Themendossier

Einleitung

 

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident François Hollande begehen am 22. Januar 2013 den 50. Jahrestag der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags. Die Unterschrift unter diesen Kooperations- und Freundschaftsvertrag, der die Aussöhnung und Annäherung zwischen diesen lange Zeit verfeindeten Ländern einleiten sollte, hatten Konrad Adenauer und General de Gaulle in einem historischen Akt im Élysée-Palast gesetzt. Mit dem Vertrag wird ein neues Kapitel der Beziehungen zwischen Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland geöffnet. Auch können die beiden Länder fortan gemeinsam auf den europäischen Einigungsprozess Einfluss nehmen. Dennoch verläuft die Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen nicht nur in ruhigen Bahnen. Spannungsgeladene Perioden und Phasen der Entspannung wechseln einander ab. Diese Annäherung, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eingeleitet wurde, ist das Ergebnis einer außergewöhnlichen Entwicklung.

 

Im Jahre 1945 steht Europa gleich in mehrfacher Hinsicht vor großen Herausforderungen. Der völlig ausgeblutete Kontinent liegt in Trümmern und ist bemüht, sich aus der Asche erheben. Schnell stehen Westdeutschland und Frankreich im Zentrum der Pläne für eine neue europäische Ordnung. Allerdings scheint sich die Aussöhnung zwischen den beiden Ländern zu diesem Zeitpunkt noch ausgesprochen schwierig zu gestalten, und nichts deutet darauf hin, dass sich die Feinde von gestern eines Tages Seite an Seite im Rahmen einer gemeinsamen europäischen Organisation engagieren sollen. Frankreich fühlt sich nach wie vor von Deutschland und seinem Streben nach wirtschaftlichem Wohlstand bedroht. Die Frage der Kohle- und Erzreviere des Saarlandes und des Ruhrgebiets als symbolträchtige Bastionen der Industrie- und Militärmacht der Deutschen stellt die Beziehungen zwischen den beiden Ländern auf eine harte Probe. Trotz zunehmender Proteste Deutschlands sichert sich Frankreich einen privilegierten Zugang zu den Eisen- und Stahlressourcen, die es dringend für seinen eigenen Wiederaufbau benötigt.

 

In dem Bestreben, die vollständige territoriale Souveränität des westlichen Deutschlands wiederherzustellen, spricht sich der deutsche Bundeskanzler Adenauer öffentlich mehrfach für eine deutsch-französische Union aus. Im November 1949 legt er sogar einen Plan für die Union der deutsch-französischen Schwerindustrie vor und billigt die Einsetzung einer internationalen Behörde, welche die Kohle- und Industrieregionen Deutschlands, Belgiens und Frankreichs überwachen sollte.

 

Fest entschlossen, einen Ausweg aus der festgefahrenen Situation zu finden und aus den spaltenden Faktoren einigende Elemente zu machen, ergreift der französische Außenminister Robert Schuman am 9. Mai 1950 die historische Initiative zur Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich im Rahmen einer europäischen Organisation. Angeregt von Jean Monnet schlägt er der noch jungen Bundesrepublik Deutschland vor, zu gleichen Rechten einer supranationalen europäischen Gemeinschaft beizutreten, die zunächst nur für Kohle und Stahl zuständig ist und der sich weitere Länder anschließen können. Der Plan führt am 18. April 1951 zur Unterzeichnung des Pariser Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS). Nur fünf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Hoffnung auf Frieden in Europa groß. Dies ist ein entscheidender Wendepunkt in der französischen Politik, der vom ursprünglichen Misstrauen gegenüber dem Erbfeind zu Aussöhnung und Partnerschaft im Sinne der europäischen Integration führt. Das „deutsch-französische Paar“, so wie wir es heute kennen, hätte ohne diesen ersten Schritt zur Aussöhnung nach Kriegsende niemals das Licht der Welt erblickt.

 

Sieben Jahre später will de Gaulle, der 1958 an die Macht zurückkehrt, Frankreich mit einer Politik der Eigenständigkeit und Größe wieder zu seinem einstigen Rang in der Welt verhelfen. Er befürwortet ein Europa mit Frankreich und Deutschland als Stützpfeiler, lehnt aber jegliche bedeutende Übertragung von Souveränität an eine supranationale Behörde ab. Vor diesem Hintergrund ist er bemüht, der europäischen Integrationsbewegung neue Impulse zu verleihen, und lädt den deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer im September 1958 zu einem Besuch in sein Privathaus in Colombey-les-deux-Eglises ein, damit sie gemeinsam über die Grundlagen einer möglichen Verständigung nachdenken.

 

Am 22. Januar 1963 unterzeichnen die beiden Staatschefs schließlich in Paris den Élysée-Vertrag als entscheidenden Schritt zur Stärkung der deutsch-französischen Zusammenarbeit in den Bereichen Verteidigung, Wirtschaft und Kultur. Dieser Vertrag wird zum Symbol der Aussöhnung zwischen den beiden Ländern und ebnet den Weg für die Institutionalisierung der Zusammenkünfte und regelmäßigen Konsultationen auf höchster Ebene. Allerdings sollte der Erfolg dieser privilegierten bilateralen Zusammenarbeit in vielen Fällen vom Einvernehmen zwischen dem französischen Staatspräsidenten und dem deutschen Bundeskanzler, von nationalen Belangen und vom geopolitischen Kontext abhängen, den u. a. der Kalte Krieg, die Entstehung des gemeinschaftlichen Europas, die Ostpolitik, die Wiedervereinigung Deutschlands, der Zusammenbruch der Sowjetunion und die Wirtschafts- und Finanzkrisen in den Jahren nach 2008 prägten.

 

Nach mehr als einem halben Jahrhundert enger bilateraler Beziehungen, für die Niederlagen ebenso typisch waren wie Fortschritte, bedienen sich zahlreiche französische Kommentatoren bereits der Metapher des deutsch-französischen „Paares“, während in Deutschland häufig vom deutsch-französischen Duo oder Tandem die Rede ist. Über die Jahrzehnte prägen mehrere „Paare“ deutsch-französischer Staatschefs diese bilateralen Beziehungen durch ihr persönliches Engagement. Es ist dem gemeinsamen Vorgehen dieser Akteure - von Konrad Adenauer-Charles de Gaulle über Helmut Schmidt-Valéry Giscard d’Estaing, François Mitterrand-Helmut Kohl und Jacques Chirac-Gerhard Schröder bis hin zu Angela Merkel-Nicolas Sarkozy und schließlich François Hollande – zu verdanken, dass der „deutsch-französische Motor“ in vielen Fällen dem Schicksal Europas einen neuen Impuls verleihen kann.

 



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