Die wirtschaftliche und soziale Rolle

Die wirtschaftliche und soziale Rolle


Der geistige Gründervater der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), Jean Monnet, wird erster Präsident der Hohen Behörde (1952-1954). Monnet und sein Nachfolger René Mayer (1955-1957) sollen die Politik der EGKS während der Übergangsphase umsetzen.


Zunächst intensivieren sie den Handel zwischen den Sechs. Dazu schaffen sie Zölle und Mengenbeschränkungen sowie Exportsteuern bei den Transporttarifen ab und führen direkte internationale Tarife ein. Die Kohle- und Stahllieferungen zwischen den Partnern steigen in beträchtlichem Maße. Der Kohlemangel, der die europäische Stahlindustrie nach dem Krieg fast lahm gelegt hätte, wird schließlich weitgehend abgebaut. Durch die zuverlässige Versorgung mit Eisenerz, Schrott und Kohle können die Sechs ihr Industriewachstum wieder in geordnete Bahnen lenken.


Die Übergangszeit


Nach der Einrichtung der Hohen Behörde am 10. August 1952 in Luxemburg wird im Februar 1953 der Gemeinsame Markt für Kohle, Eisenerz und Schrott und im Mai 1953 für Eisen- und Stahlerzeugnisse gegründet. Am 1. Januar 1953 tritt die erste europäische Steuer, die EGKS-Umlage, in Kraft.


Die Stahlproduzenten haben fünf Jahre Zeit, um sich den neuen Wettbewerbsbedingungen anzupassen. So gelingt es Italien, dank staatlicher Hilfen eine moderne Stahlindustrie zu entwickeln. Das Land hofft außerdem, mit der europäischen Integration das Problem der Arbeitslosigkeit zu lösen, das teilweise mit der Mobilität seiner Arbeitskräfte zusammenhängt. Belgien hingegen gelingt es nicht, die wallonischen Steinkohlenbergwerke umfassend zu modernisieren.


Die Wettbewerbsbedingungen


Im Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) wird die Hohe Behörde beauftragt, bestmögliche Wettbewerbsbedingungen zwischen den Produzenten zu schaffen. Außerdem soll sie die Entstehung neuer Herstellerkartelle verhindern, indem sie die Unternehmen zur öffentlichen Bekanntgabe der Preise verpflichtet und Absprachen zwischen ihnen kontrolliert. In der Praxis jedoch legen die Unternehmen der Stahlindustrie dank ihrer guten Kontakte weiterhin die Preise je nach Marktlage und ihrem Finanzierungsbedarf fest.


Die Regulierung der Märkte


Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) kann die im Vertrag festgelegten Ziele im Hinblick auf die Auflösung der Kartelle nicht erreichen. Die Steigerung der Produktivität veranlasst die Unternehmen zur Bildung immer größerer Zusammenschlüsse, was die von Frankreich erhoffte vollständige Auflösung des Kohleverkaufskartells des Ruhrgebiets verhindert.


Gleichwohl erweisen sich die Befürchtungen im Hinblick auf die deutschen Kartelle als weitgehend unberechtigt. Die Franzosen sichern sich den Zugang zur Ruhrkohle, den Italienern kommt der freie Verkehr des Schrotts zugute und die Luxemburger profitieren von der Ausweitung ihres Marktes.


Die Sozialpolitik


Bei den Vertragsverhandlungen über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) lenken die Gewerkschaften das Augenmerk der Unterhändler auf die Gefahr sozialer Verwerfungen, die durch die Einführung des Gemeinsamen Marktes ausgelöst werden könnten. Sie befürchten, aufgrund der unterschiedlichen sozialen Bedingungen in den sechs Mitgliedstaaten mit Praktiken des Tarifdumpings konfrontiert zu werden.


Entgegen diesen Befürchtungen spielt die EGKS eine bedeutende Rolle im sozialen Bereich. Sie fördert einen besseren Gesundheits- und Arbeitsschutz sowie die Entwicklung der beruflichen Bildung. Der Vertrag von Paris, dessen Ziel unter anderem eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeitnehmer in der EGKS ist, sieht u. a. finanzielle Hilfen der Gemeinschaft für die Wiedereingliederung entlassener Arbeitnehmer vor und verbietet die Praxis der Lohnsenkung als Mittel des Wettbewerbs. Um dem seit Kriegsende in Europa herrschenden Mangel an Arbeiterwohnungen entgegenzuwirken, bringt die Hohe Behörde ein anspruchsvolles Programm zum Bau von Wohnungen für Bergleute und Arbeiter aus der Stahlindustrie auf den Weg. So werden von der EGKS im Zeitraum 1952 bis 1979 innerhalb der Gemeinschaft über 150 000 Arbeiterwohnungen finanziert und gebaut. Die Hohe Behörde unternimmt darüber hinaus große Anstrengungen im Hinblick auf den Abschluss eines Europäischen Abkommens über Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer und bemüht sich um die Einführung der Fünf-Tage-Woche.


Vor allem dank der privilegierten Beziehungen, die Jean Monnet zu den Amerikanern unterhält, kann die EGKS in den USA Kredite aufnehmen – im Jahr 100 Mio. Dollar –, deren Kapitalmarkt gleichwohl nach wie vor für europäische Unternehmen praktisch verschlossen bleibt. Die EGKS wird von den USA als eine unabhängige und souveräne Institution anerkannt, die ermächtigt ist, im Rahmen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) mit den USA ein Zollabkommen zu unterzeichnen. Diese politische Anerkennung hat einen hohen symbolischen Wert und ermöglicht es der Hohen Behörde zudem, europäischen Unternehmen Kredite zu gewähren und Programme der sozialen Eingliederung zu finanzieren.

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