957 zählt es siebendreißig Unterzeichnerstaaten, deren Handelsvolumen fast 80 % des Welthandels ausmacht. Seine Hauptziele sind der Abschluss von Übereinkünften, die auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und zum gemeinsamen Nutzen auf einen wesentlichen Abbau der Zölle und anderer Handelsschranken sowie auf die Beseitigung der Diskriminierung in den internationalen Handelsbeziehungen abzielen. Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), die von den Mitgliedstaaten eine Anpassung ihrer nationalen Tarife an einen gemeinsamen Zolltarif verlangt, ist ein Meilenstein in der Geschichte des Welthandels. Denn die Sechs (Bundesrepublik Deutschland, Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg und Niederlande) sind gleichzeitig Unterzeichnerstaaten des GATT und müssen daher ihre Verpflichtungen im Rahmen dieses Abkommens respektieren.


Diese Tatsache ist den Verfassern des EWG-Vertrags natürlich nicht entgangen; Artikel 110 besagt, dass „durch die Schaffung einer Zollunion … die Mitgliedstaaten [beabsichtigen], im gemeinsamen Interesse zur harmonischen Entwicklung des Welthandels, zur schrittweisen Beseitigung der Beschränkungen im internationalen Handelsverkehr und zum Abbau der Zollschranken beizutragen“. Artikel 234 sieht außerdem vor, dass „die Rechte und Pflichten aus Übereinkünften, die vor Inkrafttreten dieses Vertrags zwischen einem oder mehreren Mitgliedstaaten und einem oder mehreren dritten Ländern andererseits geschlossen wurden, … durch diesen Vertrag nicht berührt [werden]“. Das GATT erkennt zudem an, dass es wünschenswert ist, durch freiwillige Vereinbarungen zur Förderung der wirtschaftlichen Integration der teilnehmenden Länder eine größere Freiheit des Handels herbeizuführen. Die Länder erkennen ferner an, dass es der Zweck von Zollunionen und Freihandelszonen sein soll, den Handel zwischen den teilnehmenden Gebieten zu erleichtern, nicht aber dem Handel anderer Vertragsparteien mit diesen Gebieten Schranken zu setzen. Diskriminierung oder Präferenzregelungen sind in Wirklichkeit nur in zwei Fällen erlaubt: einer Zollunion oder einer Freihandelszone. Artikel 24 des GATT legt die Bedingungen fest, die erfüllt sein müssen, damit die Fusion getrennter Zollgebiete als Zollunion anerkannt wird. Er sieht ebenfalls vor, dass „jeder Vertragspartner, der sich entschließt, einer Zollunion beizutreten oder sich einer Freihandelszone anzuschließen oder an einer vorläufigen, zum Zwecke der Bildung einer solchen Union oder einer solchen Zone geschlossenen Vereinbarung teilzunehmen, … die Vertragspartner hiervon unverzüglich in Kenntnis setzen und ihnen über diese Union oder diese Zone alle erforderlichen Auskünfte geben [wird], um sie in die Lage zu versetzen, den Vertragspartnern die Berichte und Empfehlungen zugehen zu lassen, die sie für angezeigt halten“. Anders gesagt, akzeptiert das GATT nicht jede Form einer Zollunion, da es sich das Recht vorbehält, Vorhaben zu prüfen, die ihm zwingend vorgelegt werden müssen, und das Recht, Projekte abzulehnen, die ihm nicht gerechtfertigt erscheinen.


Der Römische Vertrag wird von fast allen in den Ausschüssen und Arbeitsgruppen des GATT vertretenen Delegationen angefochten. Die Staaten, die 1960 die Europäische Freihandelsassoziation (EFTA) gründen, und die Staaten des weißen Commonwealth (Australien, Neuseeland) jedoch gehen mit ihrer Kritik am weitesten. Manche behaupten, der Gemeinsame Markt gehe über die im GATT vorgesehenen Zollunionen hinaus und widerspreche dessen Geist und Wortlaut. Daher fordern sie den Stopp des Binnenmarktes. In Wirklichkeit geht es bei den meisten Kritiken vor allem um die Höhe des Gemeinsamen Außenzolltarifs (GAZ), um die Sonderklauseln zur Landwirtschaft, die als zu protektionistisch gelten, und um das System der Mengenbeschränkung, das nicht mehr die Situation eines jeden Staates berücksichtigt, sondern die Lage in der gesamten Gemeinschaft. Aber vor allem die Assoziierung der überseeischen Länder und Gebiete (ÜLG) wirft Probleme auf, da ihre Erzeugnisse auf dem Gemeinsamen Markt von einer Präferenzregel profitieren. Aus diesem Grund fordern mehrere Drittstaaten vor dem Inkrafttreten des EWG-Vertrags eine Überarbeitung einiger dieser Bestimmungen. Die GATT-Regeln sehen vor, dass im Fall der Bildung einer Zollunion oder einer Freihandelszone den Drittstaaten Ausgleichzahlungen gewährt werden müssen. Die Sechs warten nicht das Ende der Arbeiten des Regierungsausschusses für den Gemeinsamen Markt und Euratom im Schloss von Val Duchesse ab, um die Vertragsparteien des GATT über ihre Absichten zu unterrichten. Schon im Oktober 1956 wird letzteren der Spaak-Bericht vorgelegt, um sie über die Fortschritte des Vertrags zur Gründung des Gemeinsamen Markts auf dem Laufenden gehalten. Unverzüglich beschließt das Ständige Komitee des GATT („Intersessional Comittee“), ein Organ mit begrenzter Mitgliederzahl, das die Versammlung der Vertragspartner vorbereiten soll, folgende Frage auf die Tagesordnung der elften Versammlung zu setzen, die am 11. Oktober in Genf eröffnet werden soll: „Vorschlag zur Stärkung der wirtschaftlichen Integration in Europa durch die Einrichtung einer Zollunion oder einer Freihandelszone.“ Frankreich, das ein Einschreiten des GATT für verfrüht hält, lehnt die Tatsache, dass eine internationale Organisation versucht, laufende internationale Verhandlungen zu kontrollieren, rundherum ab und besteht darauf, dass die Sechs in dieser Angelegenheit eine gemeinsame Position vertreten.


Am 20. Dezember 1956 legt der Ausschuss der Delegationsleiter in Val Duchesse grundsätzlich fest, dass die Bestimmungen des Vertrags und der Assoziierungsübereinkommen mit den ÜLG den GATT-Regeln entsprechen müssen. Die Sechs verpflichten sich, dem GATT den Vertrag zur Gründung der EWG nach dessen Unterzeichnung und vor seinem Inkrafttreten vorzulegen. Das geschieht am 17. April 1957. Einige Vertragsparteien schlagen sofort die Einberufung einer außerordentlichen Sitzung des GATT vor, aber die Prüfung wird schließlich auf die ordentliche Sitzung im Oktober 1957 verschoben, unter der Bedingung, dass die Sechs sich bereit erklären, Erläuterungen zu Punkten anzubringen, die noch Gegenstand von Diskussionen sind.


Baron Jean-Charles Snoy et d’Oppuers, Generalsekretär des belgischen Wirtschaftsministeriums und Vorsitzender des Interimsausschusses für den Gemeinsamen Markt und Euratom, wird als Vertreter der Sechs bei der Sitzung des Ständigen Ausschusses der GATT-Vertragspartner ausersehen. Er bemüht sich, die Kritik am EWG-Vertrag zu entkräften, und betont, dass der Gemeinsame Markt aufgrund des allgemeinen Aufschwungs, den die Fusion der sechs Volkswirtschaften mit sich bringen wird, zur Entwicklung des Welthandels beitragen wird. Die Sechs wollen zeigen, dass sie nicht anderen Verpflichtungen unterliegen wollen als die aller Vertragsparteien. Für sie ist es wichtig, den anderen Parteien zu beweisen, dass der EWG-Vertrag sowohl im Hinblick auf die wirtschaftliche Integration Europas als auch auf die Assoziierung der ÜLG mit dem Gemeinsamen Markt den GATT-Bestimmungen entspricht und dass es an den Drittländern ist, das Gegenteil zu beweisen.


Am 29. Mai 1957 übermittelt der Interimsausschuss den GATT-Vertragsparteien ein Memorandum, in dem es den Vertragsmechanismus und insbesondere die Form und Tragweite des Systems zur Assoziierung der ÜLG sowie die Beziehungen zwischen dem Vertrag und dem GATT darlegt. Das Dokument liegt in einer Form vor, die eindeutig zeigt, dass die Sechs es nicht akzeptieren, wenn die Vertragsparteien das System der Assoziierung getrennt von den anderen Vertragsbestimmungen betrachten. Die Sechs weisen außerdem darauf hin, dass sie die entsprechenden Informationen und Unterlagen rechtzeitig zur Verfügung gestellt haben, damit die Vertragsparteien sich eine Meinung zu diesem Thema bilden können. Am 25. Juli 1957 antworten die Sechs noch auf einen Fragebogen, der vor allem die Befürchtung der GATT-Vertragsparteien zum Ausdruck bringt, dass die Entwicklung des Handels der Sechs untereinander den traditionellen Handelsbeziehungen schaden könnte. Was die Assoziierung der ÜLG mit der EWG angeht, erklären die Sechs, dass sie die Probleme, die sich durch die institutionellen Beziehungen zwischen einigen von ihnen und verschiedenen außereuropäischen Ländern und Gebieten ergeben, zwar nicht ignorieren können, dass es aber unmöglich ist, letztere schlicht und einfach in den Gemeinsamen Markt einzubinden. Weil sie die Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen achten und gleichzeitig die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der ÜLG fördern wollen, definieren sie als Vertragsziel die Einrichtung einer Freihandelszone gemäß Artikel 24 des GATT durch die Abschaffung von Handelshemmnissen zwischen den sechs Mitgliedstaaten und den ÜLG. Dabei unterstreichen sie die Tatsache, dass der Vertrag nicht die Zolltarife der ÜLG für Einfuhren aus Drittländern modifiziert.


Da sie die Befürchtungen des GATT als unbegründet ansehen, übermitteln die Sechs am 16. September 1957 schließlich das Muster eines Gemeinsamen Zolltarifs für die Erzeugnisse, die den größten Teil des Handels zwischen den Mitgliedstaaten und den Drittländern des GATT ausmachen. Sie müssen davon überzeugen, dass die EWG keine Autarkie-Politik betreibt. Da sie der Ansicht sind, dass eine weitere rechtliche Prüfung der Kompatibilität des EWG-Vertrags mit dem GATT nichts an der entschlossenen Haltung der Sechs ändern wird, beschließen die GATT-Vertragsparteien schließlich, die juristischen Probleme beiseite zu lassen und Konsultationen anzustrengen, die sich ausschließlich um tropische Erzeugnisse drehen (Kaffee, Kakao, Tee, Zucker, Bananen). Die Vertragsparteien, die eine Umlenkung der Handelsströme zugunsten von Drittländern befürchten, können jedoch nicht das Entstehen eines unmittelbaren Schadens und reeller Handelseinbußen beweisen. Die Prüfung des EWG-Vertrags nimmt fortan immer weniger Platz in den GATT-Debatten ein.

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