Vom Schuman-Plan bis zur Unterzeichnung des EGKS-Vertrags

Vom Schuman-Plan bis zur Unterzeichnung des EGKS-Vertrags


Am 9. Mai 1950 schlägt der französische Außenminister Robert Schuman in einer von Jean Monnet inspirierten Rede die Zusammenlegung der Kohle- und Stahlressourcen Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland (BRD) im Rahmen einer Organisation vor, die auch anderen europäischen Ländern offen stehen soll.


Mit dieser nahezu revolutionären Erklärung wollen Robert Schuman und Jean Monnet dem europäischen Einigungsprozess die Initialzündung geben. Ziel dieser unter höchster Geheimhaltung ausgearbeiteten Schuman-Erklärung ist es, ein Umdenken zu provozieren und die Völker Europas von diesem Vorhaben zu überzeugen. Allerdings muss Robert Schuman zunächst die Zustimmung seiner Regierung einholen und sich gleichzeitig der Unterstützung von Konrad Adenauer und der USA versichern.


Die Wirtschaftskreise und vor allem die Kohle- und Stahlindustriellen werden bei der Ausarbeitung des Vorhabens bewusst ausgeklammert, denn die Aufdeckung des Vorhabens hätte bei den französischen Industriellen mit Sicherheit zahlreiche Einwände hervorgerufen und das Misstrauen der deutschen Industriellen geweckt.


Robert Schuman beschließt außerdem, die französischen Abgeordneten nicht zu informieren, weil er befürchtet, dass diese sich mehr für die institutionellen Folgen als für das eigentliche Vorhaben interessieren.


Auch im Ausland werden nur einige wenige eingeweiht. Der amerikanische Außenminister Dean Acheson wird ohne Einbeziehung der Botschaften persönlich in Kenntnis gesetzt und sichert Schuman bald sein Interesse und seine Unterstützung zu. Am 8. Mai legt Schuman seinen Plan persönlich den fünf Wirtschaftsministern des Vereinigten Königreichs, der Beneluxstaaten und Italiens vor, die unter höchster Geheimhaltung in Paris zusammentreffen. Am Abend des 8. Mai werden alle im Zuge der Vorbereitung entstandenen Unterlagen vernichtet. Bestärkt durch die zustimmenden Reaktionen seitens der Alliierten Frankreichs, entsendet Schuman seinen persönlichen Vertreter Robert Mischlich nach Bonn, um auch Konrad Adenauer zu informieren, der Anfang des Jahres bereits Gelegenheit hatte, sich mit Schuman über die Zweckmäßigkeit eines europäischen Kohle- und Stahlkartells zu verständigen. Am Vormittag des 9. Mai übergibt Mischlich dem Bundeskanzler und dessen Kabinettchef Herbert Blankenhorn den amtlichen Text des französischen Vorschlags über eine Gemeinsame Hohe Behörde sowie ein persönliches Schreiben über die höchst politische Bedeutung des Vorhabens. Adenauer ist begeistert und sichert Mischlich sofort seine Unterstützung zu. Schuman wird umgehend telefonisch verständigt und kann schließlich am späten Vormittag des 9. Mai den vorab unterrichteten französischen Ministerrat informieren. Damit sind alle Voraussetzungen für eine Pressekonferenz am 9. Mai um 18.00 Uhr im französischen Außenministerium am Quai d’Orsay gegeben.


Am 9. Mai 1950 um 18 Uhr findet im Uhrensaal des Außenministeriums am Quai d’Orsay die Pressekonferenz statt. Mehr als zweihundert französische und ausländische Journalisten waren einbestellt worden, um der Erklärung des französischen Außenministers Robert Schuman über die Zusammenlegung der Kohle- und Stahlindustrie beizuwohnen. Aber nur wenige können wirklich teilnehmen, da sie erst im letzten Augenblick benachrichtigt worden waren. Gekommen waren lediglich die in Paris ansässigen Journalisten. Kein einziger Fotograf nimmt an dem Ereignis teil. Auch Rundfunk und Fernsehen sind nicht anwesend. Weswegen Robert Schuman sich bald gezwungen sah, seine berühmte Rede aufzuzeichnen, um sie für die Nachwelt zu erhalten.


In der Erklärung wird die Rolle Frankreichs beim Aufbau eines stabilen, wohlhabenden und friedlichen Europas hervorgehoben, das auf der deutsch-französischen Verständigung beruht. Die Erklärung begnügt sich nicht mit der Festlegung von Zielen, sondern enthält auch einen Aufruf, Verhandlungen aufzunehmen. Die Aufgaben der Hohen Behörde, die zum ersten Mal auf dem internationalen Parkett erwähnt wird, werden dargelegt. Auf die ausdrückliche Bitte des Justizministers und Abgeordneten von Constantine, René Mayer, fordert Frankreich die anderen europäischen Staaten in einer einführenden Erklärung auf, gemeinsam zur Entwicklung Afrikas beizutragen, da Frankreich sich allein nicht mehr in der Lage sieht, die Entwicklung der Überseegebiete zu finanzieren.


Die gesamte französische Politik – von den Christdemokraten bis zu den Sozialisten – steht der Initiative des Außenministers im Ganzen mäßig positiv gegenüber. Trotz einiger Vorbehalte unterstützen das <ita>Mouvement républicain populaire</ita> (MRP) und die französische Sektion der Arbeiterinternationalen (SFIO) den Vorschlag Robert Schumans. Zwar sind die Sozialisten hinsichtlich der Verwirklichung Europas durch die Christdemokraten misstrauisch, erkennen jedoch de facto die wirtschaftlichen Vorteile an, die der Schuman-Plan verspricht. Die nationalistische Rechte hingegen lehnt ebenso wie die kommunistische Opposition ein Bündnis mit Deutschland ab. Die Kommunistische Partei sieht in der Entstehung eines westlichen Europas ein der Sowjetunion feindlich gesinntes Konstrukt, das allein der US-amerikanischen Wirtschaft nützt. Die Eisen- und Stahlindustrie, die die Konkurrenz aus dem Ausland und dirigistische Maßnahmen befürchtet, führt ebenfalls eine leidenschaftliche Kampagne gegen das Projekt der Hohen Behörde. Die öffentliche Meinung ihrerseits steht der Initiative des französischen Außenministers insgesamt aufgeschlossen gegenüber.


Die Erklärung Robert Schumans ist für Deutschland in dem Maße eine Überraschung, da sie eine Kehrtwende in der französischen Deutschlandpolitik darstellt. Der Vorschlag, das Land gleichberechtigt zu behandeln, muss die Deutschen höchst zufrieden stellen, da er einer schon lange von Deutschland gestellte Forderung entspricht und die unwiderrufliche Integration der BRD in das westliche Europa erahnen lässt.


Die Reaktion Konrad Adenauers, der erst am Vormittag des 9. Mai 1950 persönlich von Schuman in Kenntnis gesetzt wird, lässt Dankbarkeit gegenüber Frankreich erkennen. Die Christlich-Demokratische Union (CDU) und die liberale Partei (FDP) billigen genau wie die Mehrheit der Industriellen und sogar die deutschen Gewerkschaften den französischen Plan nahezu vorbehaltlos.


Dagegen befürchtet die Sozialdemokratische Partei (SPD), die sich sehr für den Erhalt der deutschen Einheit einsetzt, eine Vertiefung der Kluft zwischen dem unter westlichem und dem unter sowjetischem Einfluss stehenden Teil Deutschlands. Die pazifistische und antikapitalistische Einstellung der SPD trägt außerdem zum Misstrauen gegen den Schuman-Plan bei, da dieser nicht die Verstaatlichung der Schwerindustrie des Ruhrbeckens vorsieht, welche von den Sozialdemokraten seit langem gefordert wird. Die deutsche Öffentlichkeit erkennt wohl durchaus die symbolische Tragweite des Plans, reagiert jedoch größtenteils zögerlich bis ablehnend und schlecht informiert.


Am 18. April 1951 wird der Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) in Paris von Robert Schuman für Frankreich, Konrad Adenauer für die Bundesrepublik Deutschland (BRD), Paul van Zeeland und Joseph Meurice für Belgien, Graf Carlo Sforza für Italien, Joseph Bech für Luxemburg sowie Dirk Stikker und Jan Van den Brink für die Niederlande unterzeichnet.


Durch den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) werden mehrere Organe geschaffen, deren Aufgabe in der Zusammenlegung der Kohle- und Stahlindustrie sowie der Erhaltung des Friedens in Europa besteht:


- die Hohe Behörde, unterstützt von einem Beirat,

- die Gemeinsame Versammlung,

- der Gerichtshof,

- der Besondere Ministerrat.


Bei der supranationalen Prägung der Hohen Behörde handelt es sich um eine wesentliche Neuerung. Die Mitglieder der Hohen Behörde vertreten nämlich nicht die Interessen ihres Heimatlandes, sondern leisten den Eid, das Gemeinwohl der Mitgliedstaaten zu verteidigen. Dafür erhalten sie umfassende Befugnisse. Sie können beispielsweise auf den nationalen Kohle- und Stahlmärkten intervenieren, ohne sich jedoch an die Stelle der Unternehmen setzen zu dürfen. Durch die finanzielle Autonomie der Hohen Behörde, welche durch eine „Steuer“, d.h. eine Abschöpfung von maximal 1% des Umsatzes der Kohle- und Stahlunternehmen, gewährleistet wird, soll deren Unabhängigkeit gegenüber den sechs Regierungen gestärkt werden.


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