Themendossier

1998-2009 Die Vereinigung Europas

1998-2009 Die europäische Einigung


Einschneidendes Ereignis gegen Ende der 1990er-Jahre war die Einleitung des Prozesses zur historischen Erweiterung der Europäischen Union (EU) um mittel- und osteuropäische Länder (MOEL). Diesem Prozess vorangegangen waren entscheidende wirtschaftliche, politische und soziale Reformen in den Ländern des ehemaligen Ostblocks, die sich vom Joch des Kommunismus befreit hatten. Damit endete auch die seit dem Zweiten Weltkrieg anhaltende Spaltung Europas, die durch den Kalten Krieg und die Berliner Mauer zum Ausdruck kam. So traten am 1. Mai 2004 Estland, Ungarn, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei, Slowenien sowie Malta und Zypern der EU bei. Doch mit den neuen europäischen Außengrenzen stellte sich die Frage nach den Beziehungen mit den neuen Nachbarn und dem Platz auf der Weltbühne.


Die Wiedervereinigung des europäischen Kontinents ging mit einigen Herausforderungen auf wirtschaftlicher Ebene einher. Außerdem standen die Zukunft der Union und ihre Arbeitsweise auf dem Prüfstand. Aufgrund dessen verabschiedete die Europäische Kommission 1997 die Agenda 2000. Dieses ehrgeizige Aktionsprogramm zielte auf die gesamte Erweiterung, die Reform der Gemeinschaftspolitiken und den künftigen Finanzrahmen der Union ab. Gleichzeitig hatte die Kommission, die durch den Rücktritt ihres Präsidenten Jacques Santer und dessen Team im März 1999 angeschlagen war, ihre Arbeitsweise zu überarbeiten, um die Transparenz zu verbessern und die neuen Handlungsbereiche effizienter zu gestalten.


Der im Februar 2001 abgeschlossene Vertrag von Nizza sollte die institutionellen Reformen ermöglichen, die durch den Beitritt der Kandidatenländer erforderlich wurden. Ermutigt durch die neuen Mitglieder wollten nun auch andere Länder, wie die Türkei, zur Union stoßen. Weil der institutionelle Umbau mühsam und langsam verlief, einigten sich die Unionsländer am Ende des Europäischen Rats von Laeken vom 14.-15. Dezember 2001 darauf, einen „Konvent“ einzuberufen. Diese Gruppierung sollte die wichtigsten Fragen zur künftigen Entwicklung der Union ausloten und nach möglichen Lösungen suchen. Die Beratungen des Konvents, der ein bis zweimal pro Monat zusammentrat, gingen von Februar 2002 bis Juli 2003 über die Bühne. Am 18. Juli 2003 übergab der Präsident des Konvents, Valery Giscard d'Estaing, der italienischen Präsidentschaft des Europäischen Rates den Entwurf eines Verfassungsvertrags für Europa. Nach Änderungen bei der Regierungskonferenz wurde der Vertrag über eine Verfassung für Europa am 29. Oktober 2004 in Rom von den 25 Mitgliedstaaten unterzeichnet, die ihn im Folgenden zu ratifizieren hatten.


Gleichwohl sollte der Vertrag über eine Verfassung für Europa niemals in Kraft treten. Während elf Mitgliedstaaten den Verfassungsvertrag zunächst ratifizierten, führten die gescheiterten Referenden in Frankreich und den Niederlanden im Frühling 2005 zum Abbruch des Ratifizierungsprozesses. Obwohl sieben weitere Mitgliedstaaten trotz der Ablehnung am Prozess festhielten, setzten ihn sieben andere auf unbestimmte Zeit aus. Die Europäische Union (EU) geriet dadurch in eine beispiellose Krise, die zwei Jahre dauern sollte.


Dass die Union aus ihrer Sackgasse geriet, war der deutschen Ratspräsidentschaft mit ihren zahlreichen Vermittlungsbemühungen zu verdanken. So einigten sich die Staats- und Regierungschefs am 23. Juni 2007 beim Europäischen Rat darauf, unverzüglich eine neue Regierungskonferenz einzuberufen. Aufgabe dieser Regierungskonferenz war die Ausarbeitung eines „Reformvertrags“, der die geltenden Verträge modifizieren sollte. Das Verfassungskonzept, das alle geltenden Verträge durch einen einzigen Verfassungstext ersetzen sollte, wurde dabei endgültig verworfen.


Die Regierungskonferenz nahm ihre Arbeit am 23. Juli 2007 auf und schloss sie am 18. Oktober 2007 mit einer informellen Tagung der Staats- und Regierungschefs in Lissabon ab. Im Laufe dieser Tagung wurde schließlich eine politische Einigung zum Wortlaut des neuen Vertrags erzielt. Am 13. Dezember 2007 unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs den Vertrag von Lissabon und forderten die 27 Mitgliedstaaten auf, die nationalen Ratifizierungsprozesse rasch zu beenden, damit der Vertrag am 1. Januar 2009 in Kraft treten konnte.


Am 12. Juni 2008 lehnte Irland und damit das einzige Land, das den Vertrag per Referendum zu ratifizieren hatte, den Vertrag ab. Die vom Europäischen Rat im Juni 2008 vorgeschlagene Lösung bestand darin, den bereits eingeleiteten Ratifizierungsprozess fortzusetzen. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Parlamente von 19 Mitgliedstaaten den Vertrag gebilligt. Eine Neuverhandlung schien unvorstellbar. Nachdem der Europäische Rat neue Garantien zugesichert hatte, fand am 2. Oktober 2009 in Irland ein neues Referendum statt. Dieses Mal siegten die Befürworter. Am 3. November 2009 ratifizierte Tschechien den Vertrag und beschloss damit den Ratifizierungsprozess. Der Vertrag von Lissabon trat hierdurch am 1. Dezember 2009 in Kraft.


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